Illegale Aktionen sind nichts Neues

■ Rückblick auf die Geschichte des Rechtsextremismus in Berlin: Bereits vor über 20 Jahren wurden in West-Berlin Brandanschläge auf politische Gegner verübt / Im Ostteil der Stadt schälte sich die...

Rückblick auf die Geschichte des Rechtsextremismus in Berlin: Bereits vor über 20 Jahren wurden in West-Berlin Brandanschläge auf politische Gegner verübt / Im Ostteil der Stadt schälte sich die Skinheadszene relativ spät heraus

Illegale Aktionen sind nichts Neues

Die Politologen Bernd Holthusen und Michael Jänecke spüren in ihrem Buch „Rechtsextremismus in Berlin“ den unterschiedlichen Wurzeln des Rechtsextremismus in Ost- und West-Berlin nach. Die taz veröffentlicht einen gekürzten Vorabdruck aus dem Buch, das demnächst im Schüren Verlag erscheint.

Ost-Berlin

„Die Deutsche Demokratische Republik hat ... den deutschen Militarismus und Nazismus ausgerottet“; so eindeutig dieser Wunsch in der Verfassung der DDR zur Doktrin geronnen war, so falsch erwies er sich im nachhinein.

Als sich die Jugendkultur Ende der siebziger Jahre in der DDR zunehmend ausdifferenzierte, entstanden sogenannte „informelle Gruppen“, die unterschiedliche Züge von Protestverhalten aufwiesen, ohne daß anfangs der Staat DDR als solcher in Frage gestellt worden wäre. Zu dieser Zeit schälte sich allmählich auch eine Skinhead-Bewegung heraus. Sie war vor allem von männlichen Jugendlichen getragen und bediente sich einer „rechten“ Ästhetik, die – ihre äußeren Erscheinungsformen betreffend – vielfach auf Warenimporte aus dem Westen zurückgriff. Der Ideologievorrat der DDR- Skinheads bestand häufig zunächst aus den erwähnten deutschen Sekundärtugenden. Gleichzeitig traten Skinheads vermehrt gewalttätig in Erscheinung; als Opfer suchten sie sich insbesondere AusländerInnen und Homosexuelle. In den achtziger Jahren wurden jüdische Friedhöfe zum Teil unter Verwendung von NS-Symbolen wiederholt geschändet.

In Ost-Berlin kam neben den Skinheads dem damals sogenannten „negativen Fußballanhang“ des BFC Dynamo (später FC Berlin) große Bedeutung zu; „Aus dem Berliner Fußballanhang sind alle Führungspersönlichkeiten des Ostberliner Rechtsextremismus emporgegangen“, so ein Experte des polizeilichen Staatsschutzes. Die zunächst völlig unvorbereitet agierenden Instanzen von Staat und Polizei ließen sich durch einen in aller Regel hervorragenden Leumund der Skinheads innerhalb der Arbeitskollektive verblüffen. Galten doch jene jungen Männer als arbeitsam und überhaupt vorbildlich, insofern die DDR in ihren Werthaltungen auf eben jene Sekundärtugenden zurückgriff. Da auch Institutionen wie die „Nationale Volksarmee“ und die „Gesellschaft für Sport und Technik“ – freilich ihres idelogischen Überbaus entkleidet – gerne zur Wehrertüchtigung genutzt wurden, bot sich auch hier kein offensichtlicher Indikator für rechtsextreme Entwicklungen. In Strafverfahren wurde zumeist unter dem Tatvorwurf „Rowdytum“ entpolitisiert. Die erste Phase fand ihr Ende nach dem Überfall von Skinheads auf ein Punkkonzert in der Ostberliner Zionskirche im Oktober 1987. An diesem Vorfall wurde deutlich, daß es bereits Kontakte zu rechten Skinheads aus West-Berlin gab, die sich an der Aktion beteiligten. Der Überfall zeigte, daß mittlerweile auch „Linke“ ins Visier genommen wurden, und unterschied sich von vorangegangenen vor allem dadurch, daß er eine große unmittelbare Öffentlichkeit hatte. So wurde es unumgänglich, rechtsextreme Tendenzen in der DDR erstmalig auch öffentlich zu thematisieren. Die Westberliner Beteiligung wurde dahingehend instrumentalisiert, daß eine Steuerung aus dem Westen vorliege und mithin das ganze Problem importiert sei. Für die Skin-Szene hatte der Vorfall weit mehr als mediale Folgen. Eine verstärkte Repression setzte ein.

