taz-Chaos rules – O.K. Von Mathias Bröckers

Wie die gute alte taz das mal wieder hingekriegt hat, ausgerechnet zur Geburtstagsparty den Chefredakteur rauszuschmeißen, spricht für sich. Als vor 15 Jahren alles anfing, war die Chaostheorie zwar noch nicht erfunden, das Blatt lieferte aber täglich den Beweis, daß chaotische Strukturen auf magische Weise Ordnung hervorbringen. Die Tatsache, daß die Zeitung jeden Morgen tatsächlich auf dem Tisch lag, war für alle Beteiligten ein Wunder. Kein Wunder war es allerdings, daß sie als „originell“, „radikal“, „kreativ“, „spontan“, „lebendig“ galt, denn dies genau sind die Eigenschaften, die vom Chaos (und nur von ihm) hervorgebracht werden. Chaos ist kein Gewürz, das man einfach streuen kann, und schon wird der Laden kreativ. Das System muß offen sein, darauf angelegt, Chaos fließen und wirksam werden zu lassen, und gleichzeitig stark genug, es an den Rändern immer wieder aufzuhalten und in die Ordnung zu zwingen. Dieser Balanceakt ist das Geheimnis der Selbstorganisation und das Prinzip des Lebendigen.

Was unterscheidet die taz von einem Joghurt? – Der Joghurt hat noch lebendige Kultur. „Ich mag ja solche Witze eigentlich nicht“, meinte Wolfgang Neuss, nachdem er ihn, zum 10. Geburtstag der taz, erzählt hatte. Die lebendige Kultur, die von Millionen Pilzen in einem Joghurt aufrechterhalten wird, ist eine äußerst komplizierte Sache, zumal, wie bei der taz, links- und rechtsdrehende Fraktionen im Wettstreit stehen – worüber jetzt mal wieder Streit ausgebrochen ist. Ich bin zu lange draußen aus der Redaktion, um beurteilen zu können, was da wirklich am Brodeln ist in der Kochstraße – die Skala von Links bis Rechts war schon damals zu simpel für eine politische Positionierung, heute müssen Oben und Unten, Innen und Außen, Hinten und Vorne erst recht mitbedacht werden. „Täglich eine linke radikale Zeitung“ – diesen eindimensionalen Slogan habe ich nie gemocht, im Unterschied zu: „taz – die größte Schülerzeitung der Welt“, der sich intern nie so richtig durchsetzen konnte und im Zuge der „Professionalisierung“ endgültig verschwand. Dabei ist „Schülerzeitung“ bei Lichte betrachtet genau das, worauf's ankommt: neugierig, unfertig, gefühlsbetont, direkt, offen, zukunftsorientiert, experimentierfreudig... Wie Lernende und Schüler eben sind, im Unterschied zu Oberlehrern, Besserwissern, Frühvergreisten. „Jeder hat mal klein angefangen – doch was haltet Ihr von einer Zeitung, die klein bleiben will?“ fragte der mit 65 Jahren immer noch vorbildliche Knirps Wolfgang Neuss – tja, das wär's, eine professionelle Schülerzeitung, die den großen Wahrheiten und gesetzten Weltwahrnehmungen täglich die Perspektive des fliegenden Klassenzimmers entgegengesetzt. Und das Motto der Frankfurter Schule: „Wer sich keine unnützen Gedanken macht, streut auch keinen Sand ins Getriebe.“ So ein bißchen erinnerte die Geburtstagsparty wieder an die großen chaotischen Jahre der kleinen taz – Diskussions-Grüppchen auf den Fluren, Erregung, Ärger, Heiterkeit. Und niemand konnte sich das Ganze so recht erklären – ein gutes Zeichen. Nicht-Wissen und Unvorhersagbarkeit sind die Basis des schöpferischen Chaos. Und der Kern jener buddhadaistischen Grundhaltung, ohne die eine weltbeste Schülerzeitung künftig ohnehin nicht auskommt.