Das gierige Schneiderlein

■ Gestern wurde das Konkursverfahren gegen das Imperium des Frankfurter Immobilienhais Jürgen Schneider eröffnet. Der Chef ist mit Teilen des Firmenvermögens schon seit Tagen verschwunden, rund 3.000 Beschäftigte..

Gestern wurde das Konkursverfahren gegen das Imperium des Frankfurter Immobilienhais Jürgen Schneider eröffnet.

Der Chef ist mit Teilen des Firmenvermögens schon seit Tagen verschwunden, rund 3.000 Beschäftigte zahlen mit ihren Jobs.

Das gierige Schneiderlein ist pleite

1992, als seine Geschäfte noch gut liefen, gab sich der untergetauchte Immobilien-Hai Jürgen Schneider betont selbstbewußt. „Schauen Sie sich meine bisherigen Objekte an“, sagte er in einem Interview mit einer Leipziger Lokalzeitung. „Ich hab' noch nie etwas in den Sand gesetzt. Und zwar deshalb nicht, weil ich es verstehe, knallhart und knochentrocken zu rechnen.“

Vermutlich versteht es der Mann tatsächlich, knallhart zu rechnen: Nach dem Konkursverfahren, so die nicht allzu schwierige Rechnung, würden seine Firmenkonten leer sein. Also räumte der 59jährige – das Rentenalter vor Augen – sie lieber selbst vor seiner Flucht ab. Die Bild-Zeitung spekuliert, daß er mit vier bis acht Koffern, darin 50 bis 100 Millionen Mark Bargeld, entweder auf den Bahamas, den Cayman-Inseln, in Brasilien oder in Südafrika sitzt. Im deutschen Sand zurück bleibt sein Firmenkonglomerat. Es klappte zusammen wie ein Kartenhaus, nachdem, bedingt durch die Rezession, vor allem die Gewerbemieten in den lukrativsten Innenstadtlagen deutlich zurückgegangen waren.

Nach der Wende hatte sich Schneider, der größte konzernunabhängige Baulöwe der alten Bundesrepublik, zunächst auf höchst lukrative Schnäppchenjagd in die neuen Bundesländer begeben. Er kam nach Leipzig, sah und kaufte. „Mein Faible für historische Bauwerke ist ja bekannt“, sagte er damals, „da ist Leipzig für mich ein Schlaraffenland.“ Dieses Paradies fand er vor allem in der Innenstadt, gliederte seinem Imperium ein Gebäude und ein Filetgrundstück nach dem anderen an. Bereits Anfang letzten Jahres gehörten dem Hessen rund zwei Prozent der City – zum Vergleich: Andere Aufkäufer bewegen sich nur im Promillebereich. Nebenbei übernahm er drei Kiesgruppen in der Leipziger Umgebung, erwarb die Leipziger Bau und Planungsgesellschaft mit rund 2.000 Arbeitnehmern und baute 90 Sozial- und freifinanzierte Wohnungen. Dieses Engagement ließ er sich allerdings zu mehr als der Hälfte vom Freistaat Sachsen durch Darlehen bezuschussen.

Die Stadtverwaltung beobachtete Schneiders Aktivitäten mit Mißtrauen. „Wir sehen es nicht gerne“, sagte der für Wirtschaft zuständige Stadtrat Christian Jacke, „wenn jemand beginnt, das Marktgeschehen zu kontrollieren.“ Trotzdem verfügte die Stadtverordnetenversammlung erst im Frühjahr 1993 einen Verkaufsstopp für Stadtgrundstücke an Schneider. An dieses Verbot hielt sie sich dann aber selber nicht, durchbrach es flugs immer dann, wenn Schneider weitere Grundstücke zur Komplettierung seiner Projekte brauchte. Noch vor zwei Monaten versuchte der Immobilienhändler, Verhandlungen unter Dach und Fach zu bringen, um in der City ein richtiges „Schneider- Eck“ aufzubauen.

4.000 Beschäftigte, schätzt Gewerkschaftssprecher Bernd Günther, sind allein in Leipzig von Schneiders Pleite betroffen. Noch im letzten Jahr hatte der gute Mensch aus dem Taunusstädtchen Königsstein stolz verkündet: „Wir geben in Leipzig weit über tausend Familien Arbeit und Brot.“ Jede Kritik an seinen Ostaktivitäten hatte er mit dem Hinweis auf „zuviel Defätismus“ in den neuen Ländern gekontert.

