Das Vorbild ist die Message

■ Warum reden und rappen sie so? Die Mütter und Väter der Kreuzberger Posse "To stay here is my right". Warum diese Posse wenig mit Streetworking, aber viel mit "Spirit" zu tun hat - ein Gespräch

Giò di Sera (30) und Neco Devinci (21), haben 1991 die „To stay here“-Posse (neumodisch für Clique, Gang) gegründet. Die Posse versteht sich als Sammelbecken für Kreuzberger Kids aller Nationen, die nicht nur auf der Straße rumhängen wollen. Hauptaktionsfelder der Acht- bis 31jährigen: Rap, HipHop, Breakdance, Graffiti, Mode, seltener: Tischtennis. „Unser Credo ist Survival, unsere Sprache ist HipHop, unser Tempel ist die Straße.“ Wenn sie sich dort verlieren, treffen sie sich im Jugendzentrum Naunynritze wieder. Wir trafen vier von ihnen bei ihrer Ausstellung „Street '94. The Posse Effect“ – eine Art Wurmfortsatz des X' 94-Festivals – im Kunsthaus Bethanien.

Anna Cafetzakis und Monica Maldonado, beide 25 Jahre alt, studieren Modedesign an der Lette- Schule und haben die „Go with the flow“-Modenschau präsentiert. Gabriele Werner hat die Ausstellung mitorganisiert.

taz: Wie kam's zur Gründung der Posse?

Neco: Es war eine Reaktion auf Mete Eksis Ermordung, weil er bei uns im Viertel gewohnt hat.

Giò: Gegründet wurde die Posse im Januar 1992. Als erstes machten wir ein Benefizkonzert. Davon wurde dann ein Graffiti- Wettbewerb in der Naunynritze finanziert. Wir wollten Kindern und Jugendlichen zeigen, was sie alles machen können. Am Ende geht's darum, Vorbild zu sein, damit das nicht die Drogendealer mit ihren dicken Autos und Funktelefon sind. Die Kids kennen den Background nicht. Ich kenne ihn, weil ich auch aus einem Krisengebiet, aus Neapel, komme. Ich kenne die Extreme von dort. Da geht's richtig ab, da werden die Leute angeknallt. Da wirst du mit 15 Killer oder Dealer. Du mußt dich entscheiden: abhaun' oder mitmachen. Deshalb kümmern wir uns um die Kinder hier.

Versteht Ihr euch als alternative Sozialarbeiter?

Giò: Ja ja, das hat sich so entwickelt, wir sind Volontäre (lacht). Es war mehr so, daß die Kids sich gefreut haben, daß jemand, der ein bißchen älter ist, aber die gleichen Roots hat und die gleiche Sprache spricht, gesagt hat: Hier, mach mal was! Nicht weil wir Streetworker sind und Kohle dafür bekommen. Auf einmal war Vertrauen da, das hat uns motiviert, und das hat sie motiviert, auf unsere Welle zu kommen. Die sehen uns jeden Tag, wie wir uns dreckig machen bei der Arbeit. Und wie wir uns cool und wichtig machen, durch Posen und so. Das finden sie cool, dann wollen sie auch so werden. Ganz konkret und ganz banal: Es geht darum, Vorbild zu sein.

Neco: Das Wort Streetworker sollte man nicht benutzen, wir werden ja auch nicht vom Senat bezahlt. Aber ich arbeite tatsächlich als Sozialarbeiter in der Naunynritze.

Gabriele: Ohne HipHop und das, was HipHop meint – die Verarbeitung von Aggressivität –, hätte die Posse nicht gut funktionieren können. U-Bahn-bombing oder battles, das ist ein sehr aggressiver Sprachgebrauch. Nur wie das ausgetragen wird, das sind die Momente, wo es gegen Gewalt geht. Die Moral eines battles ist, daß sich die Tänzer nicht berühren, sondern Showkämpfe führen. U- Bahn-Bombing meint nichts anderes, als so ein großes Graffito möglichst schnell auf den Wagen zu kriegen. Trotzdem gibt's einen absoluten Ehrenkodex, daß Pieces (die fertigen Bilder, a.d.Ü.) nicht berührt oder übersprüht werden. Wenn das passiert, ist es eine Form von Aggressivität.

Wie steht Ihr als Frauen zur Agressivität in der Szene?

Anna: Tatsache ist, daß überwiegend Männer in der Szene aktiv sind. Wenn man sich Breaker, Sprayer, Rapper anguckt, sind höchstens fünf Prozent davon weiblich. Man kann nicht genau sagen, woran das liegt, aber ich schätze mal, daß Frauen sich auf eine andere Art behaupten als Männer und anders nach Bestätigung suchen. Das ist auch in der HipHop-Szene so.

Wie ist es bei dir, Anna?

Anna: Ich hab' das Problem nicht. Aber ich hab' mal Mädchen zum Breakdance in die Naunynritze eingeladen, und die haben gesagt: Aber nicht, wenn Jungs zugucken. Gerade in der Pubertät haben sie diese Angst. Das hat auch nichts mit der Nationalität zu tun.

