■ Es gibt einen gewaltfreien Rassismus der geistigen Elite
: Und wer redet mit den Opfern?

„Sage mir, mit wem Du sprichst, und ich sage Dir, wer Du bist.“ Die Debatte „Mit Rechten reden?“ nimmt Züge eines grotesken Gesellschaftsspiels an. Ein billiger Ablaßhandel ist's, der darüber hinwegtäuschen soll, daß selbst große Teile der linksliberalen Kräfte des Landes dem rassistischen Diskurs erlegen sind und zum Beispiel der Abschaffung des Asylrechts zustimmten. Wo es nicht mehr opportun erscheint zu fragen, was mit den ausgesperrten Flüchtlingen geworden ist, nagt das schlechte Gewissen. Also muß nach neuen Wegen gesucht werden, bequem und mit Getöne – damit es auch jeder merkt – ins Lager der „Aufrechten“ zu gelangen. Machen wir uns nichts vor. Hinter dem Begehren, Franz Schönhuber, Gerhard Frey & Co. einen Maulkorb umzuhängen, steht weniger die Absicht, Rassismus und Xenophobie zu ächten, als vielmehr der Wunsch, ausschließlisch sie dem rechten Rand zuzuordnen. Verständlich ist das schon. Zu peinlich wäre eine Diskussion zwischen Repräsentanten der Rechtsaußenparteien, Christ- und Sozialdemokraten. Denn keiner der ZuhörerInnen würde große inhaltliche Unterschiede feststellen.

Schroffe Grenzziehungen nach rechts können nicht darüber hinwegtäuschen: Die Zivilgesellschaft, die nach den Morden in Solingen mit der etwas lauteren Forderung nach Emanzipation der Immigranten einen kurzen Frühling erlebte, befindet sich schon längst wieder in der Defensive. Und es gelang nicht, einen Paradigmenwechsel in der Einwanderungs- und Antidiskriminierungspolitik zu vollziehen.

Wo Affinitäten zwischen „Demokraten“ und „Radikalen“ zu offensichtlich werden, der Wille zu politischen Innovationen fehlt, wirkt verbale Kraftmeierei nach rechts identitätsstiftend. Nach dem Brandanschlag auf die Synagoge in Lübeck hörte sich das bei einer Reihe von Kommentatoren sinngemäß wie folgt an: „Mich interessiert nicht, ob jemand Schwierigkeiten mit seiner Kindheit, keine Arbeit oder Alkoholprobleme hat. All die psychologischen, soziologischen und pädagogischen Erklärungen will ich nicht mehr hören. Wenn jemand so etwas tut, hat er jegliches Verständnis verwirkt.“

Es war ein Aufruf, die Ursachenforschung zu beenden. Tatsächlich kann man sie sich schenken, wenn aus ihr nichts folgt. Gleichzeitig wurde einmal mehr der Vorwurf erhoben, man schenke den Tätern hierzulande zu viel Aufmerksamkeit. Darüber läßt sich sicherlich trefflich streiten. Vor lauter „ethnologischem Interesse für diese Barbaren“ (Peter Schneider) würden die Opfer vergessen, lautete die nicht ganz abwegige Kritik. Allerdings muß man dann auch sagen, wie denn eine angemessene Einbeziehung der Opfer in die Berichterstattung und Diskussion aussehen könnte.

Jeder, der es einmal versuchte – und es sind keineswegs so viele, wie die moralischen Entrüstungsschreie vermuten lassen –, weiß: „Opferberichterstattung“ ist eine Gratwanderung – sie kippt schnell ins Peinliche und interessiert im Zweifelsfall niemanden. Letzteres mag damit zu tun haben, daß die Beschäftigung mit dem Aggressor auf Dauer noch mehr Lustgewinn verspricht. Zum anderen gibt es in der Bundesrepublik bislang wenig Erfahrungen damit, die Zielgruppen rassistischer Gewalt als gleichberechtigte Gesprächspartner einzubeziehen.

