Wenn die Nacht am tiefsten...

■ betr. „Rechts ist da, wo Micha links ist“, taz vom 16.4.94

Natürlich habe ich mich auf die taz-Geburtstagsfete gefreut. Und natürlich wurde es ein trauriger Abend. Nicht nur, daß ich auf dem Weg zur Fete die (zu erwartende) Nachricht vom Tod Bernt Engelmanns vernahm, eines Mannes, dem auch die alternative Linke wahrscheinlich mehr verdankt, als ihr bewußt ist.

Nicht nur, daß wieder einmal mit Händen greifbar war, daß Linke meist nicht zu feiern verstehen – auch wenn die nicht gerade sehr gelungene Planung des Festes auch Ausdruck der Spannungen im Dutschke-Haus gewesen sein mag. Natürlich war der Abend überschattet von der sich wie ein Lauffeuer verbreitenden Nachricht der Suspendierung Michael Sontheimers. Es gab, nach Christian Ströbeles Rede und Ute Scheubs Absage, ihren vorbereiteten Redebeitrag angesichts der Abberufung Michael Sontheimers nicht zu halten, in fast allen Grüppchen kein anderes Thema. Gelungene Inszenierung. Entsprechend stiegen die Erwartungen – her mit der Jubiläums-taz, was ist eigentlich passiert?

Um es gleich vorwegzunehmen: es ist überhaupt nichts passiert – „außer“ der Abberufung Michael Sontheimers. Will sagen: Eine Redaktion, die sich von Sontheimers nachdenklichem Artikel zur Revolte provozieren läßt, muß eine verdammt dünne Haut haben. Woher die kommen kann, läßt sich von Außenstehenden nicht beurteilen. Es macht aber zumindest den Eindruck, als ob hier, wie so oft, jemand als Chef berufen worden ist, dem man übelnimmt, daß er von seinen Kompetenzen Gebrauch macht. Der Beitrag „moral majority“ auf Seite 10, die sich selbst nicht einmal in Anführungsstriche setzt, ist holprig geschrieben, trotzig und sarkastisch zugleich, außerdem für Nichteingeweihte im Detail nicht verständlich.

Wirklich beunruhigend finde ich aber, daß diese Mehrheit über sich sagt, daß sie nun einmal – angesichts der harten Zeiten – nicht mehr über soziale Bewegungen berichten könne, weil diese nämlich weggebrochen seien. Wie bitte? Entbindet diese – zu bezweifelnde – Tatsache eine oppositionelle Zeitung denn von der Pflicht, diese – vielleicht – desorientierten Bewegungen mit Informationen zu versorgen? Kann denn angesichts eines unübersehbaren und dramatischen Rechtsrutsches eine Zeitung wie die taz – ungewollt – mitrutschen?

Dann muß sie wirklich nicht sein. Wenn die taz nicht mitrutschte, könnte sie sich bald auf einige Strafverfahren gefaßt machen, und das wäre gut so. Da hat Michael Sontheimer sicherlich recht. Daß die taz gerade nicht gegen den Stachel löckt, führt ja gerade dazu, daß sie von vielen meiner Bekannten und mir oft als so langweilig empfunden wird.

[...] Unübersehbar stehen wir vor einer dramatischen Umbruchsituation, leider klingt das auch abgenutzt, leider wird es immer wahrer und dramatischer: die bundesdeutsche Gesellschaft wird in wenigen Jahren eine geschlossene rechtskonservative politische Organisation haben, deren Umrisse bereits klar erkennbar sind: die derzeitigen Regierungsparteien, das große Geld, starke nationale Strömungen aus anderen Parteien einschließlich solcher Noch-Grüner wie Wolfgang Templin, mit einer erschlagenden Unterstützung (Berlusconi, Berlusconi!) der selbstgeschaffenen oder noch zu erobernden elektronischen und Printmedien werden Deutschlands Rolle als Großmacht in Europa ausbauen und festigen (der „Republikaner“ und anderer böser Buben wird man sich in einer Art „Röhm-Putsch“ entledigen – die stören nur).

Ob sich die taz – mit sicherlich wenigen anderen Medien – gegen diese Strömung stellen will, ob sie das bewußt macht und mit welcher Stoßrichtung – das wäre doch die eigentlich spannende Frage. Sich aber dem Rechtsruck anzupassen versuchen, wird nicht viel bringen – die Suche nach einem geeigneten Ort für die innere und äußere Emigration bleibt erfahrungsgemäß auch jenen nicht erspart, die die allgemeine Entwicklungsrichtung nachzuvollziehen versuchen.

