Zum Schweigen gebracht

■ Gefolterter Kurde zu Gast in Bremen

Levent Taysun kann nicht mehr sprechen, essen oder trinken. Nur mit Stift und Papier kann er von den grausamen Dingen erzählen, die ihm passiert sind. Denn Levent Taysun, kurdischer Bürgermeister, ist in der Haft so schwer gefoltert worden, daß seine Zunge für immer gelähmt ist.

Um dem Schwerverletzten zu helfen und um diese Stimme nicht verstummen zu lassen, hat die Duisburger Initiative „Menschenrechte für Kurdistan“ Taysun nach Bremen geholt, wo er im Krankenhaus behandelt wird. Seit 1984 war Taysun Bürgermeister der kurdischen Stadt Silopi, die mit 30.000 Einwohnern an der Grenze zum Irak liegt. Mitte 1992 wurde der Bürgermeister mit 34 Verwandten verhaftet. Die Anklage lautete auf Unterstützung der PKK.

31 Tage verbrachte Taysun in der Untersuchungshaft und wurde schwer gefoltert. Ein Teil der Zunge wurde ihm abgeschnitten, viele Zähne wurden ihm ausgeschlagen, weitere acht wurden ihm auf brutalste Weise gezogen. „Nackt wurde ich an den Händen aufgehängt, so daß meine Zehen gerade so den Boden berührten und dann hat man mich mit mit eiskaltem Wasser aus Hochdruckschläuchen beschossen. Mit verbundenen Augen wurde ich verhört, beleidigt, erniedrigt und bedroht. Ich wurde gezwungen, mit verbundenen Augen das Protokoll der Vernehmung zu unterschreiben. Ich erhielt Fußtritte und Schläge mit Gummiknüppeln, auch im Gesicht. Außerdem wurden mir mehrere Male Elektroschocks an verschiedenen Körperstellen versetzt, vor allem an den Geschlechtsteilen, am rechten großen Zeh, am rechten Daumen, an den Ohren und den Zähnen. Unter diesen Bedingungen habe ich 25 Kilo abgenommen“, erzählt der Bürgermeister über ein Stück Papier und über einen Dolmetscher.

Von Taysuns Familie befinden sich noch 33 Verwandte in Haft, zwei von ihnen erwartet die Todesstrafe. Ein Neffe des Bürgermeisters wurde von der Polizei erschossen. Bei allen lautet der Vorwurf: Unterstützung der PKK und „separatistische Tätigkeit“.

„Der Fall meiner Familie ist einer von mehreren, die in Kurdistan sehr häufig vorkommen“, meint Levent Taysun. „Jeden Tag werden Menschen unter dem Vorwand des „Terrorismus“ festgenommen, gefoltert und ermordet. Wenn in einem Land die Zunge eines demokratisch gewählten Bürgermeisters abgeschnitten wird, um damit seinen Kontakt zur Außenwelt abzuschneiden, wenn der türkische Staat die Existenz von 20 Millionen Kurden leugnet, und wenn er dies mit Hilfe der europäischen Länder tun kann, fordere ich Europa auf, seine bisherige Politik zu überdenken. Man kann sich das Ausmaß des Völkermords am kurdischen Volk gar nicht vorstellen.“ Levent Taysun will trotz der grausamen Erfahrungen zurück nach Kurdistan – „so schnell es geht. Ich will in meiner Heimat sterben.“

Eva Frerichs