„Ein erheblicher Ansehensschaden“

Im oberfränkischen Marktflecken Pretzfeld sorgt sich die Gemeinde nach der Schändung des jüdischen Friedhofs um ihr Image / Oberfranken gilt als heimliche Nazi-Hochburg  ■ Von Manfred Otzelberger

Pretzfeld (taz) – Die Lettern sind kaum noch zu identifizieren. „Hier ruht nach gottesfürchtigem und stets ehrenhaftem Lebenswandel Wolf Heller – Friede seiner Asche“, steht auf dem Grab. Der fromme Jude, der sich hier 1894 auf dem jüdischen Friedhof im oberfränkischen Pretzfeld bestatten ließ, würde sich im Grab umdrehen, wenn er die andere Inschrift auf seinem Grabstein lesen könnte: „Sieg Heil“. Unbekannte sprühten diese und ähnliche Parolen mit schwarzem Werkstofflack auf achtzehn Gräber des alten jüdischen Friedhofs am Ortsrand von Pretzfeld, einem idyllischen Dorf in der Fränkischen Schweiz zwischen den Städten Nürnberg und Bayreuth.

Mit „Romantik und Erholung im Kirschenzentrum“ umwirbt die Gemeinde normalerweise Touristen. Vor allem viele Berliner machen hier Kurzurlaub und wandern durch die schattigen Wälder am Pretzfelder „Judenberg“. Wo im Juli Tausende von Zechern das berühmte „Kirschenfest“ neben den Bierkellern genießen, beseitigen Arbeiter derzeit ein paar hundert Meter weiter die rechtsradikalen Parolen auf dem verwitterten Sandstein. Vor etwa drei Wochen wurden die Sprüche auf den Grabsteinen des 1632 eingeweihten Friedhofs von einem Wanderer zufällig entdeckt. „Tod den Juden“ heißt es da, auf anderen Steinen tauchen immer wieder das Hakenkreuz und SS-Runen auf.

Von den Tätern gibt es bisher keine Spur. Und daß obwohl die Gemeinde spontan die ungewöhnlich hohe Belohnung von 5.000 Mark aussetzte. Sogar das bayerische Landeskriminalamt hielt diese Summe für „zu hoch“, aber das biedere Kirschendorf ist ums bisher makellose Image besorgt. Mit der Hiobsbotschaft von den Schändungen ging man erst nach der Schamfrist von einer Woche an die Öffentlichkeit. Gegen den Rat der Polizei. Die wollte das Ganze erst mal totschweigen, weil sie Nachahmungen fürchtet.

Ihre Ermittlungen gehen bisher nur zäh voran. „Wir hoffen auf Hinweise aus der Szene“, sagt Edgar Pfahlmann, Pressesprecher der Bamberger Kripo, Abteilung Staatsschutz, die für die seit 1980 schlimmste antisemitische Tat im Oberfränkischen zuständig ist. Bisher war hier nur einmal ein Friedhofsschild mit Davidstern in Bayreuth geklaut worden, anderswo warfen alkoholisierte Jugendliche im Suff ein paar Grabsteine um.

Trotzdem gilt Oberfranken als heimliche Neonazi-Hochburg: Rechtsradikale bespitzelten in Coburg den „linken Mob“. Das wegen der berüchtigten Todeslisten bundesweit bekannt gewordene Hetzblatt Der Einblick soll hier in der Erstauflage gedruckt worden sein. Und die jährlichen Wallfahrten zum Todestag des Wunsiedeler Stadtsohnes Rudolf Heß sind immer wieder ein Ärgernis fürs nahe Bayreuth, das Wagner-Anbeter Adolf Hitler einst als seine „süße Stadt“ rühmte.

Pretzfelds Bürgermeister Walter Zeißler schickt natürlich Stoßgebete gen Himmel, daß die Täter nicht aus seiner 2.300-Seelen-Gemeinde stammen. In ihr gab es einst drei Synagogen und noch heute drei jüdische Friedhöfe. Dem politischen Umfeld an den Stammtischen scheint eine solche Tat jedoch durchaus zuzutrauen zu sein.

Bei der letzten Bundestagswahl kamen die „Republikaner“ in Pretzfeld auf satte 9,24 Prozent, bei der Europawahl gar auf 24,65 Prozent. Tröstlich, daß im Marktgemeinderat noch kein Rechtsradikaler sitzt. Der Rat verurteilte denn auch einstimmig die „verabscheuungswürdige“ Tat: „Die Täter fügen damit auch dem Markt Pretzfeld und seinen Mitbürgerinnen und Mitbürgern einen erheblichen Ansehensschaden zu.“

Auch die Kirchen reagierten prompt. „Lübeck ist überall“, meinte der evangelische Pfarrer Steffen Weeske. Er und sein katholischer Amtskollege Peter Brandl fragten sich, „wie die Leute wohl reagiert hätten, wenn ein christlicher Friedhof geschändet worden wäre“.

Beide verfaßten deshalb einen offenen Brief, den sie im Gottesdienst verteilten: „Wenn wir als Christen in diesen Tagen auch der Grablegung Jesu Christi, des Sohnes einer jüdischen Mutter gedenken, dann dürfen wir unsere Augen nicht vor der Ungeheuerlichkeit des hier Geschehenen verschließen. Die Ruhe eines Toten zu stören, ist dem jüdischen Gefühl ein unerträglicher Gedanke, eine Vorstellung, die den Lebenden erschauern läßt.“ Die Polizei forderten die beiden Pfarrer auf, „alle Zeugnisse, die uns an jene Menschen erinnern, die einst mit und unter uns lebten, noch stärker unter ihren besonderen Schutz zu stellen“.

Das ist einfacher gesagt als getan. Die bemoosten Mauern des Pretzfelder Friedhofs sind leicht zu überwinden. Das Tor ist zwar stets geschlossen, aber das dazugehörige Schild dürfte Neonazis kaum abschrecken. Da steht geschrieben: „Dieser Friedhof wird dem Schutz der Allgemeinheit empfohlen. Beschädigungen, Zerstörungen und jeglicher beschimpfender Unfug werden strafrechtlich verfolgt.“

Seit gut 55 Jahren leben in Pretzfeld keine Juden mehr. Die letzten jüdischen Einwohner, zwei alte Ehepaare und ein alter Mann, wurden 1938 nach Theresienstadt deportiert.

Nur in die USA emigrierte Nachkommen besuchen heute die Gräber und manchmal auch das alte Pretzfelder Schloß. Das wurde in der „Reichskristallnacht“ verwüstet, weil es Nachfahren des neoimpressionistischen Malers Curt Hermann gehörte. Seine Frau war Jüdin, seine Enkel sind längst emigriert: Sie leben heute lieber in London als in der „lieblichen“ Fränkischen Schweiz.