Leise flehen unsre Lieder

■ Wenn es nach der drei Millionen Mark teuren Werbekampagne für Bremen geht, kann man sich Bremen eigentlich schenken: Eine Rezension

Andere Städte, Länder, Landschaften hauen malerisch auf den Putz, wenn sie fremde Leute für sich begeistern wollen. Bremen bezaubert durch Grämlichkeit: „Vielleicht haben der Mangel an Bergen und die meeresfrische Kühle Sie bisher abgehalten, sich für Bremen als Wohnort und Arbeitsplatz zu interessieren.“ So fängt eine der Anzeigen an, die derzeit bundesweit von unserer kleinen Stadt geschaltet werden. Das ist, als würde man sagen: „Na gut, Sie haben bestimmt Ihre Gründe, wenn Sie dieser stinkefaden, gemütskranken Stadt fernbleiben, aber wir müssen jetzt halt auch diese Werbung machen.“

Sechs ganzseitige Farbanzeigen dieser Sorte werden, übers Jahr verteilt, insgesamt 64 mal erscheinen: hauptsächlich in „Spiegel“ und „Focus“, in den Magazinen der „Zeit“ und der „Süddeutschen“ und in der „Wirtschaftswoche“. Drei Millionen Mark kostet das Unternehmen; das Geld kommt einvernehmlich je zur Hälfte vom Senat und von der Wirtschaft, und man sieht es der Kampagne an. Sie ist die teuerste, die sich Bremen je geleistet hat, und sie schaut unter aller Städtereklame mit Abstand am billigsten aus.

Auf jeder dieser sechs Seiten sieht man viel Schwarz, oben den Spruch „Riskieren Sie doch mal einen Blick“, darunter ein Schlüsselloch und dahinter was ganz Typisches, zum Beispiel den Fallturm, ein nettes Haus oder das Schaffermahl, wo unsere Wirtschaftskapitäne unverbrüchlich an langen Tischen hocken. Das ist übrigens das einzige Motiv, dessen Besichtigung man wirklich riskieren müßte, denn man wird im Erlebensfall natürlich von den Saaldienern auf der Stelle hinausgeschafft. Das Touristenaufkommen ist deshalb im Falle dieser Attraktion beschränkt auf vereinzelte Bonner Kreise, aber das Schaffermahl wird ja sowieso nur in die Kampagne geraten sein, weil Beck's-Hattig zu Jacobs-Müller gesagt hat: „Nee, wenn da uns Schaffermahl nich rinkümmt, zahln wir Wirtschaftskapiteene kein Fennich!“ Jedenfalls so ungefähr, und das ist schon Bremens ganzes Elend.

Selbst den Werbefritzen von der verantwortlichen Agentur „Young & Rubicam“ war das so peinlich, daß sie sich gleich unter dem Bild davon distanzierten: „Glauben Sie bitte nicht, daß die Bremer immer so ,steif' feiern“, steht da geschrieben. „Aber einmal im Jahr...“, so geht es tapfer weiter, um sich dann vollends zur Hoffnungslosigkeit des Slogans aufzuschwingen: „Riskieren Sie doch mal einen Blick.“

Ach, in jener besseren Welt, wo die Verschämtheit entgolten wird, da wird es Bremen einmal gut haben als die Stadt, die für drei Millionen Mark immerzu gebeten hat, man möge „doch“ „mal“ einen „Blick“ „riskieren“ und „bitte nicht“ glauben, daß. Aber wer sich im Diesseits so flehentlich an die Leser herandruckst, wie es nicht einmal die Samtgemeinde Zeven nötig hätte („Zeven ist zuper!“), der möge sich „bitte nicht“ wundern. Es kommt schon richtig an, nämlich als wehleidiges Gesumse.

Entweder man hat dem Erdkreis etwas zu bieten oder eben nicht. Aber man soll nicht die unrechtmäßig sitzengebliebene Stadt spielen und so tun, als müßten die Leute sich endlich aufraffen, um auch an Bremen mal was zu finden.

Überhaupt, diese ausgemergelte Idee mit dem Schlüsselloch. Man erkennt darin unschwer die Raffinesse des Knirpses, der mit dem Ruf „Ätschibätschi, du findest mich nie-hie!“ hinter den Vorhang saust, aber gleich mit einem Auge hervorlinst, ob man auch nachkommt. Das muß doch nicht sein. Oder glaubt wirklich jemand, Bremen wird interessanter, wenn man so tut, als liege es hinter einer Tür?

Aber das Allerschönste ist, daß mit Großplakaten der gleichen Machart der Senat der Stadt Bremen jetzt auch noch innerhalb Bremens für sich damit wirbt, daß er außerhalb Bremens für Bremen wirbt. Nein, glauben Sie bitte nicht, daß diese Stadt jemals untergehen könnte. Zumal die Welt jetzt Bescheid weiß und bleibt, wo sie ist. Manfred Dworschak