Regierungswechsel vielleicht in hundert Jahren?

■ In der traditionell autoritären Elfenbeinküste gibt es keine politische Öffnung

Abidjan (taz) – Der neue Präsident der Elfenbeinküste hat sich schnell Respekt verschafft. Zunächst ließ Henri Konan Bedié ausstehende Beamtengehälter, Stipendien und Renten zahlen, mit denen schon niemand mehr gerechnet hatte. Dann entließ er die Führungscrew der von der Bevölkerung geringgeschätzten städtischen Nahverkehrsbetriebe. Schließlich verordnete er den zahlreichen Ministern in seinem Kabinett kleinere Dienstwagen. Die luxuriösen Mercedes-Limousinen haben ausgedient.

Bedié kann Sympathien brauchen. Die politische Lage seines Landes ist wacklig. Sein Vorgänger Félix Houphouät-Boigny hatte die Elfenbeinküste seit der Unabhängigkeit 1960 regiert. Beim Tode des dienstältesten Staatschefs Afrikas am 7. Dezember 1993 – schicksalsträchtig am Nationalfeiertag – war die Elfenbeinküste das Land mit der höchsten Pro-Kopf-Verschuldung auf dem Kontinent. Anfang Februar wurde Houphouät- Boigny im Beisein von 26 Staatschefs feierlich zu Grabe getragen. Für die Zeit danach hatte die Opposition Streiks und Demonstrationen angekündigt.

Die erwarteten Unruhen blieben aus. Dabei hatten die Ivoirer im Januar mit der Abwertung des CFA-Francs einen Schock verkraften müssen. Bedié gelang es, die Folgen der Abwertung zu mildern: Er ließ die Preise für 35 Produkte, darunter Grundnahrungsmittel wie Reis und Brot, einfrieren. Und die EU gab umgerechnet 110 Millionen Mark, um importierte Medikamente bezahlbar zu halten. Derzeit verhandelt Bedié mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF) über ein neues Abkommen. Die Geldgeber fordern unter anderem: fast jeder dritte Beamte soll entlassen werden.

Die Elfenbeinküste ist für afrikanische Verhältnisse reich. Gut ausgebaute Straßen verbinden die Hauptstadt Abidjan am Atlantischen Ozean mit dem Rest des Landes. Die Skyline der Millionenstadt mit ihren gläsernen Firmenpalästen würde jede europäische Metropole schmücken. In den Boutiquen des mondänen Geschäftsviertels Plateau kleiden sich höhere Töchter nach der neuesten Mode aus Paris, wenn sie nicht direkt in der französischen Hauptstadt einkaufen. Die Fluggesellschaft Air Afrique wirbt für Kurztrips zu Sondertarifen: „Immer mehr Afrikaner fliegen zum Shopping nach Europa.“

Die meisten Ivoirer haben davon nicht viel. Die überall in Westafrika ähnlichen Zeichen der Armut sind auch in den „besseren“ Vierteln Abidjans nicht zu übersehen. An verkehrsreichen Straßen und Kreuzungen betteln Krüppel, die sich wegen ihrer gelähmten Beine nur auf Händen fortbewegen können – Kinderlähmung ist wegen zu teurer Impfungen weit verbreitet. Neben luxuriösen Villenvierteln dehnen sich riesige Slums, wo Menschen in Holzbaracken oder auf der Straße leben.

Schlüssel zum Erfolg: Gute Beziehungen

Die besten Chancen auf ein angenehmes Leben haben Familien, die es mit der Regierungsclique halten. Houphouät-Boigny verstand es meisterhaft, die einflußreichen Stämme des Landes im Proporz an der Macht zu beteiligen. Er selbst gehörte zu den zentralivoirischen Baoulé, die heute in allen Schlüsselpositionen zu finden sind. Seine Heirat mit Mamie Kadi Sow aus dem Adel der Agni brachte ihm die Unterstützung dieses Volkes aus dem Osten des Landes ein. Auch in den islamischen Norden knüpfte er Bande: Er ließ sich von König Papepro Gbon Coulibaly als Sohn adoptieren.

