Den Stier ohne Hörner packen

Anmerkungen zu 15 Jahren „Frauen(seiten)“ und Geschlechterkampf in der taz  ■ Von Elke Schmitter

Die Sache fing schon typisch an. Fünfzehn Jahre taz, wir wollen dieses Datum nicht vorübergehen lassen, ohne uns ein paar Gedanken zu machen, was aus dem Bewegungsblatt geworden ist. Die wichtigsten Themen und Aufgaben der taz werden, sagen wir mal, wie früher, eingebracht, Ökologie, Ost- taz, Projektentwicklung. Und natürlich Frauen.

Wer könnte denn da was machen? Ist da noch eine von früher, die erzählen könnte ...? Da ist kaum eine mehr, und die, die noch da sind, wollen nicht. Riecht nach Verlustgeschichte. Muß aber sein...

Schließlich sitze ich, die zur taz kam, als die Frauenseite gerade abgewickelt wurde, im Archiv und blättere alte Zeitungsseiten durch. Bin von dem, was ich da lesen durfte, sofort semantisch infiziert, so daß ich diesen Artikel beginne wie jene der alten Zeiten, die ich nur als Historie kenne: Du, ganz persönlich, so, wie es war. Also los.

Der Überlieferung nach war die taz von Anfang an ein Projekt, das numerisch und wirkungstechnisch beinahe nur Männer betrieben. Unmittelbar nach der Installation der taz in Berlin (insgesamt 70 bezahlte Leute, in der Redaktion dort 6 Frauen und 26 Männer) ist „die einzige Full-time-Frau, die noch die Frauenredaktion verkörpert hat, in ihre Regionalredaktion nach Hannover heimgekehrt“. Aus dieser naturwüchsig patriarchalen Ackerlandschaft rufen die taz-Frauen insgesamt die Leserinnen zu „Informationen, Artikeln, Meinungen, Fotos und Illustrationen und natürlich auch Kritik“ auf, damit „die ganzen sich einschleichenden Sachzwänge und Mechanismen in solch einem Projekt“ nicht zu dem führen, was nicht sein kann, weil's nicht sein darf: „Wir werfen die Flinte (noch) nicht ins Korn“ ist die Seite 3 vom 17. 4. 79 überschrieben.

Vier Monate später eine Seite, die in schöner Offenheit sich das erlaubt, was seit den Neunzigern immer seltener wurde: wortreiche Selbstkritik. „Warum ist das Niveau der Feminismus-Diskussion in der taz so niedrig?“ heißt der Artikel, in dem ich nachlese, was ich mir nicht hätte vorstellen können: „Die Frauenbewegung“, schreibt da ein Feminist, „hat sich immer mehr in sozial-karitative Reservate zurückgezogen, sofern sie nicht gänzlich dem Mystizismus verfallen ist. Übriggeblieben ist von der Frauen- wie Männerbewegung die Bewegung der Homosexuellen ...“

Thema des Textes: der progressive Alltag. Wohin mit der Lust, wenn die Gesellschaft nur kleinbürgerliche, repressive, sexistische Ausdrucksformen gestattet und/ oder gebietet? Ist eine neue Prüderie der Ausweg? Sehr vorsichtig, sehr politically correct taucht hier das Thema der Zukunft auf: Über die Unterdrückung der Frau im allgemeinen und besonderen werden sich alle schnell einig. Um das Thema Sexualität geht man, Girlanden redend, herum. Und hofft, daß irgendwer (am liebsten natürlich die Frauen selber) das „mal anspricht“, was offenbar allen im Magen beziehungsweise darunter liegt. Aber immerhin: Hier bemüht sich noch ein denkender Mann. Je weiter ich in unsere Jetztzeit blättere, um so mehr weiß ich das zu schätzen.

