Grambke ist älter als Bremen

■ Sensationeller archäologischer Fund / Aber 15.000 Mark fehlen für genauere Erforschung

Es waren aufmerksame Bauarbeiter, die in der letzten Woche bei den Ausschachtungen für ein Mehrfamilienhaus im dörflichen Stadtteil Grambke diese typischen dunklen Erdverfärbungen entdeckten. Landesarchäologe Manfred Rech wurde ordnungsgemäß herbeigerufen, und nach einer Prüfung des Geländes stellte er fest: hier bahnt sich ein sensationeller Fund an.

Erstmalig wurde im Bremer Umland ein uralter Ortskern freigelegt, mit Resten von Pfostenhäusern, von drei Brunnen, die zum Teil noch Wasser führen, von Abfallgruben, Werkstätten und Grubenhäusern, in denen Vorräte gelagert wurden. Das alles ergibt eine kleine Dorfsiedlung, das „Urdorf Grambke“, wie Rech sagt, das, nach Scherbenfunden zu schließen, schon im 7. Jahrhundert existiert hat. Damit ist bewiesen, daß Grambke viel älter ist, als seine erste urkundliche Erwähnung im 12. Jahrhundert, mindestens so alt also, wie Bremen selbst.

Am Wochenende arbeitete eine kleine Schar von eifrigen Ausgräbern in der Baugrube. Vier polnische Bauarbeiter, die von der Baufirma Buschmann kostenlos zur Verfügung gestellt wurden, und die schon Siebe voller kleiner Scherben gesammelt haben, gutgelaunt über diese so andersartige Aufgabe; und einige freiwillige StudentInnen des Bremer Uni-Fachbereichs Vor- und Frühgeschichte, die sich nach Einweisung ihres Professors Rech die dunklen Erdstellen für Ausschabungen vornehmen, denn genau dort sind Pfosten und Abfälle vermodert, dort kann man fündig werden.

Sie alle arbeiten schnell und zügig, denn am heutigen Montag beginnt schon der Bagger wieder sein Werk und vernichtet die ersten Spuren. Fünfzehntausend Mark müßte die Stadt Bremen rausrücken, damit die Bauarbeiten stillstehen könnten, um diese einmaligen Funde aus Bremens frühester Geschichte zu sichten. Fünfzehntausend Mark nämlich würde die Ordnungsstrafe für eine verzögerte Bauvertragserfüllung kosten. Doch dieses Geld ist nicht da, und Manfred Rech rauft sich, wie schon häufig in seiner Funktion als Landesarchäologe, die Haare: „Im Staatsarchiv können sie Urkunden auf unbestimmte Zeit einmotten“, sagt er, „aber diese Bodenurkunden werden ein für allemal verloren gehen!“

Dabei hält Rech eine hellgebrannte Scherbe in der Hand, eine Scherbe, wie sie in unserer Gegend noch nie gefunden wurde, und die er doch auf den ersten Blick den „dunklen Jahrhunderten“ zuordnen kann, der Zeit vor den ersten schriftlichen Aufzeichnungen, die im 8./9. Jahrhundert begannen. Immerhin weiß man von der Siedlung Grambke (der Name – Grambeke – weist auf den vorhandenen Bach hin), daß die alten Sachsen einen Kilometer von dem jetzigen Ortskernfund gesiedelt hatten und im 5. Jahrhundert weggezogen sind. Vielleicht gehören sie zu den Gründern von Grambke?

Auf jeden Fall haben die Dorfgründer Flußmuscheln aus der Weser gegessen, was die guterhaltenen Muschelschalen in einem der schließlich als Abfallgrube benutzten Brunnen zeigen. Sie haben Keller-Webstuben gehabt und viele tongebrannte Webgewichte hinterlassen. Sie haben Tontöpfe gebrannt, die sich an der Art ihres umgeschlagenen Randes und der Riffelung ins 7. Jahrundert bis hin zum 13. Jahundert einordnen lassen. Eisenschlacke weist auf Metallverhüttung hin. Und einmal ist ihnen ein Vorratshaus abgebrannt. Die Holzkohle der Balken ist in deutlichen Umrissen im Baugrund zu sehen.

Einer der polnischen Bauarbeiter hat einen einzelnen Ziegelstein entdeckt. Er will ihn achtlos beiseite werfen, aber Rech hält ihn auf: „Der hat das typische Klosterformat. Wie auch immer er in die Holzbausiedlung gekommen ist –man könnte Rückschlüsse ziehen, ab wann im Bremer Gebiet Ziegelsteine gebrannt wurden.“ Man könnte. Man könnte in Ruhe graben, sammeln, magazinieren und die dunklen Bremer Jahrhunderte erhellen , wenn 15.000 Mark aufzutreiben wären. Wie es aber aussieht, haben Rech und seine zusammengetrommelte Truppe nur noch den heutigen Tag, um zugleich mit dem schon baggernden Bagger noch zu retten, was zu retten ist. Vielleicht reicht es für die Examensarbeit einer Bremer Studentin.

Cornelia Kurth