„ Ärger mit der Sippe“

■ Bremen nebenan: Günni und Susie mit ihrer Travestie-Show in Walle

Günter Lauenburger hat seit Jahren Ärger mit seiner Sippe – Sinti aus dem Bremer Umland, für die es gegen alle Regel ist, daß einer der ihren als Travestöse auftritt: Als „Amoretta“ in superengem Kleid mit Schlitz und einer Stimme, die nicht nur ganz tief, sondern auch in weiblichen Höhen singen kann. Susanne Schrenk sollte, von den Eltern verordnet, Musik studieren. Sie vergraulte ihre Lehrerin und hat erst nach 13 Jahren Pause die Kindheitsinstrumente Geige und vor allem das Klavier wieder angerührt. Beide gehören als Günni und Susie zur Waller Szene. Seit vier Jahren haben sich die beiden zu wechselnden Travestie-Shows zusammengetan und schlagen sich durch das Bremen/Umzu-Kleinkunstleben.

„Ich habe früh gelernt, aufzutreten“, sagt Günni, „als kleiner Junge schon, wenn mein Vater nachts betrunken nach Hause kam und wir zitterten, ob er heute seinen KZ-Fimmel kriegt oder ob er die Gitarre rausholt. Wir waren eine Zigeunerfamilie, Sinti, mit 12 Kindern und meiner Mutter, die ich über alles bewundere, weil sie für uns alle das Geld ranschaffte.

Mein Vater war 5 Jahre im KZ gewesen. Oft mußten wir nachts exerzieren, als wenn wir Häftlinge wären, oder aber es hieß: Kinder, aufstehen! Tanzen! Und wir tanzten zu seiner Gitarre, spanisch, Kosakentänze, was auch immer. Meine Mutter sagte: Laß die Kinder, die müssen morgen in die Schule - aber ich tanzte sehr gut, das beruhigte meinen Vater, das freute ihn, da bekam ich meine erste Anerkennung. Meine Mutter wollte mich in die Ballettschule schicken, na, das war völlig unmöglich, das galt als absolut unmännlich.

Ich bin zur Sonderschule gegangen, weil damals alle Zigeuner automatisch in die Sonderschule geschickt wurden. Danach bin ich Hausieren gegangen und Scherenschleifen an den Türen. In Walle konnte man an einem Tag durchaus 50 bis 60 Mark verdienen. Und Fischköppe habe ich geschnitten, im Fischereihafen. Ich konnte mich immer irgendwie durchschlagen.

Seit 12 Jahren mache ich Travestie-Shows, das hat fürchterlichen Ärger mit meiner Sippe gegeben, ein Mann, ein Zigeuner, der als Frau auftritt! Zu Anfang stand auf meinen Ankündigungen immer nur „Amoretta“, nie mein männlicher Name, damit sie das möglichst nicht mitkriegen. Aber jetzt will ich mit dem Kopf voran da durch. Amoretta - das ist keine Nachahmung von irgendeinem Star. Amoretta ist die Frau, die ich gern sein würde, wenn ich eine wäre.

Susie sagt: „In unserem Duo bin ich die Schreibtischtäterin. Ich organisiere die Auftritte, handele die Gagen aus, ich war es bisher immer, die von irgendeiner Minibühne aus runter in den Keller rannte, um die defekte Sicherung zu finden, kurz vor dem Auftritt. Wir sind ein echtes Kleinkünstlerpaar, mit den ganzer Mühen, die dazugehören und dem tollen Gefühl danach, wenn alles geklappt hat. Mir macht es nichts aus, daß Günni, Amoretta, der Star ist und ich sozusagen der „Mann am Klavier“. Ich singe ja auch noch in einem A-capella Frauenchor, da steh ich dann vorne, da trete ich auf.

Ich komme aus einem bürgerlichen Haus und sollte ein gutgewachsenes, intelligentes Mädchen und eine ordentliche Frau werden. Mein Großvater allerdings war ein Zigeuner, das behauptet das Familiengerücht, und ich träume davon, mit einem Wohnwagen durch Südeuropa zu ziehen und mein Geld mit der Musik zu verdienen. Ich habe ja alles gelernt, Melodika, Geige, Klavier, und ich habe alles gehaßt, bis auf das Klavier. Da dachte ich: besser als Staubwischen und Küche Aufräumen.

Meine Eltern wollten unbedingt, daß ich Musik studiere, aber ich habe Sozialpädagogik gemacht und aus Trotz 13 Jahre alle Instrumente schweigen lassen. Und dann hab ich plötzlich die Geige wieder rausgeholt, Schlagzeug und Akkordeon gelernt und endlich wieder Klavier gespielt. Günni hat mich drauf gebracht, daß wir zusammenarbeiten sollten, obwohl ich eine große Scheu vor Auftritten hatte. Ich will, daß wir professionell werden. Jahrelang haben wir für Minigagen gearbeitet. Jetzt soll es sich lohnen.

Cornelia Kurth

Heute abend sind Susie und Amoretta in „Murkens Krug zur Fähre“, mit ihrem Programm: „Frühling wird–s, der Sperling piept“, 20 Uhr, Lesumbroker Landstr. 95