Kohl und Scharping einig: Kurden abschieben

■ Bayerns CSU-Innenminister Günther Beckstein erläutert seine spezielle Interpretation des Ausländerrechts

Bonn (AFP/taz) – Direkt aus der Abspeckkur hat Bundeskanzler Helmut Kohl sich erneut in die Debatte um die Abschiebung von Kurden in die Türkei eingemischt. In einem ARD-Interview erklärte er hochdramatisch: „Ich bin nicht bereit, mich dem Terror irgendeiner Gruppe auf deutschen Straßen zu beugen.“ Wenn von Kurden Gewalt ausgehe, „die ja mit türkischen Pässen zu uns gekommen sind, müssen sie sich über die Konsequenzen im klaren sein“. Frontal ging Kohl seine FDP-Justizministerin Leutheusser-Schnarrenberger an. Die Ministerin, die zur Vosicht bei Abschiebungen geraten hatte, vertrete „nicht die Meinung der Bundesregierung und schon gar nicht meine Meinung“.

Die Justizministerin wies im WDR die gegen sie erhobene Kritik unter Hinweis auf die geltende Rechtslage zurück. Sie sprach vorsichtig von eventuellen „Mißverständnissen“. FDP-Chef Klaus Kinkel nahm seine Kabinettskollegin ausdrücklich in Schutz: Die Kritik an ihr sei „falsch und ungerecht“. Schnarrenberger leiste als Ministerin in der Bundesregierung „sehr gute Arbeit, die ihr allerdings durch Angriffe vor allem aus der CSU unnötig erschwert“ werde. Die Union solle ihre Attacken einstellen und „umgehend zu koalitionsfreundlicheren Umgangsformen zurückkehren“. SPD-Kanzlerkandidat Scharping, der in Umfragen seinen Vorsprung gegen Kohl langsam einbüßt, wollte sich offenbar auch nicht länger eine schlappe Haltung vorwerfen lassen und zog in einem Interview mit der Leipziger Volkszeitung gleich: „Ich würde jeden Kurden auch in die Türkei abschieben lassen, der sich hier gewalttätig verhält, andere Leute bedroht oder sonst Gesetze mißachtet.“ Allerdings dürften dem Betreffenden in der Türkei „weder Folter noch die Todesstrafe“ drohen.

Zur Frage der Folter als Abschiebehindernis äußerte sich gestern auch Bayerns CSU-Innenminister Beckstein. Eine generelle Gefahr von Folterungen durch türkische Sicherheitskräfte steht seiner Ansicht nach einer Abschiebung von Kurden nicht entgegen. Die Bedrohung müsse „konkret“ bestehen, so Beckstein. Derartige Hindernisse seien nach seiner Einschätzung nur in „Ausnahmefällen“ gegeben, die durch Einzelprüfungen ermittelt würden. Bisher haben die bayerischen Behörden acht Ausweisebescheide mit Abschiebeandrohungen an Kurden verschickt, die an den Autobahnblockaden Mitte März in Augsburg beteiligt gewesen sein sollen. Insgesamt müßten etwa zwanzig Personen mit der Abschiebung rechnen, sagte Beckstein. Bayern will nach seinen Worten auch den einfachen und den schweren Landfriedensbruch zu zwingenden Ausweisungsgründen machen. Beckstein betonte, auch anerkannte Asylbewerber könnten abgeschoben werden, wenn sie durch ihr Verhalten eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik seien. Unter den rund zwanzig in Bayern anhängigen Fällen seien nach derzeitigem Erkenntnisstand zwei Asylberechtigte. Bei Asylbewerbern sei eine Abschiebung auch dann möglich, wenn das Asylverfahren noch nicht abgeschlossen sei. Die Bundesregierung hat gestern Vorwürfe des türkischen Außenministers Hikmet Çetin zurückgewiesen, Deutschland ermutige durch den vorläufigen Stopp der Waffenlieferungen „indirekt den Terrorismus“. Bonn macht die Aufhebung des Lieferstopps davon abhängig, daß diese Waffen in der Türkei auch tatsächlich im Einklang mit den Nato-Vorgaben verwendet werden.

Nach einer Kurden-Demonstration am späten Donnerstag abend in Stuttgart hat ein vierzehnjähriger Kurde versucht, sich anzuzünden. Dies berichtete die Polizei am Freitag. Der Jugendliche – einer von acht zeitweise Festgenommenen – hatte im Polizeipräsidium in einem unbeobachteten Augenblick mit einem Feuerzeug seine Oberbekleidung angesteckt. Die Flammen wurden sofort gelöscht. Der Vierzehnjährige kam zur ambulanten Behandlung in eine Klinik.