Bereits am Dienstag, als der Zusammenbruch des Schneider-Imperiums offensichtlich wurde, hat die Handwerkskammer Leipzig einen Notdienst für die rund 40 Firmen eingerichtet, die nun auf den Lohn für ihre Arbeit warten müssen. Die für rechtliche Fragen zuständige Kammer-Geschäftsführerin Gabriele Boden sagte, daß viele Firmen erst nach und nach merkten, daß sie über Subunternehmen ebenfalls an Schneider-Häusern gewerkelt hätten. 250 Millionen Mark an offenen Lieferanten- und Handwerkerrechnungen stehen bundesweit nach ersten Schätzungen der Banken noch aus.

Zwar bringt die Dr. Jürgen Schneider AG nur fünf Millionen Mark an Vermögenswerten in das Konkursverfahren ein. Die 75 Objekte in Ia-Spitzenlagen sollen sich überwiegend im privaten Besitz von Jürgen Schneider und seiner Ehefrau befinden, und wären damit für Konkursverwalter Bernhard Hembach zunächst außen vor. Dennoch muß der Schneider- Konkurs nicht die schätzungsweise 50 „besonders betroffenen“ Handwerksbetriebe mit rund 1.000 Beschäftigten in Hessen, Bayern und Sachsen mit in die Pleite ziehen. Denn auf den 15 Schneider-Großbaustellen wollen die Gläubigerbanken über Auffanggesellschaften weiterbauen lassen. Und auch gegen diese Privatvermögen könnte möglicherweise ein Konkursantrag gestellt werden, hieß es gestern in Frankfurt.

Die große Chance für die Kleinunternehmen besteht darin, daß die Großbanken offenbar sehr empfindlich darauf reagieren, daß sogar die Bundesregierung eine Änderung des Konkursrechts erwägt. Es wäre so ziemlich das Unangenehmste, was den Banken passieren könnte, wenn plötzlich nicht mehr sie als Gläubiger sich zuerst aus der Konkursmasse bedienen könnten, sondern den mittelständischen Zulieferern den Vortritt lassen müßten. Auch wenn die Banker offiziell natürlich auf ihrem Recht beharren, nicht zuständig für die offenen Rechnungen der Kleinunternehmer zu sein, werden sie sich vermutlich hinter den Kulissen sehr bemühen, Folgekonkurse zu verhindern.

Die große Angst hinter dem Fall Schneider ist die vor weiteren Immobilien-Großpleiten. An den Aktienbörsen und Finanzmärkten erinnert man sich zu gut an Preisstürze und Zusammenbrüche auf den Immobilienmärkten Großbritanniens, Kanadas und der USA: Manch eine Großbank, die über Nacht deutlich wertgeminderte Grundstücke besaß, die sie in besseren Zeiten als Sicherheit für Kredite akzeptiert hatte, geriet ins Trudeln.

In der Bundesrepublik allerdings sind Ängste um die Stabilität von Banken bislang völlig unbegründet. Selbst wenn beispielsweise die Deutsche Bank alleine 1,3 Milliarden Mark von den fünf Milliarden Mark Schneider-Schulden wird tragen müssen, merkt sie das in der für 1994 geplanten Bilanz nicht: Für derartige Risiken hat sie 3,3 Milliarden aus dem Jahr 1993 zurückgelegt. Vergleichbar haben sich die Dresdner und die Commerzbank gegen drohende Pleiten abgesichert.

Außerdem haben die Banken trotz der tiefsten Rezession in der Nachkriegsgeschichte Westdeutschlands hervorragend verdient. Ihre ausgewiesenen Gewinne wuchsen jeweils im Vergleich zum Vorjahr um zweistellige Prozentzahlen, bei der Deutschen Bank um 23 Prozent – trotz der hohen Rücklagen. An Notverkäufe von Grundstücken und Immobilien brauchen die Banker darum nicht zu denken. Damit würden sie sich auch nur neuen Ärger einhandeln, weil dann die ohnehin aus den Fugen geratenen regionalen Büromärkte noch stärker durch sinkende Gewerbemieten „belastet“ wären.

Die Verlierer im Konkursverfahren werden die 3.000 Menschen sein, die direkt bei einer der Schneider-Firmen ihren Arbeitsplatz haben. „Die Firmen werden wohl verschwinden“, heißt es bei den Banken. Nur mit wenigen Fachleuten will der Koordinierungsausschuß, in dem Vertreter der Deutschen, der Bayrischen Hypo- und der Dresdner Bank sitzen, weiterarbeiten, um eine verläßliche Bestandsaufnahme der Hinterlassenschaften zu gewährleisten. Donata Riedel/Bascha Mika