In der größten Stadt des Nordens, Korhogo, bewohnt Kassoum Coulibaly ein festungsartiges Anwesen mit Wagenpark und Satellitenschüssel. Der 58jährige hat es zum Transportunternehmer und Mitbesitzer der Daimler-Benz- Vertretung in der Elfenbeinküste zum Millionär gebracht. Er kann weder lesen noch schreiben, doch das hinderte ihn nicht, in der Politik Karriere zu machen: Er ist Parlamentsabgeordneter der Regierungspartei PDCI. Von Demokratie hält der Volksvertreter freilich nicht viel. In hundert oder zweihundert Jahren seien die erst 1990 legalisierten Oppositionsparteien vielleicht reif zu regieren. Vorerst lehnt Coulibaly es ab, auch nur mit ihnen zu reden. „In Europa können sich alle Parteien an einen Tisch setzen“, behauptet er. „In Afrika ist das anders.“

„Anders“ sollte die Elfenbeinküste nach dem Willen Houphouät-Boignys jedoch nie sein. Ob Schulen, Verwaltung oder Rechtswesen – die ivoirische Gesellschaft ist französisch organisiert. So beruft sich sogar die ivoirische Norm zur Regelung von Fleischimporten auf eine französische Veterinärvorschrift aus dem Jahre 1815. Fast in jedem Kabinett eines Ministers sitzen französische Berater. Sie arbeiten aufgrund der französischen Gesetze die Erlasse und Verwaltungsvorschriften aus, die der Minister nur noch unterschreiben muß. Französisches Kapital steckt in den meisten ivoirischen Firmen, und deren Chefs sind häufig Franzosen.

Bediés Machtübernahme war genau abgesprochen

Seinen letzten Coup landete Paris just mit der Amtsübernahme Präsident Bediés. Am Tag des Todes von Houphouät-Boigny ging der damalige Parlamentspräsident zusammen mit dreißig Soldaten in das Gebäude der staatlichen Fernsehanstalt, setzte sich neben den Nachrichtensprecher und rief sich live in den Abendnachrichten zum neuen Staatschef aus. Die Ivoirer – die nicht daran zweifelten, daß diese Aktion mit Paris abgesprochen war – überlegten noch, was sie davon halten sollten, als Bedié schon mit Glückwunschtelegrammen aus Paris überschüttet wurde. Zuvor hatte die französische Regierung deutlich gemacht, daß die ivoirische Verfassung respektiert werden müsse. Die besagt, daß im Todesfall automatisch der Parlamentspräsident die Nachfolge des verstorbenen Staatschefs übernimmt. Houphouät-Boigny hatte die Regelung seinerzeit gegen den Protest der Opposition durchgesetzt. Es geht das Gerücht um, daß Bedié ein unehelicher Sohn des „Alten“ sein soll.

Die Zeitung La Voie, die der Oppositionspartei FPI („Ivoirische Volksfront“) nahesteht, empörte sich über den „Staatsstreich Frankreichs“. Auch in der regierenden PDCI gab es Unmut: Premierminister Alassane Ouattara meldete eigene Ansprüche an und versuchte, den Obersten Gerichtshof einzuschalten. Aber dem ehemaligen Skandalminister Bedié, der in 70er Jahren als Finanz- und Wirtschaftsminister wegen Bestechung ins Gerede gekommen und von Houphouät aus dem Verkehr gezogen worden war, ist es gelungen, die Partei wieder geschlossen hinter sich zu bringen.

Es sieht nicht danach aus, als würden die für 1995 vorgesehenen Wahlen einen Wechsel bringen. Die notorisch gespaltene Opposition legt sich manches Hindernis selber in den Weg; ein neuer Fusionsversuch endete kürzlich mit Spaltung. Ein populärer Politiker der FPI geht in seinem Mißtrauen gegenüber den eigenen Parteigenossen so weit, daß er mit ihnen nicht mehr gemeinsam ißt – aus Angst, vergiftet zu werden. Martina Keller