Der große Frauenstreik wird am 14. September 1980 ausgerufen: „Die Frauenredakteurinnen wollen nicht mehr.“ Arbeitsüberlastung, mangelnde Wertschätzung, Reduzierung der Frauen- auf „Betroffenenberichterstattung“. „In dieser gespannten Situation wurde der sexistische Artikel eines Herrn Gailer, an der Redaktionskonferenz vorbei, in der taz veröffentlicht. Dieser als Provokation gemeinte Artikel führte zu heftigen Diskussionen, nicht nur innerhalb der taz selbst.“ Als noch eine gezielt sexistische Karikatur-Seite veröffentlicht wurde, traten die taz-Frauen in einen einwöchigen Streik, an dem sich bis auf eine Säzzerin alle Frauen beteiligten. Gemeinsame Forderungen wurden formuliert: 52 Prozent der Stellen in der taz für Frauen.“ Denn: „Entwicklungen, die zur Frauenseite geführt haben, existieren weiterhin, nur umgeht Mann und Frau auch die weiteren Auseinandersetzungen, die unbedingt notwendig sind... Zunehmend erfüllen Frauen mit feministischen Ansätzen Alibi-Funktionen. Ob wir taz- Frauen noch weiterhin die Kraft haben, die anstehenden Auseinandersetzungen zu führen, wird sich zeigen.“

Ein kleiner aktueller Einschub zur auffälligsten Differenz: In den nun schon historischen Auseinandersetzungen um die Hälfte des Himmels und der Erde gab es offenbar einen Schiedsrichter: die Leserschaft. Wenn es den Frauen (oder auch anderen Gruppen) zuviel, zu mühsam, zu elend wurde, riefen sie den letzten, den mächtigsten Adressaten an: Euch. Eine imaginäre Elternschaft, der Projektion nach gütig, gerecht und aufmerksam – und mächtig.

Es finden sich verstreute Artikel über „Die Frau in der islamischen Weltanschauung des Koran“, feministische Erotik („Wir fordern abtrennbare Schwänze; vielfältige Sexualorgane; ein neues Sexualorgan an einem Ballon, der alternativ nach innen oder nach außen gekehrt werden kann ...“), schließlich, am 3. 2. 81, der Gong: „Hier ist sie, die erste der täglichen Frauenseiten, die wir nach 2 Jahren taz für notwendig halten.“ Im Angebot: Reportagen, Dokumentationen aus der Arbeitswelt, Theorie, eine Alltagskolumne unter dem aufmunternden Titel „Blues“. Die Seite heißt, utopisch-friedlich, „Frauenland“; die Frauenredaktion hat ein Konzept, das heißt: Sexismus gehört auf alle Seiten, feministische Utopie und Erfahrung gehören uns.

Die verschriftlichte Wirklichkeit sieht anders aus: „Polens Frauen tragen die doppelte Last“ und die „Doppelbelastung arbeitender Mütter in Berlin“ erscheinen eben doch im „Frauenland“, zwischen Portraits von Künstlerinnen, Theoriediskussionen und Rezensionen feministischer Zeitschriften. Es scheint nicht so einfach zu sein, den Sexismus und die Benachteiligung der Frau als die ganze Wirklichkeit und Zeitung betreffend durchzusetzen. Schon nach einem Jahr heißt es in einer Diskussion mit Courage-Frauen in der taz: daß „Frauenthemen letztendlich nicht als so wichtig gelten, das ist ja auch die Begründung, warum es eine Frauenseite gibt – wobei ich eigentlich immer noch für die Abschaffung der Frauenseite wäre –, aber von der Realität her ist das absurd“. Und hier taucht erstmals auf, was dann immer wiederkehrt, in der Erstfassung bereits erschöpft: „Es ist doch komisch, gerade in der Linken kann eigentlich keine Forderung radikal genug sein, das gehört sozusagen zum sozialen Selbstverständnis ... Aber wo der Blick auf die Frauenbewegung gelenkt wird, bekommt das so was nach dem Motto: Also Kinder, ihr müßt es doch nicht übertreiben, nun macht's doch nicht so hundertprozentig ... Wenn derselbe Fritze sich gegen die Startbahn West wendet und alle Mittel richtig findet und eben auch eine Unversöhnlichkeit an den Tag legt, dann soll er mir nicht erzählen, ich soll mich in der Frauenfrage doch bitte ein bißchen weicher verhalten.“

Macht er aber. Was noch mehrfach wiederkehrt – und zwar verläßlich beim Thema Sexualität –: das dauerhafte Unbehagen und die Gesprächsstörung der Beteiligten. taz-Frauen und -Männer: scheint eine schlechte Arbeitsehe zu sein.