Es wäre ein Kinderspiel, eine breite, nach innen pluralistische und fair streitende, nach außen abwehr-kämpferische politische Bewegung zusammenzubauen, wenn sich die Millionen links denkender und fühlender Menschen in diesem Lande über die Geschichte und die Zukunft dieses Landes auseinandersetzten und aus der Geschichte die Schlüsse zögen: Wohin geht die Politik Neudeutschlands, womit ist zu rechnen, was können wir dagegen tun? Der Weg dahin ist noch weit. Haben wir eine Wahl?

Aufgabe einer Zeitung wie der taz kann überhaupt nur sein, diese Diskussion zu ermöglichen und zu unterstützen. „Wenn die Nacht am tiefsten ist, ist der Tag am nächsten“, sang Rio vor 20 Jahren. Aber keiner weiß, wie dunkel es noch werden kann.

Eine Redaktion, die zukünftig ihre Kleinmütigkeit mit den „weggebrochenen sozialen Bewegungen“ legitimiert, läßt nichts Gutes erwarten. Uwe Soukup, Verlag 1900,

Berlin

Ich weiß nicht darüber Bescheid, ob Michael Sontheimer ein guter Chefredakteur ist (beziehungsweise war). Seine Kritik an der taz wie sie heute ist, finde ich in vielen Punkten sehr zutreffend. Um so dümmer fand ich die Reaktion der Redaktionen (oder eines Teils von ihr?) Der Artikel „Rechts ist da, wo Micha links ist“, geht an der inhaltlichen Kritik von Michael Sontheimer fast völlig vorbei. Dabei wäre es für die taz höchste Zeit, sich mal selbstkritisch zu betrachten. Jede(r) „Linke“ der/die auf sich hält, vergißt bei keiner Gelegenheit zu betonen, daß die taz auch nicht mehr ist, was sie einmal war. Fast alle meine Freundinnen und Freunde haben das taz-Abo bereits abbestellt, der Rest hat es wohl aus Faulheit bisher immer bei der Ankündigung belassen, aber das ist, wenn es so weitergeht, nur eine Frage der Zeit. In HausbesetzerInnenkreisen geht der Frust mit der taz gar schon so weit, daß „taz lügt“-T-Shirts produziert wurden (darauf ist eine Faust zu sehen, die den taz-Schriftzug zerschlägt). Diese Dinge sollten doch zu denken geben.

Anstatt darüber zu lamentieren, daß die Linke heute schwächer ist als vor 15 Jahren, und daraus zu schließen, daß es heute keinen Sinn mehr hat, eine linke Tageszeitung zu machen, sollte die taz versuchen, die linken LeserInnen wieder zu versöhnen. Es gibt auch heute genügend Potential für eine linke taz.

Noch eines: wenn ich die taz hin und wieder noch lese, dann tue ich das, weil die taz keine „normale“ Zeitung ist. Wenn sie das aber ist, dann lese ich lieber andere Zeitungen, die als liberale Zeitungen auch irgendwie überzeugender sind, weil sie auch nicht ständig Angst haben, ja nicht zu „links“ zu sein. Außerdem ist kaum etwas so frustrierend, wie wenn man feststellt, daß etwas, was man einmal sehr liebte und was man einmal vor allen Angriffen in Schutz genommen hätte, kaum noch ein Schatten seiner selbst ist.

Also: wenn schon taz, dann richtig! Lilli Erdmann, Berlin

Seit zwei Jahren sind wir begeisterte taz-Abonnenten und seit einem Jahr Genossenschafter, doch heute ist uns erstmals die Leselust vergangen: Die Häme, die eine „moral majority“ kübelweise über Michael Sontheimer auskippt, ist unerträglich. Ob die Kritik sachlich begründet ist oder nicht, können wir nicht beurteilen. Nur: Es ist zynisch und menschenverachtend, die redaktionsintern angestaute Wut dem ungeliebten Chef coram publico hinterherzubrüllen – und das obwohl ihn der Vorstand längst abgesägt hat.

Wie konnte diese giftige Tirade auf die Kommentarseite gelangen? Zumal dort ansonsten nur politische Debatten geführt werden, und das meist mit hohem moralischem Anspruch. Beim Umgang untereinander scheint dieser zu fehlen.

