Die Vermüllung der Bezirke

■ Ob in Kreuzberg, Tiergarten, Marzahn oder Zehlendorf: Vandalismus und Müllberge nehmen zu / Die Verslumung als politischer Protest / Auswege über Bürgerbeteiligung

Die Stadt geht in den Frühling, Beete und Büsche werden gestutzt, der Dreck des Winters kommt zum Vorschein, Verwaltungen begutachten den öffentlichen Raum, Medien rufen zu „Putztouren“ auf. Kaum ein Bezirk in der Stadt, der nicht über Vandalismus und Dreck klagt. Sobald nach einem sonnigen Wochenende der Görlitzer Park von Tausenden frequentiert wurde, kann Kreuzberg sich ans Aufräumen machen. „Rund 20 Kubikmeter Abfälle aller Art, von Holzkohle, Essensresten, Mülltüten bis hin zu Wohngarnituren kommen dann manchmal zusammen“, erzählt der Leiter des Grünflächenamtes, Hilmar Schädel. Abfall und Vandalismus sind kein ausschließliches Problem der armen Bezirke. Selbst wo das Geld lockerer sitzt, werden Grünanlagen zerstört. Beispiel Zehlendorf: Dort wurden im vergangenen Jahr rund 15 Prozent mehr Schäden als 1992 verzeichnet. Wo in früheren Zeiten die Bezirke solche Schäden fast unbemerkt von der Öffentlichkeit behoben, läßt heute die desolate Finanzlage künftige Stadtruinen entstehen. Schon überlegt Zehlendorfs Baustadtrat Klaus Eichstädt (CDU) öffentlich, ob in Zukunft „noch beschädigte und zerstörte Ausstattungsgegenstände ersetzt werden“.

Sein Kollege Horst Porath (SPD) aus Tiergarten kann ähnliche Fälle schildern. Eine Brunnenanlage im Englischen Garten wurde jüngst verstopft, eine weitere in der Waldstraße mit Matratzen, Bettgestellen, Plastiktüten und Unrat so weit zerstört, daß der „Betrieb auf unbestimmte Zeit“ eingestellt werden mußte. Und der Ostberliner Bezirk Marzahn gibt jedes Jahr 250.000 Mark für die Müllbeseitigung aus, um seine 400 Hektar Grünland zu pflegen. „Ohne großen Erfolg, vieles ist meistens innerhalb einer Woche bereits wieder zugemüllt“, wie Gartenamtsleiter Gerd Steinberg erklärt.

Die Berliner Stadtreinigungs- Betriebe (BSR), zuständig für das öffentliche Straßenland, kann eine Zunahme des Mülls nicht feststellen. „Der subjektive Eindruck stimmt mit unseren Zahlen nicht überein“, meint BSR-Sprecherin Sabine Thümler. Die Menge von 650.000 Kubikmetern Straßenkehricht im vergangenen Jahr sei gegenüber 1992 fast gleichgeblieben. Auch die Menge des Hundekots, von dem in Berlin nach Schätzungen der BSR täglich allein 40 Tonnen anfallen.

Der Umgang der Menschen mit ihrer Stadt, das Problem der Zerstörung und des Vandalismus wird kaum erforscht, die Wissenschaft hinkt hinterher. Daß Hausflure, Hinterhöfe, Parks mit Abfällen regelrecht zugeschüttet werden, scheint Ausdruck eines allgemeinen Wertewandels zu sein. Dem, was politische und soziale Öffentlichkeit ausmacht, wird immer weniger Interesse entgegengebracht. Nicht nur Parteien, auch Initiativen können kaum noch Menschen binden. Manche sehen in der Verslumung des öffentlichen Raumes sogar ein Zeichen für politischen Protest. „Mir ist es zu sauber hier“ – solche Graffiti finden sich an einigen frisch renovierten Häusern in Kreuzberg. Darin drückt sich eine Haltung aus, die die Bindungen an den Stadtteil genau andersherum definiert, als es sich Lokalpolitiker gerne vorstellen. Gerade im Dreck und nicht in der scheinbar sauberen Stadt fühlt man sich wohl. Es gibt einen Widerspruch zwischen dem, was öffentlich über Medien propagiert wird, und dem, wie sich der Einzelne selbst einschätzt.

So stellte eine 1992 im Auftrag des Umweltbundesamts durchgeführte Befragung von 1.978 Personen in den alten Bundesländern und 1.037 Personen in der ehemaligen DDR fest, daß zwischen Stadt und Land eine große Lücke klafft: In Kommunen mit über 100.000 Einwohnern war das „ökologische Problembewußtsein“ um fast zehn Prozent geringer als in jenen mit 20.000 und weniger Einwohnern.

Daß es – trotz vielzitierter Anonymität der Großstädte – auch anders gehen kann, zeigt wiederum das Beispiel Kreuzberg. Das im Vergleich zu anderen Bezirken immer noch dichte Netz sozialer Verflechtungen macht möglich, was woanders der Lethargie schon gewichen ist. So wird im dortigen Grünflächenamt in diesem Frühjahr ein Versuch gestartet, einer Gruppe von rund 20 Bürgern die Pflege von sechs Beeten in der Reichenberger Straße zu übertragen. Die Straße ist seit längerem ein Problemfall: Die sorgsam angelegten 25 Quadratmeter großen Flächen beidseitig der Straße wurden in der Vergangenheit des öfteren zerstört. Die Anwohner, die von sich aus auf den Bezirk zugingen, wollen hier in Eigenregie Wildkräuter und Stauden anlegen, die Samen stellt der Bezirk zur Verfügung.

Es ist nicht nur die Hoffnung, daß Verantwortung vor der Haustür die Zerstörungen minimiert. Auch finanziell ist das Vorhaben durchaus lukrativ, wie die stellvertretende Amtsleiterin des Grünflächenamtes, Dagmar Elbrandt, erklärt: „Wenn wir die Bepflanzung an eine Fremdfirma übergeben hätten, wären die Kosten fünfmal so hoch“. Severin Weiland