Lucky Brother is watching you

Mit der „Lucky Strike Originals“-Musikkneipe in Berlin wagt die Werbeindustrie ein Novum: Statt Kultur zu sponsern, schaffen Zigarettenfirmen selbst Kultur  ■ Von Michaela Schießl

Der Sündenfall erstrahlt direkt neben der Hochkultur: Schräg gegenüber dem weltberühmten Pergamon-Museum, zwischen der Deutschen Oper und dem Berliner Ensemble, dort, wo sich das Schöngeistige der Hauptstadt in mächtigen, klassizistischen Bauten ballt, ballt seit kurzem auch die Werbeindustrie das Fäustchen und lacht beglückt hinein. Denn erstmals ist gelungen, wonach das Werberherz sich sehnt: Kultur nicht nur sponsern, sondern selbst Kultur sein.

Ganz harmlos kommt die Weltneuheit daher und tut so, als sei sie eine ganz normale, chromglänzende Kneipe. Doch das „Lucky- Strike Originals Diner and Entertainment“ eröffnet in Wahrheit eine neue Dimension. Wer sich furchtlos unter dem weiß-roten Kippen-Logo hindurch ins amerikanische Restaurant schiebt, begibt sich in eine Welt, die findige Werber rund um ein Produkt kreiert haben: Willkommen im Land der unbegrenzten Möglichkeiten, hereinspaziert in den amerikanischen Traum, tauchen Sie vertrauensvoll ein in die Lebenswelt der Lucky Strike. „Vor zehn Jahren hätte man uns für solche Nähe zur Werbung in der Luft zerrissen“, sagt Geschäftsführer Klaus Rößler. Fast ist der erfahrene Organisator von der lokalen Konzertagentur „Downtown“ ein bißchen enttäuscht, daß sich niemand so recht aufregen mag über seine Erfindung. Während im benachbarten Kreuzberg Yuppieläden und Edelbars von cocktailresistenten selbsternannten Klassenkämpfern angezündet werden, wollten sich im Falle „Lucky Strike Originals“ nicht einmal die 80 zur Eröffnung erschienenen Journalisten über das Mischkonzept erregen. „Kein einziges böses Wort, nur Wohlwollen. Werbung ist heutzutage nichts Anstößiges mehr, da gibt es keine Berührungsängste.“

Klaus Rößler zumindest kannte keine Scham, als er gemeinsam mit seinem jetzigen Kompagnon Klaus Spiesberger in der Berliner Jazz- Bar Bebop zusammensaß und über den großen Coup brütete. Spiesberger, jahrelang verantwortlich für das Musikprogramm des Jazz-Clubs Quasimodo, waren die drei Gewölberäume in den S- Bahnbögen angeboten worden. 600 Quadratmeter für große Ambitionen: Ein eigenes Musiklokal mit Schwerpukt auf schwarzer Musik, von Funk bis Soul über Bebop zum Blues. Wie aber nennen, das Kind? Und woher nehmen, das Geld? Der Staat schließlich hat nichts mehr übrig für Kultur. Gedankenverloren ließ Rößler seinen Blick schweifen, bis er auf der Schachtel seines Lasters hängenblieb und die Idee gebar, die die Werbewelt in Aufregung stürzen würde: „Nennen wir es doch einfach ,Lucky Strike‘.“ Hätte Rößler Marlboro geraucht, wer weiß, vielleicht würden die Berliner heute ihren Whiskey im Saloon runterkippen, auf Westernsätteln Country-Sängern lauschen. So aber sprach er in Hamburg beim Zigarettenkonzern B.A.T. vor, dem Hersteller von Lucky Strike. „Fast ein Jahr lang hat es gedauert, bis der Kooperationsvertrag unter Dach und Fach war“, sagt Rößler. Denn natürlich ging es um mehr als nur um die Verwendung des Logos: Das Projekt sollte ganz und gar auf das Image des Produkts ausgerichtet werden. Und B.A.T. sollte zahlen.

„Als uns das Projekt angeboten wurde, haben wir am Anfang noch gar nicht recht kapiert, welche Chance sich da auftut“, sagt HansJürgen Raben, PR-Manager des Zigarettenkonzerns B.A.T. Tatsächlich jedoch ist es kein Zufall, daß ausgerechnet die Zigarettenindustrie diesen Vorstoß wagt, der Kultur und Werbung zu Geschwistern macht. Denn die Luft ist dünn geworden für die Marktschreier des blauen Dunstes. Wie ein Damoklesschwert schwebt das vieldiskutierte europaweite Verbot für Zigarettenwerbung über den qualmenden Häuptern, und nur der starken Lobby ist es zu verdanken, das es bislang nicht durchgesetzt wurde. Diversifikation heißt seither das Zauberwort. Was heißt: unverfängliche Produkte unter dem gleichen Namen, dem gleichen Image zu vertreiben. Marlboro etwa verkauft Kleidung in den Marlboro-Classic-Läden in München und Düsseldorf, Camel bietet Adventure-Equipment für Dreitagebärte. Doch eine gesamte „Lebenswelt“? Da konnte B.A.T. nicht widerstehen.

