Polnisches Flaggenfest

■ Süßigkeiten lockten zur Parade, Gespräch mit einer Fahnenschneiderin

Malgosia wollte mit der Partei eigentlich nie etwas zu tun haben, aber sie war in der Gewerkschaft, und da wurde es gern gesehen, wenn man hinging. In der Gewerkschaft war sie, weil es die einzige war und weil man ohne die nur schwer auskam, wenn man die Kinder ins Ferienlager schicken oder selbst in eines der Gewerkschaftsheime fahren wollte. Und aus dem gleichen Grund ging Malgosia auch zum 1.-Mai-Umzug: „Das wurde gern gesehen, es gab immer irgendwelche Vergünstigungen dafür, mal einen Berechtigungsschein für den Devisenladen, mal Theaterkarten. Und am Rande des Umzugs waren die ,1.-Mai-Kioske‘. Aus denen heraus wurden defizitäre Süßigkeiten und andere verlockende Kleinigkeiten verkauft.“ So sorgte die Partei dafür, daß immer viele Teilnehmer beim Umzug waren.

Was in den siebziger Jahren noch Volksfestcharakter hatte, wurde in den Achtzigern zur Loyalitätserklärung an die Regierung, die das Kriegsrecht verhängt hatte. Die damals delegalisierte Gewerkschaft Solidarność organisierte aus dem Untergrund eigene Märsche, die von der Polizei unter viel Wasserwerfereinsatz und Prügel aufgelöst wurden, während an anderen Orten der Stadt friedlich, aber unter großem Polizeischutz der offizielle Aufmarsch vonstatten ging. Heute demonstrieren vor allem noch Rentner, obwohl die früheren kommunistischen Gewerkschaften immer noch zum 1.-Mai- Marsch aufrufen.

Heute findet man nur noch wenige Relikte der einstigen Feier- Organisationen – wie zum Beispiel der letzte „Propaganda-Laden“ in Warschau, mit dessen Inhaberin Zdzislawa Rodziewicz die taz sprach.

taz: Aus Ihrem Laden stammen also die vielen roten Fahnen, die früher beim 1.-Mai-Umzug immer getragen wurden. Verkaufen Sie jetzt weniger?

Zdzislawa Rodziewicz: Früher haben die Betriebe bei uns so viele Fahnen bestellt, wie der zuständige Parteibonze ihnen zuteilte. Ganz egal, wie viele sie noch vom Vorjahr im Keller liegen hatten. Das wurde zentral zugeteilt, und mit den Listen kamen die Einkaufschefs der Betriebe dann zu uns. Das Zeug kostete damals ja auch nicht viel. Heute ist es teurer, und die Betriebe haben kein Geld mehr. Da kaufen sie auch nicht mehr soviel, soviel sie eben brauchen.

Sie nennen sich immer noch „Propaganda-Laden“, wie früher.

Ja, und das ändern wir auch nicht. Propaganda gibt's immer noch, auf der ganzen Welt. Mit dem Ende des Kommunismus ist die nicht ausgestorben. Ich bin sowieso der Ansicht, daß sich in der Hinsicht zu früher nichts geändert hat. Früher gab's hier Großbestellungen, wenn ein Premier oder Minister in einen Betrieb zu Besuch kam. Dann wurde groß beflaggt, und wir mußten liefern. Zuletzt hatten wir auch so eine Bestellung, als Premier Pawlak einen größeren Betrieb besuchte. Damals haben sie die Fahnen nach den Feiertagen hängen lassen und weggeworfen, heute machen sie es genauso. Obwohl unsere Fahnen und Flaggen waschbar sind, mein Herr. Alles erste Qualität. Das einzige, was sich zu früher geändert hat, ist, daß der Adler auf der polnischen Flagge jetzt eine Krone auf dem Kopf hat. Und daß wir heute mehr für private Betriebe schneidern. Interview und Text:

Klaus Bachmann, Warschau