Kidnapping durch Außerirdische Von Andrea Böhm

Vielleicht liegt es daran, daß der Himmel hier höher steht oder die Leute weniger Angst haben, sich lächerlich zu machen. Jedenfalls scheint mir der Glaube an außerirdische Wesen und ihre Verkehrsmittel hier weiter verbreitet als in Deutschland. Vier Millionen behaupten, schon einmal Kontakt mit Außerirdischen gehabt zu haben; alljährlich halten UFO-ExpertInnen in den USA ihren Fachkongreß ab; sie geben Fachzeitschriften heraus oder tauschen aktuelle Nachrichten über Begegnungen der dritten Art auf Internet aus. All das spielte sich bislang im verschworenen Kreis der UFO- Gläubigen ab.

Doch seit letztem Sonntag wissen immerhin die LeserInnen der eher irdisch orientierten Washington Post, was sie von folgendem Vorfall zu halten haben: Das Schlafzimmer wird des Nachts plötzlich von blauem Licht und einem durchdringenden Summton erfüllt. Kleine graue, wortkarge Wesen mit drei Fingern an jeder Hand, spindeldürren Beinen und riesigen insektenähnlichen Augen schleppen den Ahnungslosen durch Wände, Dächer oder Mauern in ein Raumschiff, wo dem Homo sapiens alles mögliche abgezwackt wird: Haare, Blut, Haut.

Richtig, es handelt sich um Kidnapping durch Außerirdische. Dieses Delikt ist mangels polizeilicher Fahnungsmöglichkeiten noch nicht als Straftatbestand in das Gesetzbuch aufgenommen, doch es hat inzwischen das Interesse der Wissenschaft erweckt. John Mack, Psychiater an der Harvard-Universität, hat in den letzten Jahren die Zeugenberichte von Entführungsopfern gesammelt – und ist zu der Überzeugung gekommen, daß die Geschichten real sind. Auch die einer 37jährigen Frau aus Boston, die sich unter Hypnose daran erinnerte, mit John F. Kennedy und Nikita Chrustschow während der Kuba-Krise in einem Raumschiff gesessen zu haben, was vermutlich den glimpflichen Ausgang der Kuba-Krise erklärt. Nun ist John Mack nicht irgendwer, sondern einer der Renommierten seines Faches; und Harvard ist nicht irgendeine Uni, sondern eine der Elitehochschulen des Landes. Zudem hat Mack eine ehrbare Reputation als Aktivist der Friedens- und Ökobewegung. Nun scheint er neue Bundesgenossen gefunden zu haben: Die Aliens, so Mack, würden ihren Entführungsopfern kleine Gedächtnisstützen einpflanzen, damit diese nach ihrer Freilassung Mutter Erde pfleglicher behandeln. Pech für Mack, daß sich die 37jährige Bostonerin als investigative Erdenbürgerin entpuppte, die ihre Geschichte frei erfunden hatte.

Was den Harvard-Psychiater dazu treibt, an graue Männchen zu glauben, fand sie nicht heraus; wohl aber, daß er durch suggestive Fragen und Manipulation seine „Entführungsopfer“ manipulierte – und anschließend seine Forschungsarbeit bei den Krankenversicherungen als Therapie in Rechnung stellte. Den Großteil seiner Arbeit finanziert der „Center for Psychology and Social Change“ – von Mack 1983 höchstselbst gegründet, um das nukleare Wettrüsten mit psychologischen Kategorien zu erklären. Heute wähnt er sich nicht mehr als Analytiker der beiden Supermächte, sondern als Brücke zwischen dem Irdischen und Außerirdischen. Manche Leute, so scheint es, werden mit dem Ende des Kalten Krieges einfach nicht fertig.