Die Konsequenzen: Die Gruppenstrukturen verfestigten sich, die Haare wuchsen wieder, aus „Glatzen“ wurden sogenannte „Scheitel“ oder „Faschos“, wie die selbstgewählte politische Etikettierung lautete. Gleichzeitig nahm die Ideologisierung der Gruppen zu. Die Szene rezipierte sowohl rechtsextreme Schriften aus dem Westen, las aber auch die marxistischen Klassiker „rückwärts“. Soweit es zu Haftstrafen nach Gerichtsverhandlungen kam, wurde das Gefängnis nicht ohne Stolz zur „Akademie“ verklärt, und die Ideologie verfestigte sich weiter. Nach der Maueröffnung im November 1989 kamen inhaftierte Rechtsextreme aufgrund von Amnestien und auslaufenden Haftstrafen in dichter zeitlicher Abfolge frei. Draußen trafen sie auf funktionstüchtige Strukturen, während der staatliche Widerpart aufgrund einer tiefgreifenden Verunsicherung nahezu entfiel. Bis zum Herbst 1990 konnten sich Rechtsextreme fast ungehindert entfalten.

Waren die Gruppierungen zu alten DDR-Zeiten zwangsläufig informell strukturiert, konnten sie nun einen qualitativen Sprung hin zu legalen und vergleichsweise offen agierenden politischen Organisationen wagen. Erfahrungen ehemaliger informeller Gruppen wurden zügig in den Aufbau legaler Organisationen umgesetzt. Gleichzeitig fehlten Kenntnisse über das Wie von politischen Organisationen und die nunmehr völlig veränderten politischen Bedingungen; der Bedarf an Unterstützung durch westliche Kameraden war zunächst enorm.

Aus dem Westen setzte ein Run von Organisationen auf den neuen Markt ein, andersherum nutzten rechtsextreme AktivistInnen aus der DDR die Möglichkeit, ihre Idole im Westen besuchen zu können. Die Praxis der Rechtsextremen wurde zunehmend militanter. Angriffe gegen AusländerInnen, „Linke“, Polizeiangehörige, Homosexuelle und andere Personen, die diesen Feindbildern zuzurechnen schienen, nahmen zu. Als Reaktion auf diese Vorfälle verstärkte sich die Bereitschaft zu antifaschistischen Aktionen sowohl ideologisch als auch praktisch. Autonome und HausbesetzerInnen wurden neben der weiterhin recht zaghaften Volkspolizei zum Widerpart der rechten Szene.

Die vierte Phase des Ostberliner Rechtsextremismus setzte mit der Vereinigung der beiden Stadthälften ein. Die Westberliner Polizei wurde auch für Ost-Berlin zuständig und demonstrierte bereits am 3. Oktober massive Präsenz – zunächst gegen KritikerInnen der Wiedervereinigung. Spätestens mit den Einsätzen zur Räumung der besetzten Häuser in der Ostberliner Mainzer Straße im November 1990 zeigten die Westberliner Einsatzbereitschaften der Polizei, daß ihnen der Ruf einer schlagkräftigen Truppe zu Recht vorauseilte. Diese Einsätze wurden auch von Rechtsextremen vor Ort beobachtet. Mehrere Polizeiaktionen gegen das Zentrum der neonazistischen „Nationalen Alternative“ (NA) in der Lichtenberger Weitlingstraße verdeutlichten den Rechtsextremen, daß die ehemals Westberliner Polizei wesentlich durchsetzungsfähiger war als ihr vorheriger Gegner, die Volkspolizei der Übergangsphase.

Die Bedingungen für illegale Aktionen im Umland erwiesen sich als ungleich besser als im Stadtgebiet. Man hatte und hat es hier weiterhin mit einer recht desolaten Polizei zu tun. Auch legale Veranstaltungen fanden im Umland Berlins günstigere Voraussetzungen: Veranstaltungsstätten waren leichter anzumieten, und antifaschistische Gegenaktionen sowie eventuelle Veranstaltungsverbote waren bei weitem unwahrscheinlicher.

West-Berlin

Ganz anders als in der ehemaligen DDR, kann für das alte Bundesgebiet eine Jahrzehnte währende Geschichte des Rechtsextremismus nachgezeichnet werden. Sofern Rechtsextremismus über ein bloßes Protestverhalten hinaus von einer Einstellung hin zu einer – wie auch immer gearteten – Handlung umschlug, suchten sich Rechtsextreme zumeist eine enge organisatorische Anbindung. Da sich in allen gesellschaftlichen Schichten aktive Rechtsextreme finden, entstand ein breitgefächertes Angebot an Ausprägungen rechtsextremer Organisationen. In West-Berlin wurden seit dem Beginn der politisch-organisatorischen (Re)- Formierung des Rechtsextremismus in den fünfziger Jahren diverse kurz- oder längerlebige rechtsextreme Gruppen und Parteien gegründet. Die Alliierten gingen mit Hilfe ihrer Sonderrechte in der Stadt (in Zusammenarbeit mit ihnen auch die deutschen Behörden West-Berlins) von Anfang an vergleichsweise restriktiv gegen rechtsextreme Bestrebungen vor.