Hochoffiziell und rechtlich agieren der Zigarettenmulti und die Kneipiers völlig getrennt. Rößler, Spiesberger und der für die amerikanische Gastronomie zuständige Texaner Michael Black gründeten eine eigene Firma, die „Lucky People Restaurant & Entertainment GmbH“, und das Lucky- Strike-Logo wurde mit dem Zusatz „Originals“ versehen. Das Darlehen jedoch, den edlen Laden auszustatten, kam von B.A.T. – laut Rößler zinslos, laut Raben „sehr günstig“. Die gesamte Pressearbeit erledigt der Zigarettenmulti, ebenso organisiert B.A.T. die Ausstellungen. „Die schlagen ein wie der Blitz“, freut sich Raben. Zur Coca-Cola-Ausstellung waren 4.000 Besucher gekommen, und als Harley-Davidson-Motorräder gezeigt wurden, drängelten sich gar 13.000 Schaulustige in drei Wochen. „Wir gehen bewußt davon ab, uns an Trends dranzuhängen“, erklärt Rößler. Das Konzept der lucky Geschäftsleute zielt vielmehr auf amerikanische Klassiker, deren Zeitlosigkeit wegen: „Wir haben einen Mietvertrag über 20 Jahre, da müssen wir auf Werte setzen, nicht auf Moden.“

Nicht ohne Witz, daß die Kneipiers – selbst vorläufiger Höhepunkt der Diversifikationsbemühungen der Zigarettenindustrie – nun ihrerseits mit Diversifikationen arbeiten: Dem Restaurant angeschlossen ist ein Laden, der US- amerikanische Kultgüter vertreibt: Das weiße T-Shirt von James Dean, vollverchromte Föns und Toaster, das Zippo-Feuerzeug, allesamt mit dem Lucky-Logo verziert. US-Klassiker, von denen viele vom legendären Designer Raymond Loewy entworfen wurden – wie auch das Lucky-Strike- Emblem. „Wir verstehen unseren Laden als eine Hommage an Loewy“, sagt Rößler, und als Kunst möchte er auch die ausgestellten Lucky-Strike-Bilder verstanden wissen, nicht etwa als Werbung.

Um den US-Geist zu finden, fuhren die Geschäftsführer extra in die Staaten, um original amerikanisches Industrie-Interieur auszuwählen. Der lange Holztresen etwa stammt aus einer New Yorker Bar. Wo Werbeleute walten, bleibt nichts dem Zufall überlassen.

Trotzdem: Die Macher hatten letzte Zweifel, ob diese neue Verbindung – Werbung macht Kultur – angenommen wird. Doch die blieben unbegründet. Seit einem Jahr läuft der Laden. Noch nicht allzu schwungvoll, aber von Ablehnung oder gar von einem Boykott kann keine Rede sein. Das Publikum hat keinerlei Bedenken, sich in die Zigarettenschachtel zu begeben. „Wir haben uns große Mühe gegeben, das Umfeld zigarettenunabhängig zu gestalten“, sagt Rößler. Keine Lucky-Strike-Aschenbecher auf den Tischen, keine Zigarettenwerbung, keine Promotionteams. Dafür Heinz-Ketchup und Spare-Ribs und eine erstklassige Lüftungsanlage. „Wer hier drin ist, soll nicht das Gefühl haben, sich in einem Werbepalast zu befinden.“ Denn schließlich tut dies nicht Not: Wer sich freiwillig in die Höhle der Glücklichen begibt, muß nicht mehr überzeugt werden. Und wem es vielleicht doch komisch vorkommt, wird durch das erstklassige Musikprogramm geködert: Wenn Maceo Parker ins Saxophon pustet, sind ideologische Bedenken wie weggeblasen. Das Konzept „Friß und freu dich“, es geht auf, die Kultur gibt ab an die Werber. „Wir sind die, die Trends machen, wir sind die Szene“, frohlockt Raben.

Da wird es wohl nicht mehr lange dauern, bis die Currywurst im „Zewa Wisch und Weg“ eingenommen wird. Wer mal wieder so richtig geil abfahren will, dampft Vollgas ins „Mercedes“, und bald schon wird das Pergamon-Museum umbenannt werden müssen. Vielleicht in „Asbach Uralt“.