Homo allein genügt nicht

■ Die PDS-Schwulengruppe lud zum Visionen-Kongreß linker Homo-Politik in die Humboldt-Uni / Was tun gegen das Schwinden emanzipatorischer Positionen?

In der ersten Reihe mümmelt ein grauer Rentner und studiert durch seine Hornbrille das ND, weiter hinten lümmelt ein bunt gewandeter Autonomer und blättert gelangweilt in der graswurzelrevolution. Na, wo befinden wir uns? Ganz richtig: auf einem Kongreß der PDS.

Um „Vision und Realität“ linker Lesben- und Schwulenpolitik sollte es am Wochenende in der Humboldt-Uni gehen, mal wieder die leidige Frage aufgerollt werden, was man gegen das „Schwinden emanzipatorischer Positionen“ in der Bewegung tun könne. Geladen hatte die Schwulengruppe bei der PDS, gekommen waren deren Mitglieder und einige Freunde. Zu Spitzenzeiten maximal vierzig Personen.

Die miserable Resonanz kann man mit dem oben beklagten „Schwinden“ erklären, aber auch mit der katastrophalen Organisation. Zwar erbettelten die PDS- Schwulen bei diversen Parteigremien insgesamt 4.000 Mark, doch für Werbung und prominente ReferentInnen ging die Parteiknete zumindest nicht drauf. So saßen am Freitag bei der Eröffnungsdiskussion über die DDR-Lesben- und Schwulenbewegung nur zwei männliche Berliner Szenegrößen auf dem Podium – und keine einzige Lesbe. Auch das angekündigte Kulturprogramm fiel überraschend ins Wasser.

Das inhaltliche Gerüst des „Kongresses“ bildeten drei Vorträge, die so oder so ähnlich schon dutzendmal gehalten wurden. Erst beklagte Marc Cheb Sun von der Antirassismus-Gruppe „Dipipol“ die Fremdenfeindlichkeit in der Szene, dann forderte Aids-Hilfe- Vorstand Guido Vael die von „Körperkult, Jugendfetischismus, Vereinzelung und Konsumverhalten geprägte Schwulenszene“ zu einer „Wertediskussion“ auf. Und schließlich erklärte die Hamburger Feministin Gudrun Aßmann, warum nicht die lesbische Lebensweise, sondern nur der Feminismus Grundlage der politischen Arbeit sein könne.

Der altlinken Einsicht, daß Homo allein für die Identität nicht genügt, folgte am Wochenende kein Aufbruch zu neuen anderen Ufern. In den Diskussionen gerieten sich die TeilnehmerInnen immer wieder an Nebensachen in die Haare. Typisches PDS-Problem: Die Feministin (West) verzweifelt am Schwulen (Ost), der von geschlechtspezifischer Sozialisation noch nie etwas gehört hat. Veranstalter Oliver Numrich pries als Ausweg aus dem linken Homo-Dilemma zwar die „Zusammenarbeit mit anderen Minderheiten“, Szene-Cheftheoretiker Bert Thinius hielt jedoch die bekannten Schwierigkeiten entgegen: Wie mit türkischen Gangs gemeinsame Sache machen, wenn einige von ihnen zur Jagd auf Schwule blasen?

Der lesbisch-schwulen Nachwelt hinterläßt der Kongreß Thesenpapiere aus den Arbeitsgruppen. Wild zusammengeworfen und mit verquasten Formulierungen, werden sie wohl mal einen Ehrenplatz im Schwulen Museum erhalten. Heißt es darin doch unter anderem: „Wir sollten Bewußtsein zeigen“ oder „Die Einmischung des Staates ins Zusammenleben von Menschen muß infrage gestellt werden“ (früher sagten wir dazu: Abschaffung der Ehe). Die schönste These schließlich: „Wir nehmen das Schwinden linker emanzipatorischer Positionen nicht hin.“ Nur auf welche Weise, das ließ der Kongreß offen.

Was hingegen bleibt, ist die alte Erkenntnis, wie schwer es ist, daß politischer Einsicht auch Handeln folgt. Bestes Beipiel: Referent Guido Vael geißelte am Samstag mittag noch das „Konsumverhalten“ der Schwulen, am Abend fanden einige TeilnehmerInnen dann ein Schreiben von ihm in ihrem Briefkasten. Inhalt: ein Antrag für die Visa-Card der Deutschen Aids-Hilfe. Micha Schulze