What's left?

■ Die Redaktionsversammlung bestätigte die Abberufung von Michael Sontheimer. Eine Stellungnahme der Redaktion.

Die Redaktion hatte auf der Versammlung am Montag abend die Möglichkeit, die Entscheidung des Vorstandes, Michael Sontheimer als Chefredakteur abzuberufen, rückgängig zu machen. Sie hat dies, trotz heftiger Kritik an der Vorgehensweise des Vorstandes, nicht getan. In einer Abstimmung sprachen sich mehr als drei Viertel der Redakteure und Redakteurinnen dafür aus, kein Veto gegen die Vorstandsentscheidung einzulegen. Von 52 Redakteuren stellten sich lediglich 13 gegen den Vorstandsbeschluß.

Auslöser für den Ausbruch des lange schwelenden Konflikts war ein Artikel, den Micha Sontheimer in der Samstagausgabe veröffentlicht hat. In einem Beitrag zum 15jährigen Jubiläum der taz zieht er ein zart-bitteres Resümee: Die taz droht eine etablierte Zeitung zu werden, Stellenbewerber in Schlips und Kragen seien keine Seltenheit mehr, der Staatsanwalt interessiere sich auch immer seltener für die Inhalte der taz, dafür kokettiere die Redaktion immer häufiger mit einer Karriere bei den etablierten Medien. Seine Diagnose mündete in die Erkenntnis, daß bei der taz, im Gegensatz zu den übrigen Medien, die Redaktion rechts sei, wohingegen er die Chefredaktion links verortete. Diese Ortsbestimmung hatte Michael Sontheimer bereits ein halbes Jahr zuvor in einem internen Papier formuliert und sich damit bereits seinerzeit den geharnischten Unmut der Redaktion zugezogen. Die nunmehr öffentliche Wiederholung dieser Klassifizierung mußte als Affront begriffen werden. Die Mehrheit der Redaktion fühlt sich durch diese Klassifizierung falsch und diffamierend eingeordnet, sieht sie sich doch mit ihrer politischen Biographie und dem Selbstverständnis ihrer Arbeit in der Tradition der außerparlamentarischen und dann auch parlamentarischen Linken der letzten dreißig Jahre. Eine Differenz von einzelnen RedakteurInnen zu dieser Position Micha Sontheimers zeigt sich vor allem in der unterschiedlichen Reflexion der Entwicklung in Deutschland nach 1989, vor allem in der Bewertung der Rolle der Bürgerbewegung einerseits und der PDS andererseits. Diese Differenz fand ihren Ausdruck darin, daß in Sontheimers Würdigung der taz-Geschichte zwar die berühmt-berüchtigten Anfangsjahre, das Chaos des alternativen Projektelebens breiten und mit Liebe betrachteten Raum einnahmen, die Bedeutung, die die taz in den Debatten der letzten Jahre streitbar gespielt hat, von der Reflexion des Umbruchs in der DDR 1989, des Golfkriegs bis zum Bosnien-Konflikt, aber keine Würdigung erfuhr. Es war eine Reminiszenz an die good old days, die das Linkssein zu einer Gemeinschaftskategorie erstarren ließ. Doch spiegelten sich in diesen unterschiedlichen Sichtweisen von Chefredaktion und Teilen der Redaktion lediglich die gesellschaftlichen Diskussionen der letzten fünf Jahre wider. Das Problem, daß nun zu Sontheimers Demission führte, sind folglich nicht diese Positionen, sondern die Tatsache, daß sie nicht im täglichen Blattmachen produktiv gewendet wurden. Ein Versäumnis, das die Redaktion im wesentlichen Sontheimer vorhält, das aber auch ein bezeichnendes Bild von den Binnenstrukturen zeichnet.

Das System muß offen sein, darauf angelegt, Chaos fließen und wirksam werden zu lassen, und gleichzeitig stark genug, es an den Rändern immer wieder aufzuhalten und in Ordnung zu zwingen. Diese Charakterisierung des taz- System-Analytikers Mathias Bröckers ist gleichermaßen Anforderungsprofil an einen Chefredakteur. Es zu erfüllen ist eingestandenermaßen schwierig, zumal dieses System genügend Sackgassen bietet, um jemanden auflaufen zu lassen, und jede Menge kleine Fluchten für jene bereithält, die sich ihm zeitweise entziehen wollen. Das System lebt von einer ausgewogenen Mischung von Intervention und Gewährenlassen. Auf dieser Klaviatur wußte Sontheimer zunächst zu spielen. Er hat eine Reihe von Neuerungen eingeführt, die dem Blatt heute noch zugute kommen, sei es das ruhigere Layout, sei es die Einrichtung einer kombinierten Ökologie- und Wirtschaftsredaktion. Dafür danken wir ihm herzlich, ebenso Elke Schmitter und Jürgen Gottschlich.

Nachdem jedoch einige Vorhaben Sontheimers, wie zum Beispiel sein Engagement beim Komitee für Gerechtigkeit, auf den Widerstand der Redaktion gestoßen sind, hat er sich zunehmend als Teil und nicht mehr als Organisator des Redaktionsbetriebes verstanden. Eine solche Haltung fällt zunächst nicht auf, ist der taz-Produktionsbetrieb doch ein klassischer Selbstläufer. Eine überkommene, gleichwohl noch wirksame Abneigung gegen Chefs im allgemeinen mag dazu geführt haben, daß ein Teil der Redaktion diesen Umstand zunächst als angenehm empfand.

Als dessen Kehrseite stellte sich jedoch bald ein impulsloser Zustand her. Die notwendige Debatte blieb aus. So kann man Autos produzieren, aber keine Zeitung. In der Redaktion machte sich ein Unmut breit, der sich in dem Maße verstärkte, wie dem Chefredakteur in konkreten Fällen Fehlverhalten vorgeworfen wurde, sei es, daß er die Redaktion nicht gegen verbale Attacken von außen verteidigte, sei es, daß er einzelne Personalangelegenheiten ohne Absprache mit den zuständigen RessortleiterInnen an sich ziehen wollte. Dem oftmals geäußerten Wunsch nach engerer Zusammenarbeit ist Michael Sontheimer nicht nachgekommen.

Mit diesem Zustand hätte die Redaktion noch eine ganze Zeit weiter arbeiten können. Sie hätte allerdings keine wesentliche Verbesserung erfahren. Der latente Unmut darüber wäre früher oder später zum Ausbruch gekommen. Michael Sontheimers Artikel zum taz-Jubiläum war lediglich der letzte Anstoß, der für Aufsehen sorgte, weil der Vorstand aus ihm so rasch Konsequenzen zog und damit eine sich sonst hinziehende Debatte abrupt beendete.