Neue Belege für alte Vorwürfe

Deutsche Waffen im Einsatz gegen Kurden: Menschenrechtler übergeben Beweise an Auswärtiges Amt / Pro Asyl übt Kritik an Zusammenarbeit deutscher und türkischer Geheimdienste  ■ Aus Bonn Hans Monath

Beweisen, was offensichtlich und schon lange bekannt ist – diese Aufgabe stellten sich gestern Vertreter von Menschenrechts-, Friedens- und Kurdistan-Solidaritätsgruppen in Bonn. An Mitarbeiter des Auswärtigen Amtes und Mitglieder des Auswärtigen Ausschusses übergaben sie Fotos und Zeugenaussagen über die Verwendung deutscher Waffen durch türkisches Militär beim Kampf gegen die Kurden. Kinkels Ministerium hatte um Beweise für den Einsatz deutscher Waffen in der Osttürkei nachgesucht, der seit dem Streit über die Abschiebung militanter Kurden wieder öffentlich diskutiert wird. Das Bildmaterial und Augenzeugenberichte dokumentieren unter anderem die Verwendung von BTR-60-Panzern aus Beständen der Nationalen Volksarmee der DDR. Zu erkennen sind die deutschen Waffen nach Angaben der Menschenrechtler unter anderem an Sonderausstattungen wie etwa Außenspiegeln und schlecht übermalten NVA-Zeichen.

Rund 300 Mitglieder von Delegationen aus Deutschland und anderen Ländern hatten die Beweise Ende März zwischen Newroz-Fest und türkischen Kommunalwahlen in Kurdistan gesammelt, erklärte Martin Glasenapp von der Hilfsorganisation medico International. Neben BTR-60-Panzern hätten die Zeugen Leopard-Panzer, MAN- Truppentransporter, Panzerwagen vom Typ MTW M 113 sowie Spezialeinheiten mit G 3-Gewehren der Firma Heckler & Koch beobachtet und fotografiert. Sie seien aber daran gehindert worden, direkte Kampfeinsätze zu dokumentieren: „Blutende Kurden unter deutschen Panzerketten können wir nicht als Beleg vorlegen“, sagte Glasenapp.

Den Lieferstopp für Waffen, den der Außenminister vergangene Woche verhängt hatte, bewerteten die Menschenrechtler als „Farce“: Die Lieferungen riesiger Mengen von Waffen aus Beständen der NVA an den Nato-Partner sei so gut wie abgeschlossen. Der „symbolische Akt“ solle allein den türkischen Beitritt zur Europäischen Union verzögern, der wegen der Freizügigkeit für die türkische Bevölkerung momentan unerwünscht sei. Nicht nur die Waffenlieferungen, sondern auch wirtschaftliche Hilfe an den Nato-Partner müsse eingestellt werden, forderten die Vertreter der Menschenrechtsgruppen. Nur so sei die türkische Regierung zu einem Waffenstillstand und zu einer Verhandlungslösung für Kurdistan zu bewegen.

Kritik geübt wurde gestern auch an der Zusammenarbeit deutscher und türkischer Geheimdienste. Nach Ansicht der Flüchtlingsorganisation Pro Asyl bringt diese Kooperation politisch aktive Kurden in Gefahr. Das im Vertrag von Schengen vorgesehene Informationssystem (SIS), das neun EU- Länder im Herbst in Betrieb nehmen wollen, stelle eine zusätzliche potentielle Datenbasis für Polizei, Militär und Geheimdienste auch der Türkei dar, kritisierten Pro Asyl und die Deutsche Vereinigung für Datenschutz in Frankfurt.

Vor dem Treffen mit den Menschenrechtlern regte der FDP- Verteidigungsexperte Jürgen Koppelin gestern ein Aussetzen der türkischen Nato-Mitgliedschaft für den Fall an, daß sich die Vorwürfe bestätigen. Außenminister Kinkel will heute im Bundestag eine Regierungserklärung zum deutsch- türkischen Verhältnis abgeben.