Man sitzt ja oft sechzig Stunden

■ Carsten Borgmeier testet fast alle Computerspiele - und ist unter den Kids fast eine Kultfigur

Bewahre! Ans Telefon geht er schon lang nicht mehr. Ein Anrufbeantworter fängt die Fans ab, den Rest erledigen die beiden Assistentinnen, während der Meister an den Fäden seines klitzekleinen Imperiums zieht: Vor zehn Jahren hat Carsten Borgmeier angefangen, für eine längst vergessene Computerspielezeitschrift Testberichte zu schreiben; da war er gerade vierzehn. Heute besitzt er ein weitläufiges Redaktionsbüro in der besten Lage von Delmenhorst, er beschäftigt zwei feste und ein Dutzend freie Mitarbeiter, und zu seinen Abnehmern gehören zwanzig Tageszeitungen von der Passauer Neuen Presse bis zur Schwäbischen Zeitung in Leutkirch, einige bunte Magazine vom Playboy bis zur Maxx, nebenbei der eine oder andere Buchverlag und sowieso mehrere Fernsehanstalten.

„Nie hätte ich das gedacht“, sagt er und versichert mehrmals, daß ihn noch heute ein Schrecken vor der Expansion als solcher quäle. Es ist aber nun einmal mit ihm, dem Spieler, quasi der Markt durchgegangen: Jeden Monat erscheinen mittlerweile sechzig bis siebzig Spiele, und Borgmeier testet sie allesamt zuverlässig für die verschiedensten Medien durch. Was er selber nicht mehr schafft, überläßt er seinen freien Mitarbeitern, die er teils mit Geld und teils mit Spiel-spaß entlohnt. Geld allein käme zu teuer: „Man sitzt ja oft sechzig Stunden, bis man so ein Spiel geschafft hat.“

Borgmeiers Fluch und Segen ist, daß es kaum Leute gibt, die mit dem fulminaten Markt der Computerspiele vertraut sind und zugleich darüber schreiben können. „Grad am Anfang waren das schon oft hundsmiserable Texte.“ Da hörte er also seine Stunde schlagen, und man muß sagen, er hat seinen Vorsprung ausgebaut. Demnächst wird er „bei einer großen öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalt“, wie er sagt, die Leitung einer Computerspiele-Serie übernehmen, die wahrhaftig jeden Tag ausgestrahlt werden soll. Alle Verträge seien unter Dach und Fach, sagt er, nur der Name des Senders müsse noch geheim bleiben.

Ob er der Marktführer auf seinem Terrain ist, weiß er nicht genau. Es könnte aber gut sein. Jedenfalls hat er schon mehrere tausend Spiele bewältigt, geprüft und bewertet nach Grafik, Witz und Benutzerfreundlichkeit, und wenn ihn die Kids ein wenig anhimmeln, dann liegt es daran, daß es nicht mehr viele von diesen großen Brüdern gibt, die einem stecken können, wo es die besten Spiele gibt und wie man sie knackt.

„Das ist für die ganz wichtig“, sagt Borgmeier. „Die identifizieren sich mit uns, und die Spielezeitschriften haben das kapiert: Die bauen ihre Tester regelrecht als Charaktere auf, und immer mit Foto: den einen als Abenteurer, den andern eher als harten Ballerer.“

Umso anhänglicher sind die Fans. Borgmeier versucht aber, jede Zuschrift und jeden Anruf irgendwie zu beantworten, „auch wenn es manchmal hart ist, wenn die auch noch Autogramme wollen und solches Zeug“. Aber er lebt davon, daß seine Testberichte dem Spielgefühl der Leserschaft entsprechen. Da ist jede Rückmeldung von Belang, und schon komplett ausgeschlossen wäre es, sagt er, daß er mal den Begehrlichkeiten der Hersteller nachgibt: „Das macht man einmal, und dann ist man tot. Die Kids sind ja nicht dumm.“

Als er selber mit vierzehn Jahren angefangen hat, mußte er sich noch mit dem Telefon der Eltern behelfen, und selbst als die Rechnung plötzlich in die Hunderte ging, sträubten sich Borgmeiers gegen seinen Wunsch nach einem eigenen Firmenanschluß. „Die fürchteten, ich könnte den bald nicht mehr bezahlen“, sagt er. Schließlich hat er sich durchgesetzt, und er war grad mal siebzehn, als man ihm die Münchner Zeitschrift „Run“ eines Tages via Telefon die Leitung ihres zwanzigseitigen Spieleteils antrug. Er fuhr hin, übernahm, „obwohl die schon ziemlich erschrocken sind, als die sahen, wie jung ich war“, und binnen kurzem „stieg die Auflage drastisch“.

Von an ging auch mit dem jungen Borgmeier unentwegt dahin, und die Eltern hatten ihm längst sogar ein eigenes Büro zugestanden: „Die haben das einfach nicht mehr ausgehalten. Morgens um sieben schon der Kurier mit der Eilpost, dann die normale Post, dann der Wagen von UPS, dann die andern Dienste, und immer jemand am Telefon: Da war schon was los.“

Nun findet er's lustig, daß er mal nebenher zu einer Pressekonferenz in die USA fliegen kann, und mehr noch, daß ihm von aller Welt abgenommen wird, was immer er schreibt. Dabei war alles, was er in seiner Wiege vorgefunden hatte, die Gabe gewesen, ganz nette Schulaufsätze zu machen. „Aber ich hatte ein freies Feld, weil niemand machen wollte, was ich gemacht hab. Schon gar nicht diese oberseriösen Computerspezialisten, die sich für die Spielereien viel zu schade waren.“ Er muß es ihnen nicht nachtragen: „Von denen arbeiten jetzt einige für mich“.

Manfred Dworschak