Gabriele: Das Problem ist, daß Erziehungsgrenzen überschritten werden müssen. Ob es nun beim illegalen nächtlichen Graffiti-Sprayen ist oder sich beim Tanzen mit gespreizten Beinen auf den Rücken zu legen.

Anna: Mädchen schaffen die Liegestütze beim Breakdance oft gar nicht, rein anatomisch.

Giò: Es gibt viele Mädchen, die sprühen, in den Crews gibt's keine Unterschiede zwischen Frauen und Männern.

Gabriele: Was ich sehr erschreckend fand, war das Interview von zwei Frauen aus dem Graffiti-Buch („Spray-City“), in dem sie davon berichten, daß sie rabiat behandelt würden.

Anna: Genau, kaum haben sie mal ein enges T-Shirt an oder ziehen sich zu weiblich an, werden sie gleich „bitch“ genannt. Deswegen passen sie sich total an die Männer an. Die laufen rum und bewegen sich wie Typen. Ich finde, es ist nicht Sinn der Sache, nur integriert zu werden, wenn man seine eigene Weiblichkeit leugnet.

Giò: Aber es gibt auch Frauen wie Cora E, die darauf stehen, sich männlich zu geben.

Was haltet Ihr vom Sexismus- Vorwurf gegen amerikanische Rapper?

Giò: Nimm' „Naughty by Nature“ – die Aggressivität kommt aus ihrer Umwelt, nicht aus den Leuten selbst. Man muß sich fragen, woher sie kommt. Wer hat die Leute angesteckt? Warum reden und rappen sie so? Nicht weil sie böse sind!

Sind die US-Rapper Vorbilder für euch? Wird nicht vieles davon hier einfach nur nachgeahmt?

Giò: Die Botschaft der HipHop-Kultur ist, aus den Krisengebieten rauszukommen. Mit Mitteln, die ungefährlich und kreativ sind. Wichtig sind die Roots. Die verarbeitet jeder so, wie er sie empfängt. Es gibt natürlich Leute, für die HipHop ein Klischee ist, an das sie sich anpassen. Aber die erleben nur die Erscheinung der Sache und nicht den Spirit. Die beiden Frauen hier haben das schon anders gemacht. Mit ihrer Ethno-HipHop- Mode haben sie ihre eigenen Roots mit der HipHop-Message verbunden. Für uns ist nicht Amerika das Vorbild. Das Vorbild ist die Message. Wir benutzen das als gemeinsame Sprache. Ich als Italiener, als Türke, Spanier, als was weiß ich, Kanadier... Das haben wir halt übernommen, und das hat funktioniert.

Anna: Ich find's auch sehr interessant, daß in der HipHop-Szene die meisten Ausländer aktiv sind. Bei Techno-Veranstaltungen wirst du kaum Ausländer finden. Das Problem ist, daß wir ja auch entwurzelt sind. Ich bin hier geboren, meine Eltern kommen aus Griechenland. Ich kann aber nicht sagen, daß Griechenland mein Vaterland ist und ich mich damit identifiziere, sondern mit dem, was um mich herum ist.

Wie stellt sich die Situation in Kreuzberg für euch dar?

Neco: Es rennen immer mehr Bullen rum. Seit die Sondereinsatztruppe am Kotti gegen die Junkies operiert, rennen sogar immer mehr Bullen rum, die man gar nicht kennt. Am 3. Oktober hatten wir in der Naunynritze eine Jam- Session gemacht, und da die Polizei dachte, daß wir Action machen wollen, hatte sie vor, den Laden zu stürmen.

Giò: In Kreuzberg erlebt man Rassismus weniger, aber sobald man es verläßt, spürt man die Ausländerfeindlichkeit.

„To stay here is my right“ wirkt zunächst einmal sehr passiv. Eigentlich könnte man doch euren Slogan viel radikaler formulieren?

Giò: Aber wir sind nicht so. Wir wollen nicht mißverstanden werden, sondern uns selbst behaupten. Wir wollen nicht wie die Autonomen sein. Unsere Mittel sind andere, aber wenn wir angegriffen werden, dann sind wir keine braven Schafe. Unsere Arbeit wäre ohne die Naunynritze nicht möglich gewesen. Allein schon von den Räumlichkeiten und den Sozialarbeitern her. Aber jetzt wird wieder eine Stelle gekürzt, weil es keine Gewalt mehr gibt. Wir haben zu gut gearbeitet. (lacht)

Giò, du rappst doch auch und machst eine HipHop-Show auf Kiss FM!

Neco: Rap mal!

Giò: Meine Waffen heißen Kunst Musik – damit schieße ich fantastisch!

Neco: Immer dasselbe.

Giò: Ja, aber es läuft.

Interview: Andreas Becker und Katja Winckler

Die Ausstellung ist noch bis übermorgen zu sehen. Mariannenplatz 2, 12–18 Uhr.

Heute abend, 22.4., 20.30 Uhr, Open-air-Kino am Mariannenplatz: „Juice“, klasse HipHop- Krimi, Samstag, 23.4., 20.30 Uhr, Freestyle-Massaka.

Kontakt zur Posse unter 615 62 94.