15 Jahre - und kein bißchen Scheiße

■ taz. Das Fest zum Geburtstag.

Schauplatz Volksbühne, Rosa- Luxemburg-Platz in Ostberlin, Freitag abend. Roter Salon: Eines Tages feierte die taz ein Fest („Der Artikel übers Fest muß unbedingt so anfangen: Eines Tages feierte die taz ein Fest“, sagt Reinhard Hesse), dicht gedrängt und qualmumnebelt stehn die Gäste, vorn auf der Bühne verkündet (21.32 Uhr) Michael Sontheimer: „Der Abend ist eröffnet und ich sage hiermit Tschüss zur taz.“ Am Morgen hatte ihm der Vorstand der Zeitung kurzerhand mitgeteilt, daß auf seine weitere Mitarbeit als Chefredakteur verzichtet würde. Grund: Zerrüttung mit der Redaktion.

Arnulf Rating, der als Ex-Tornado mit einigen Kabarett-Nummern durch den Abend führt, höhnt vollaktualisiert: „Typisch taz, gerade am fünfzehnten Geburtstag den Chef zu entlasssen, das hat Klasse, das hat schon wieder Stil.“ Konsternierte Gesichter. „War das nicht immer“, erinnert Rating an Gründerzeiten, eine unserer Hauptforderungen: frei arbeiten ohne Chefs?!“ Wenig Lacher.

Wahrheit-Kolumnist Mathias Bröckers verfolgt's in naturechter Hanfjacke (ocker). Von seinem Hanfbuch sind bereits 55.000 verkauft, aber unter die Spiegel-Bestseller kommt es nicht, weil das Werk nur bei 2001 zu haben ist. Jetzt will Börsenkenner Bröckers („Diversifikation!“) in den Hanfimport einsteigen: Kein Jamaika- Gras soll's sein, auch kein schwarzer Afghane, sondern Textilien allere Art. Deutschland wartet gespannt auf erste Hanf-Dessous, die man rauchen kann. Und der taz- Eklat? „Hut ab, hätte gar nicht gedacht, daß der verschnarchte Laden zu so etwas fähig ist.“

Johnny Eisenberg, taz-Vorstandsmitglied, Justitiar des Hauses und Sontheimer-Freund, wettert ins Mikro: „Warum nennt ihr die Bullen nicht mehr Bullen in euren Artikeln?“ Ayathollahaft glühn seine Augen wie bei Christoph Daum. Reporerin Ute Scheub („Bin seit 20 Jahren mit Micha befreundet“) will nicht die vorbereitete „lustige Rede halten“, Apo-Anwalt Christian Ströbele klagt und die Feten-Gäste diskutieren heftig in Kleingruppen.

Erste Pragmatiker schleichen sich ans kalte Buffet (Kassler, Brötchen, Bouletten, Senf, Käse, Ananas). Italotazler Werner Raith (Hosengröße XXXLL) besteigt die Bühne und überrascht mit neuen Informationen: „Ich bin 165 groß und wiege zwei Zentner.“ Unten ruft einer, dies sei der erste tazler mit Hosenträgern, den er sehe. Irland-Korrespondent Ralf Sotscheck schreit enthusiasmiert: „Und ich werde der Zweite sein.“ Straff umspannt das T-Shirt seinen Wanst, während er heftig Klage führt über mangelhafte Tresenorganisation. Es sei leichter, auf einem irischen Folk-Festival an ein Bier zu kommen, als hier, und das heiße einiges!!

Inzwischen hat auch Tonio Milone begriffen. Seit Jahren wohnt der einstige taz-PRmann und Nicaraguista bei Bologna („Ich finde überall einen maroden Betrieb“) und organisiert Biobauern, Sontheimers anfängliche Einlassungen hielt er „für einen genialen PR- Gag“. Schon heftig im Gespräch: Matthias Greffrath (Noch-Chehfredakteur) mit Sontheimer. Wird die große Rochade vorbereitet („Du gehst zur Wochenpost und ich...“)? Aufmerksam daneben Reinhard Hesse („Wenn's in einer Redaktion brennt, bin ich da“), der Red Adair des Journalismus (tut grade Dienst in Die Woche). Ging vor zehn Jahren von der taz zum Tittenblatt Lui und freut sich über den neuen SZ-Kulturchef Willms („guter Mann, macht Radau“), für den er eine Reportage geschrieben hat, Thema: „Wie ein Neger aus Zaire in Uelzen Zucker kauft.“

Thierry Chervel (Ex-Kultur) ist der gewohnt rhytmussichere Discjockey, statt zu debattieren wird getanzt (ab 1.13 Uhr), Thomas Eyrich (Die Welt) fragt Helmut Höge (Berufseigenangabe: „Linker“): „Kannst Du nicht mal was für uns schreiben, das würde mein Gewissen entlasten.“ Arno Widmann trägt das rote Seidenhemd (Abschiedsgeschenk der taz beim Abgang zu Vogue, Preis DM 600) und die strahlende Ex-Vorständlerin Petra Groll (gerade von Bunte zu Cosmopolitan) recherchiert eine aktuelle Geschichte: „Sollen Frauen den Orgasmus vorspielen?“ Ex-Wirtschaftsredakteur Ulli Kulke zog gerade ins Haus von Manfred Kriener (Ex-Öko) und mußte vor dem Fest noch das Ehebett aufbauen, derweil Töchterchen Fanni-Luise bei Kriener Muttermilch auf den Teppich kotzte.

Letzte Gäste enttaumeln dem roten Salon exakt 7.03 Uhr, beäugt von Klatschtante Michaela Schießlos.

NICHT GESEHEN und vermißt: Ex-Chefredakteur Thomas Hartmann; mußte in Jerusalem Palästinenser zu Journalisten ausbilden. Ex-Leitartikler Klaus Hartung, heute Zeit; mußte im neu gekauften Haus (Bergmannstraße) letzte Hand anlegen. Ex-Chefin Georiga Tornow; mußte zuhause Lebensgefährten Ulrich Meyer (Sat 1-Krawallo) kämmen. Sportredakteur Matti Lieske; mußte mit Kulturautorin Anke Westphal nach La Palma. Max Thomas Mehr; mußte als stellvertr. Chefredakteur der Wochenpost eine aktuelle Bildunterschrift machen. Wiglaf Dorste, das moralische Gewissen aller Rebellen; mußte einen Artikel schreiben, in dem das Wort „kreuzdummfidel“ vorkommt.

Chronisten: David Hornback (alle Fotos); Michaela Schießlos (Prosecco und Produktion); Freiherr von Thömmes (Idee und Text)