Die Bilder von den Vietnamesen in Rostock-Lichtenhagen, die ihrer Verbrennung nur knapp entgingen, machten Fernsehgeschichte. Sie waren ein „Glücksfall“ und konnten letztlich nur deshalb ihre volle Wirkung entfalten, weil deutsche Journalisten unvorbereitet in die Opferrolle gerieten. Der Effekt – „Deutscher verkleidet sich als Türke und erzählt schockierten Deutschen, was Millionen Ausländer da unten so in Deutschland erleben“ – war gesichert. Erstmals wurde Millionen von „ihresgleichen“ vor Augen geführt, daß es sich bei den Ausschreitungen nicht um ein Katz- und-Maus-Spiel pubertierender Jugendlicher mit Ordnungskräften handelte, sondern um versuchten Totschlag.

Natürlich ist die „teilnehmende Opferberichterstattung“ nicht beliebig wiederholbar. Deshalb wird in der Regel auf das weniger gefährliche Verfahren der „Aufklärung“ zurückgegriffen. Kaum werden Juden, Behinderte, Asylbewerber oder Türken Ziel eines spektakulären Anschlags, überbieten sich die Medienschaffenden in wohlmeinender Berichterstattung und stellen die Attackierten vor, als hätten sie bis dato auf einem fernen Planeten gelebt, der jüngst erst entdeckt wurde.

Nach dem Brandanschlag in Solingen demonstrierte die Zeit das Verfahren in vollendeter Form. Sie titelte: „Türken in Deutschland: Erst seit ihre Häuser brennen, nehmen wir sie wahr.“

Trefflicher kann man den Zusammenhang zwischen dem gewaltfreien Rassismus „der Guten“ und dem gewalttätigen Rassismus der „Bösen“ nicht formulieren. Die „Parteinahme“ der Zeit für „unsere“ Türken war kein Ausrutscher, sondern reflektierte den Bewußtseinsstand gewichtiger Fraktionen der geistigen, politischen und publizistischen Elite der Republik. Für sie existieren die zwei Millionen Deutsch-Türken in der Regel nur als bevölkerunspolitisches Problem. So behaupteten die Zeit-Herausgeberin Marion Dönhoff und Altbundeskanzler Helmut Schmidt noch Ende 1992 in ihrem Bestseller „Ein Manifest. Weil das Land sich ändern muß“: „Bislang war die Bevölkerung nie wirklich auf Zuwanderer angewiesen. Sie konnte gut ohne sie auskommen. Deshalb empfand sie sie häufiger als Last denn als Gewinn.“ Minderheiten werden nicht als Opfer geboren, sie werden dazu gemacht.

Eine weitere, beliebte Variante ist die „paternalisch- mitfühlende Opferberichterstattung“. Nachdem Jona I. in Folge eines rassistischen Angriffs mit komplizierten Frakturen im Krankenhausbett lag, wurde er zum Medienstar. Ein geschundener und gedemütigter jugendlicher Schwarzer, gefesselt ans Krankenbett – ideale Zutaten für ein Rührstück für uns daheim. Jona hatte zu sein, wie wir uns die Menschen aus dem fernen Namibia nun mal vorstellen – schwach, sprachlos und hilfsbedürftig. Jonas Resümee: „Die Deutschen tun so, als gäbe es keine Ausländer, die etwas zu sagen haben. Wenn die Medien über uns berichten, stellen sie uns als blöde dar.“

„Mit Opfern reden“ heißt, die Gefühlsduselei zu beenden, die angegriffenen Minderheiten nicht erst zu entdecken, wenn sie wieder einmal gemeuchelt werden. Das ist natürlich nur möglich, wenn wir sie aus unserer „solidarischen Betroffenheit“ entlassen, die sie eh nur in ihrer Opferrolle gefangenhält. Ohne eine grundlegende Änderung des Verhaltens und des Selbstwertgefühls der Mehrheit geht das natürlich nicht. Da sie das offensichtlich nicht so recht will, folglich auch nicht so recht weiß, wie sie mit Juden, Türken, Muslimen und anderen Fremden von gleich zu gleich reden soll, muß man – weil man sonst ja nichts tun kann – eben darüber reden, ob man mit Rechten reden soll. Eberhard Seidel-Pielen

Publizist und Buchautor, lebt in Berlin