Die taz-Frauen beweisen gleichwohl produktive Ausdauer. Die Frauenredaktion macht täglich „Frauencooltour“, berichtet über den sexuellen Mißbrauch von Mädchen, die Diskriminierung von Wissenschaftlerinnen, Frauen bei den Grünen, die alternative Marienbewegung, Abtreibungspraktiken. Am 14. 6. 86 ein bezeichnender „letzter Aufruf“: „Wir haben die Stelle für unsere Inlands-Koordinatorin ohne Erfolg über Monate ausgeschrieben ... Es wird also von jetzt an nach einem Mann gesucht. Und da findet sich erfahrungsgemäß schnell jemand, der ehrgeizig und karrierebewußt genug ist, daß er Selbstzweifel und Angst vor Überforderung in sich wegdrückt, bis er in die neuen Aufgaben hineingewachsen ist.“ (Immerhin das hat sich geändert: Die immer wieder beklagte Asymmetrie bei den Führungspositionen in der taz ist in der Redaktion seit Jahren überwunden, in den anderen Bereichen gemildert.)

Knapp zwei Jahre später die nächste interne Erhebung, die vielleicht populärste der taz: Es tobt, wen wird es überraschen, ein neuer Sexismus-Streit. Eine pornographische Seite zum Frauentag (von Männern und Frauen geschrieben und ins Blatt gebracht, aber von den meisten Frauen und nicht wenigen Männern als „dumm“ bis „widerwärtig“ bis „sexistisch“ abgelehnt) bringt die taz-Frauen zum Streik. „Dann ein erster Analyseversuch: Die jetzige Lage ist ein Ergebnis der allgemeinen Kommunikationsunfähigkeit zwischen den Geschlechtern, in der taz ist das schließlich nicht anders als sonstwo. „Was die Frauen nur immer haben?“ Das jedenfalls haben sie satt: „Ein bißchen Porno, ein bißchen Sex, ein bißchen Seitenhieb aufs Feministische. Eine sicher unbeabsichtigte, aber haargenaue Mischung, um eine Stimmung auszudrücken, die feministische Positionen und Arbeit lächerlich zu machen versucht.“

Was aus dem Streik über zwei Tage wird? Keine Kündigung jedenfalls, keine Abmahnung. Eine Debatte darüber, was Pornographie sei, was Sexismus (naturgemäß ergebnislos, aber deshalb nicht weniger interessant). Eine „Arbeitsgruppe Sexismus“. Beim Thema Sex verhaken sich Arbeits- und Lebenswelt, deshalb verschwindet die Geschichte der Frauen(seiten) in der taz immer wieder unter diesen Aufständen des Unbewußten: Alles kann man sich vom Leibe halten qua Professionalität, das aber nicht.

Letztes Kapitel der Verlustgeschichte herstory: die Selbstabwicklung der Frauenseite vor ziemlich genau vier Jahren. Die nicht überraschende Begründung: Statt zwei, drei Seiten Schrebergarten pro Woche lieber als Freie und Gleiche das ganze Feld bestellen. Raus aus dem ungefährlichen feministischen Abseits, hinein in den wilden patriarchalen Alltag. (Als gäbe es da draußen einen Stier, der sich an den Hörnern packen ließe – nachdem elf Jahre taz gezeigt haben: Der Stier hat gar keine Hörner. Es gilt nicht, Widerstand zu überwinden, sondern: bewußtlosen Alltag, freundliches Desinteresse, sprachlose Abwehr.) Die Frauenredaktion ist dafür, die Frauen in der taz sind mehrheitlich dagegen. Die Frauenberichterstattung der taz hat sich von ihrer gutgemeinten Erledigung einstweilen nicht erholt. Die Protagonistinnen dieser Entscheidung haben die Zeitung bald darauf verlassen.

Was bleibt? Eine quotierte taz, die ab Juni spätestens wieder eine Seite pro Woche der feministischen Berichterstattung widmen will. Eine noch kleine Gruppe (zu der die Autorin gehört), die eine neue Frauenredaktion, eine tägliche Frauenseite für angezeigt hält. Streng nach der Empfehlung eines Herrn, der wahrlich kein Feminist war, aber umfassend nachwies, daß aus der Verdrängung vitaler Interessen nichts Gutes entsteht. Wie seine Empfehlung hieß? Erinnern, Wiederholen, Durcharbeiten. Erinnern, Wiederholen, Durcharbeiten. Erinnern, Wiederholen, Durchar...

Die Autorin fing 1989 als Literaturredakteurin im Kulturressort der taz an und arbeitet seit Mitte 1992 in der Chefredaktion.