Wenngleich das Bild der sechziger Jahre weithin vom gesellschaftlichen Aufbruch geprägt ist, kam es auch in dieser Dekade zu zahlreichen rechtsextremen Aktivitäten. So gab es 1960 in West-Berlin eine Welle rechtsextremer Schmierereien. Auch Gewalttaten mit rechtsextremer Motivation mußten bereits in den Sechzigern in West-Berlin verzeichnet werden; freilich mit einer zeitgeschichtlich typischen Zielrichtung. Zwei Brandanschläge richteten sich gegen Häuser prominenter Befürworter der Oder-Neiße-Linie. Auf einen sowjetischen Wachposten am sowjetischen Ehrenmal in Tiergarten wurde im November 1969 durch den Rechtsterroristen Ekkehard Weil ein Attentat verübt. Auch rechtsextreme Organisationen wurden in den Sechzigern weiter gegründet. So wurde zum Beispiel 1966 in West-Berlin die bundesweit seit 1964 aktive „Nationaldemokratische Partei Deutschlands“ (NPD) ins Leben gerufen. Drei Jahre später wurde ihr untersagt, Landesparteitage abzuhalten. Kennzeichnend für die siebziger Jahre ist eine Ausdifferenzierung der rechtsextremen Szene. Es war eine Zunahme illegaler und terroristischer Aktivitäten zu beobachten. AnhängerInnen der 1970 unter NPD-Beteiligung gegründeten „Aktion Widerstand“ („Aktion W“) warfen die Schaufenster linker Buchläden ein. Während eine 1971 in Berlin gründete „Nationale Deutsche Befreiungsbewegung“ (NDBB) im gleichen Jahr verschiedene Überfälle mit Waffengewalt nur planen konnte, hatten Angehörige des „Bundes Heimattreuer Jugend“ (BHJ) vom Westberliner Stadtteil Frohnau aus Grenzanlagen der DDR beschossen.

Nachdem die NPD 1969 bundesweit knapp an der Fünfprozenthürde gescheitert war, gründeten 1972 u.a. unzufriedene NPD- Mitglieder die Westberliner Gliederung der „Aktion Neue Rechte“ (ANR). Diese Gruppierung bemühte sich intensiv um eine Modernisierung des Rechtsextremismus, nicht zuletzt, weil die gängige Indentifikation beispielsweise der NPD mit den „Ewiggestrigen“ ernstzunehmenden Erfolgen der Rechtsextremen den Weg verstellte. 1973 wurde der Berliner Landesverband der mitgliederstarken „Deutschen Volksunion“ (DVU) in Berlin gegründet. Seit 1977 mußte die NPD ein Verbot jeglicher Propaganda hinnehmen.

Jenseits des mehr oder weniger legal und organisiert strukturierten Rechtsextremismus kam es auch zu anderen Erscheinungsformen, die parallel zu bundesweiten Trends verliefen: Ende der siebziger Jahre spielte die sogenannte „Hitler-Welle“ insbesondere an Berliner Schulen eine Rolle.

Anfang der achtziger Jahre erwies sich die früher oft formulierte Hoffnung, daß sich das Problem Rechtsextremismus beizeiten biologisch erledigen würde, zunehmend als irrig; rechtsextreme Tendenzen mußten zunehmend bei männlichen und weiblichen Jugendlichen beobachtet werden:

– Insgesamt kam es in der Stadt zur Ausbildung einer Skinhead- Szene, die sich in großen Teilen nach rechts organisierte. Soweit es sich um rechte Skins handelte, wurde deren Spielraum vor allem durch die Antifa eingeschränkt.

– Als eine neue Variante rechtsextremer Agitation erreichten Computerspiele unter Namen wie „Anti-Türken-Test“, „Hitler Diktator“ usw. die Stadt und zahlreiche computerbegeisterte Jugendliche. Auch wurden Mailboxen für rechtsextreme Parolen genutzt. Mit einer Aufklärungsaktion „Löscht den Mist von der Disk“ des Westberliner Jugendschutzes konnte diese Variante des Rechtsextremismus erfolgreich zurückgedrängt werden.

– Seit Mitte der achtziger Jahre ereigneten sich an Westberliner Schulen rechtsextreme Vorfälle, die von rassistischen Anmachen gegen ImmigrantInnenkinder bis zur Verteilung von Materialien rechtsextremer Organisationen reichten.

– Auch in der Schulorganisation der Westberliner Jungen Union zeigten sich rechtsextreme Tendenzen, an denen sich später führende Mitglieder der Berliner „Republikaner“ beteiligten.

Als sich die „Republikaner“ (Rep) 1987 in Berlin formierten, nahmen sie von vornherein eine Sonderrolle im Spektrum des Berliner Rechtsextremismus ein. Diese Partei, in Bayern als Abspaltung der CSU entstanden, speiste sich in Berlin zu einem nicht unerheblichen Teil aus ehemaligen Funktionsträgern der Jungen Union, die sich heute teilweise bei der „Deutschen Liga für Volk und Heimat“ (DL) wiederfinden. So galt diese Partei offiziell nicht als rechtsextrem und mußte dementsprechend kaum Restriktionen fürchten. Eine breitere Westberliner Öffentlichkeit wurde erst im Januar 1989 aufmerksam und beunruhigt, als die „Republikaner“ mit 7,5 Prozent der Stimmen in das Abgeordnetenhaus und fast alle Bezirksverordnetenversammlungen einzogen.