Richtiger Nonsens

Eva Hesses Bilder und Reliefs im Ulmer Museum  ■ Von Gabriele Hoffmann

Eine von Blau zu Grün changierende Schnur bohrt sich durch eine seegrün bemalte Styroporfläche, folgt ihren Launen im Spiel mit einer zweiten Schnur, zwängt sich durch metallene Ösen und ein Stück Plastikschlauch, um am Ende erschöpft vor der Wand zu baumeln. „Top Spot“ gehört zu den Reliefs, mit denen Eva Hesse 1965 die „ästhetische Einheit“ des Tafelbildes verläßt.

In den Turbulenzen der New Yorker sechziger Jahre zwischen Minimal und Pop-art meldete sich die Künstlerin mit einer unüberhörbar eigenen Stimme zu Wort, die ihre Künstlerkollegen Sol LeWitt, Smithson und Mel Bochner aufhorchen ließ. Immerhin bestand so schon ein Echo zu Lebzeiten, das der ehrgeizigen Künstlerin neue Kraft gab, wenn sie an der Unfähigkeit, eine künstlerische Form für ihre inneren Widersprüche zu finden, verzweifeln wollte.

Ihre Biographie verläuft fast parallel zur klassischen Moderne: Eva Hesse wird 1936 als Kind jüdischer Eltern in Hamburg geboren. 1938/39 emigriert die Familie über Amsterdam nach New York. Die Scheidung ihrer Eltern und der Freitod der Mutter sind die bedrückendsten Kindheitserlebnisse, die zu ihrer selbstquälerischen psychischen Konstitution wesentlich beigetragen haben. Mit 34 Jahren stirbt sie an einem Gehirntumor.

In der von Brigitte Reinhardt konzipierten Ausstellung im Ulmer Museum werden die vierzehn Monate ins Zentrum gerückt, die Eva Hesse ab Juni 1964 mit ihrem Mann, dem amerikanischen Bildhauer Tom Doyle, auf Einladung des Textilfabrikanten und Sammlers F.A. Scheidt in Kettwig an der Ruhr verbringt. Begierig will sie die europäische Kunstszene kennenlernen – vor allem Düsseldorf mit Beuys und den deutschen Zero-Künstlern Haacke, Piene und Uecker. Doch die Arbeit in den großzügigen Atelierräumen der Scheidtschen Fabrik wird ihr bald zur Last. Sie spürt, daß sie – als Jüdin in Deutschland – in der Malerei zu keiner Sprache für ihre zerrissenen Empfindungen gelangt.

Den Auftakt in Ulm bilden Ölbilder und Gouachen aus der amerikanischen Zeit von 1960/61, die im Rückblick, wie ihn die große Retrospektive 1992/93 (New Haven, Valencia, Paris) vermittelte, bereits den Keim der späten plastischen Arbeiten enthalten. In kleinformatigen Ölbildern mit schlingerndem Pinselstrich treten aus den mit viel Weiß entschärften Buntfarben schemenhafte Figuren in Zweierbeziehungen. Über dem Kopf einer hohläugigen Figur mit aufgerissenem Brustkorb wölbt sich eine wuchernde, leuchtendorange Form: abstruser Kopfputz und suggestiver Ausdruck einer inneren niederdrückenden Last. Der für Eva Hesses Gesamtwerk bezeichnende Widerspruch zwischen obsessiver Selbstbefragung, ihrem Drang zur Antiform und dem Willen und der Intelligenz zu radikaler formaler Vereinfachung kündigt sich hier an.

Zarte Figurationen leuchten in feingestuftem Braun und Ocker aus tiefdunklem Grund in den Gouachen aus den Jahren 1960/61 auf: Das Amorphe ist eingebettet in eine klare Flächenordnung. Diese Arbeitsweise führt 1966 zu lavierenden Tuschzeichnungen, die die Selbstbeschränkungen des amerikanischen Minimalismus auf lebendige und auch leichtsinnige Art parodieren. Ab 1962 führt die gerade Zwanzigjährige einen Kampf gegen alle Regeln der Gattung Malerei, zeichnet mit Ölfarbe und Gouache auf Leinwand und Papier. Gegenständliches zersplittert in winzige Fragmente, Kreise, Kästchen oder Schlingen, die von Pfeilen auf ihre Bahnen verwiesen werden. Ein fröhlicher, „jazziger“ Rhythmus läßt die minutiös gezeichneten und farblich exakt bemessenen großen und kleinen Gewichte in einem „wilden Raum“ durcheinanderschwirren.

Röhren und Anschlüsse

In Kettwig nun beginnt eine neue Serie von Zeichnungen mit Öl auf Leinwand. Die Flächen sind in rechteckige Felder aufgeteilt, schließen Dinge ein, die man kaum benennen kann: geradezu aufdringlich klar konturierte Als-ob- Gegenstände – die Vorstufe zu den späteren „Maschinenzeichnungen“ in schwarzer Tusche. Die Masken sind gefallen: die Welt der Dinge, reduziert auf Schläuche und Röhren, Anschlüsse und Überbrückungen, ordnet sich als ein abstruses organisch-mechanistisches Laboratorium: „Es ist sonderbar. Es entsteht richtiger Nonsense“, urteilt Hesse selbst. Von dieser Idee geleitet, stolpert sie unweigerlich über die in der Fabrik herumliegenden Materialien: Schnur, Maschinenteile, Schläuche. Arbeiter fertigen ihr Preßspanplatten an, auf die sie gefärbte Pappmaché-Formen montiert, aus denen wiederum Fundgegenstände in den Raum „wachsen“.

Die Ausstellung zeigt fünf der 1965 in wenigen Monaten entstandenen vierzehn Reliefplatten, mit denen ihr der Durchbruch zur Plastik gelingt. Die sorgfältige Handarbeit verleiht den Kombinationen eine gewisse Absurdität. In „Legs of a Walking Ball“ dominiert die exzentrische Gesamtform, während in „Up the Down Road“ eine purpurne Kordel ihren gewundenen Weg in den Raum sucht, bevor sie in dem rauhen, mauerartigen Material (mit Aluminiumfarbe bestrichenes Styropor), aus dem sie aufgetaucht ist, wieder versinkt. Die Komik unvorhersehbarer Form- und Materialbegegnungen siegt über den Ernst der Widersprüche in der Malerei.

Einige Arbeiten aus der ersten Zeit nach der Rückkehr in die USA zeigen Hesses gewandeltes Verständnis von der Skulptur als plastischer Einheit. Für „Ingeminale“ sind zwei mit glänzendschwarzer Schnur umwickelte wurstartige Gebilde durch einen Infusionsschlauch verbunden. Zwei oben offene Kuben in grobem Papiermaché zeigen eine geradezu aufdringliche Farb- und Formaskese: „Inside I“ als Behälter für ein Gekröse aus Schnur und zwei verschnürte Päckchen in bleiernem Grau – „Inside II“. Die komplexe Metaphorik von Innen und Außen wird unmittelbar zum Objekt: Es ist dieser letzte Raum der Ulmer Ausstellung, in dem man die wachsende künstlerische Kraft spüren kann, mit der Eva Hesse die Konzepte der Miminal art durch die Übersetzung mit neuen Werkstoffen in ein Bekenntnis zu Kunst und Leben, Körper und Geist verwandelte.

„Eva Hesse: Drawing in Space“. Noch bis zum 23. Mai