Nebenbei bemerkt: Die Beiträge von Antje Vollmer, auf die vermutlich das dümmliche Wortspiel von den „kostspieligen vollmermundigen Gesten“ zielt, hatten uns stets außerordentlich gut gefallen... Silke und Hartwig Kasten,

Büchen

Herzlichen Glückwunsch zum 15. Geburtstag. Daß Ihr Euch den schönen Tag durch einen Hauskrach verderbt, sieht Euch mal wieder ähnlich.

Ich kann an den Gedankengängen Eures Chefredakteurs nichts Schlimmes entdecken, schon gar keinen Grund für einen Rauswurf. Viel besser stünde Euch an, ein bißchen von seiner Selbstironie zu übernehmen. [...] Dr. Reinhard Barth, taz-Abon-

nent seit 1979, Hamburg

Und – wie auf jeder ordentlichen Geburtstagsfete – gibt es Stunk! Die Redaktion müpft auf wider den Chefredakteur, weil er nicht energisch genug ansagt, wo es links langgeht! Erneut Bedenkliches?

Sehr Bedenkliches: Ist es „die Redaktion“?! Keine Namen, keine Zahlen – aber die „moral majority“. Was hinwiederum ist dieses? Die moralische Mehrheit? Oder die Mehrheit der Moralisten?

Ein demokratischer Begriff ist es jedenfalls nicht. Unabweisbar steigt der Verdacht auf, die „moral majority“ könnte tatsächlich eine Minderheit sein, die Weisheit mit Löffeln gefressen zu haben meint und daraus das Recht ableitet, als Elite Mehrheiten verachten zu dürfen. Sind das nun die letzten Leninisten? Oder die ersten Rechten?! Oder einfach Spätpubertäre? Mit 15 wird es aber Zeit... Sehr be- denklich. Hajo Seidel, Frankfurt am Main

Als taz-Leserin von Anfang an (schon 1979 veröffentlichte ich einen Artikel in ihr) kann ich dem Beitrag Michael Sontheimers „Ein zähes Pflänzchen“ voll zustimmen. Es ist mir unverständlich, wieso eine behutsam-moderate, gleichwohl engagierte (Selbst-)Kritik „in der Redaktion auf helle Empörung“ stieß. Die Replik der „moral majority“ finde ich allerdings ausgesprochen denunziatorisch. Michael Sontheimers Abberufung aus der Chefredaktion stößt meinerseits auf Empörung. Dr. Freya Eisner, München

Schade, daß Ihr Euren Geburtstag mit einem Dolchstoß begeht – um den Ihr auch gleich selbst eine Legende strickt. Denn stichhaltige (Hinter-)Gründe kann ich in der vorgezogenen „Antwort“ auf der Meinungsseite beim besten Willen nicht finden, wodurch das Ganze übrigens auch journalistisch-handwerklich zweifelhaft wirkt.

Keine Ironie, keine Leidenschaft, keine Spur von Subversivität. Nur das Selbstmitleid drückt die moral majority – Vorsicht bei dem, der diese für sich reklamiert oder sich gleich selbst so nennt! – unmittelbar aus.

Mir scheint, der vermeintliche Akt der Selbstbefreiung – von einem Chefredakteur, der sich zu Recht dem noch heute kritischen Teil der ansonsten vielfach (selbst-)überhöhten „Achtundsechziger“ zurechnet und der in seiner „Festschrift“ vorbildhaft Betriebsblindheit für seinen Blickwinkel zumindest einräumt! – könnte zu einem Eigentor werden. Dann nämlich, wenn Ihr Eure wirklichen Probleme nicht gemeinsam angeht. Mutmaßlich sind einige davon: wie häufig bei Alt- Achtundsechzigern Unverträglichkeit gegenüber Kritik und Selbstkritik; mißverstandene Arbeitsteilung in der Selbstverwaltung – soll der Chef wirklich lenken und für alle denken?; Widersprüche zwischen (früheren) Idealen und (aktuellen) Verhaltensweisen etc.

Auch wenn Ihr also momentan eher wie ein mimosenhaftes denn ein fleischfressendes Pflänzchen wirkt: im Alter von 15 Jahren steht Euch das durchaus zu. Und wie uns aus Psychologie und Ökonomie fast schon als Gemeinplatz bekannt ist, kann man/frau aus einer Krise immer gestärkt hervorgehen.

In diesem Sinne: die besten Wünsche für die nächsten 15 Jahre! Werner Schottenloher,

Regensburg