Opfer aus Tradition

■ Interview mit einer jungen Türkin über ihr Leben zwischen türkischem Rollenbild und Emanzipationsversuch

Kader ist zwanzig Jahre alt und in der Türkei geboren. Jetzt lebt sie in Stuttgart. Sie trägt Jeans und kein Kopftuch und spricht akzentfrei deutsch.

taz: Kader, wie lange leben Sie schon hier?

Kader: Als ich dreizehn war, hat mich mein Vater hierhergeholt.

Warum gerade damals? Waren Sie da mit der Schule fertig?

Nein, ich hatte noch zwei Schuljahre vor mir. Ich lebte in der Türkei bei meiner Großmutter, und mein Vater war der Meinung, ich sei nun so alt, daß ich unter männliche Aufsicht müßte.

Kamen Sie gerne nach Deutschland?

Nein, ich hatte Angst vor der fremden Sprache und davor, hier die Schule zu besuchen. Aber meine Eltern ließen nicht mit sich reden.

Und wie erging es Ihnen dann hier?

Ich kam in eine internationale Klasse. Der Anfang war schwer. In der Türkei war ich sehr gut in der Schule. Wie sollte ich das hier schaffen? Ich wollte einen guten Abschluß und einen Beruf – sah aber keine Möglichkeit. Dann hat mich ein Lehrer sehr unterstützt und ermutigt und mir dazu verholfen, den Hauptschulabschluß zu machen.

Und ihre Eltern?

Die wollten, daß ich möglichst schnell Geld verdienen sollte. Inzwischen hatten sie mich während der Sommerferien in der Türkei verheiratet.

Wie alt waren Sie da?

Ich war 15. Mein Vater hat mich erpreßt. Es war vor dem letzten Schuljahr. Er sagte mir: Wenn du nicht zustimmst, bleibst du gleich in der Türkei. Andernfalls darfst du in Deutschland die Schule besuchen, und dein Mann kommt dann später nach. Was hätte ich tun sollen? Er ging ohne mich mit meinem Paß zu einem Notar und schloß die Ehe.

Und wie ging es dann weiter?

Inzwischen war ich gut in der Schule und suchte mir ohne Wissen meiner Eltern einen Ausbildungsplatz als Arzthelferin. Dabei half mir wieder der Lehrer. Die Ausbildung habe ich dann auch begonnen. Meinen Eltern habe ich erzählt, ich würde dort aushelfen und putzen. So genau haben sie nicht gefragt. Ich habe mich ja sonst gefügt, nur selten Hosen getragen und bin nicht ausgegangen.

Aber heute machen Sie nicht mehr den Eindruck einer fügsamen türkischen Frau!

Nein, während dem ersten Jahr in der Ausbildung hat sich da viel geändert. Mir wurde immer bewußter, daß ich nicht so ein Leben führen will wie meine Mutter und daß ich etwas erreichen kann, wenn ich will.

Sie stehen jetzt kurz vor dem Abschluß Ihrer Ausbildung. Wie sind Sie soweit gekommen?

Ein bißchen mogeln mußte ich da schon. Ich habe meinem Vater am Ende des ersten Ausbildungsjahres mein Zeugnis vorgelegt, das angeblich über meine Tätigkeit dort war, und ihm gesagt, mein Chef wollte, daß ich mich weiter ausbilden lassen sollte. Die Noten waren sehr gut: und das hat meinem Vater dann Eindruck gemacht. Er wollte mich auf den Koran schwören lassen, daß ich, wenn er mir die Ausbildung erlaubte, dann ein türkisches Familienleben führen würde.

Auf den Koran schwören? Sind Sie religiös?

Der Koran ist mir schon heilig. Ich habe deshalb nicht geschworen, weil ich das ja nicht tun wollte, was mein Vater verlangt hat. Er hat sich schließlich mit meinem Versprechen begnügt.

Und wie wird Ihr Leben weitergehen?

Ich habe mich entschlossen, mir nach meiner Ausbildung in einer anderen Stadt einen Arbeitsplatz zu suchen, meine Familie zu verlassen und mich scheiden zu lassen. Ich sehe keinen anderen Weg. Ich will mein Leben selber gestalten. Meine Eltern können das weder verstehen noch erlauben. Deshalb setze ich mich mit ihnen auch nicht mehr auseinander. Mein Vater hat mich immer wieder geschlagen und gedemütigt. Er hat mich so behandelt, daß ich nicht mehr hierbleiben kann. Manchmal habe ich schon Angst, ob ich das schaffe.

Kader, wenn Sie die Situation der türkischen Frau sehen, in der Sie ja nicht mehr bleiben wollen, in der nur der Mann bestimmt, woran liegt das, an der Kultur oder der Religion?

Mehr an der Kultur. Es heißt: Was sagen die anderen? Oder: Ein türkisches Mädchen tut das nicht.

Ihre Eltern leben ja nun schon über zwanzig Jahre in Deutschland. Und Ihre Mutter hat sich gar nicht verändert?

Nein, sie ist strenger als mein Vater. Sie versteht mich überhaupt nicht. Ich sehe keine Möglichkeit, als mich entweder anzupassen – was ich nicht will – oder mich so zu entscheiden, wie ich es getan habe.

Sie halten die Situation der türkischen Frauen also für sehr schwierig und Kompromisse für kaum möglich?

Doch, ich glaube schon, daß es so ist, das sehe ich auch bei anderen jungen Türkinnen oder bei meiner Schwester. Interview: Gertrud Stihler

Die Autorin ist Mitarbeiterin im Begegnungs- und Beratungszentrum für Flüchtlinge, Karlsruhe