Planstellen und Pensionsberechtigungen

Soziokultur in der Krise: Im Jahr 21 nach ihrer Proklamation müssen alte Konzepte überdacht werden  ■ Von Stefan Koldehoff

Groß war die Entrüstung, als im Dezember vergangenen Jahres die Stiftung Kulturfonds beschloß, ihre Fachkommission Soziokultur aufzulösen. Mit rund 800.000 Mark hatte die 1990 gegründete Rechtsnachfolgerin des Kulturfonds der DDR seither jährlich „herausragende Projekte der soziokulturellen Infrastruktur“ in den neuen Bundesländern gefördert. Entsprechend heftig reagierte die Bundesvertretung soziokultureller Zentren e.V. mit Sitz in Essen: Die Stiftung trage mit ihrem Beschluß dazu bei, „daß viele Menschen von der aktiven Teilhabe am kulturellen Leben ausgeschlossen würden“. Und weiter: „Ein restauratives Kulturverständnis, das sich wieder in der alleinigen Beförderung des ,Wahren, Guten, Schönen‘ ergeht und soziale und politische Kulturarbeit leugnet, wird den Aufgaben in der Bundesrepublik Deutschland und speziell in den neuen Bundesländern schon längst nicht mehr gerecht.“

Daß mit dieser affirmativen Standortbestimmung zugleich der Kulturwahlkampf für das „Superwahljahr“ 1994 eröffnet war, zeigte sich noch einmal in der vergangenen Woche. Die Ökologie-Stiftung NRW hatte gemeinsam mit der Landesarbeitsgemeinschaft und der Bundesvereinigung soziokultureller Zentren zu einer zweitägigen Tagung über „Perspektiven der Kulturpolitik – Meilensteine oder ein Steinwurf vor dem Ende“ nach Bochum eingeladen. „Widerstand gegen Einsparungen in der Kulturpolitik ist angesagt“, forderte so offensiv wie pauschal die Einladung. Im Hinblick auf die bevorstehenden Wahlen in Kommune, Bund und Land wurde man dann konkreter: „Für die Kulturgruppen ist es daher nötig, aktiv in die Diskussion um die bestehenden Strukturen und um neue Konzepte in der Kulturpolitik einzugreifen. Um nicht immer wieder auf die Vorgaben der Politik und Verwaltungen reagieren zu müssen, sondern selbst Akzente und Konzepte,auch mögliche Antworten zu finden, soll der Diskussionsprozeß frühzeitig begonnen werden.“ Das Ziel heißt also Widerstand gegen drohende Sparmaßnahmen, der Weg dorthin Koordination und Kreativität.

Wie die so beschworene „soziale und politische Kulturarbeit“ im Jahr 21 nach ihrer Proklamation allerdings noch mit Inhalt gefüllt werden kann, darüber gibt es unter den Verantwortlichen bereits seit einiger Zeit heftig geführte Debatten. Die „Abkehr von bloßen Beteiligungsritualen“, die „Hinwendung zu hohen qualitativen Ansprüchen“ und die Hoffnung „darauf, daß ästhetische Erziehung und die Ausbildung ästhetischer Urteilskraft der Humanisierung und Zivilisierung von Gesellschaft besser dienen als eine bloße Menge mittelmäßiger Angebote“, hatte deshalb an dieser Stelle die Bremer Senatorin für Kultur und Ausländerintegration, Helga Trüpel, gefordert (taz vom 24.11. 1993). Ein schlüssiges Konzept konnte die ambitionierte Politikerin allerdings ebenso wenig vorlegen, wie sie bereit war, über die Auswirkungen der zunehmenden Bürokratisierung jenes Kulturbetriebes nachzudenken, der mit seinen Planstellen und Pensionsberechtigungen zwar einer trotz Haushaltskrise wachsenden Zahl von Funktionären, nicht aber neuen Ideen dient.

Kultur für alle von allen

Zu spüren bekommen das große inhaltliche Defizit vor allem jene, die täglich mit ihm zu kämpfen haben. Wer sich seit mehr als zwanzig Jahren erfolgreich dagegen sträubt, in eine der gängigen Kulturschubladen einsortiert zu werden, hat heute, da über die Verteilung der drastisch knapper gewordenen finanziellen Ressourcen doppelt so angestrengt nachgedacht wird wie noch vor wenigen Jahren, Schwierigkeiten, die Notwendigkeit der eigenen Arbeit noch vernünftig zu begründen. Die Soziokultur, Anfang der 70er Jahre als 68-inspirierte basisdemokratische Gegenbewegung zur bürgerlichen Kulturelite entstanden, steckt in einer tiefen Krise.

„Kultur für alle – Kultur von allen“ lautete damals die Parole, mit deren Hilfe es innerhalb kürzester Zeit gelang, die bundesdeutsche Kulturlandschaft relativ gründlich auf den Kopf zu stellen. Man wollte das Wahre, Schöne, Gute nicht allein jener High-Society überlassen, die sich Opernkarten, Museumskataloge und Symphoniekonzerte finanziell leisten konnte. Kultur sollte wieder aus mehr bestehen als aus spektakulären und teuren Großereignissen des bürgerlichen Establishments. Sie sollte auf die Lebenswirklichkeit, auf die kulturellen, sozialen und politischen Bedürfnisse aller BürgerInnen eingehen und deshalb ihren Weg auch in die Arbeiterviertel und Vorstädte finden – und sie fand ihn. Mit dem Erfolg uferte allerdings das thematische Angebot vieler Einrichtungen der soziokulturellen Bewegung aus. Weil Kultur plötzlich nicht mehr allein als Mittel zur Erreichung eines (mehr oder minder elitären) künstlerischen Zwecks, sondern als Instrument der Emanzipation begriffen wurde, standen auch ganz neue Felder für kulturelle Arbeit offen, die zuvor niemand mit diesem Topos in Verbindung gebracht hätte. Sinnvolle und eben auch unsinnige Angebote standen plötzlich gleichberechtigt nebeneinander, und wer Zweifel an der Berechtigung bestimmter Selbsterfahrungskurse anmeldete, mußte sich den Vorwurf gefallen lassen, er vertrete einen konservativen Kulturbegriff.

Für eine Ende vergangenen Jahres vorgelegte Studie haben die beiden Bielefelder Pädagogikstudenten Udo Husmann und Thomas Steinert die Situation von 71 soziokulturellen Zentren in der Bundesrepublik im Jahr 1987 untersucht. Sie legen damit das aktuellste Datenmaterial zum Thema vor – wohl wissend, daß sich vor allem die finanzielle Ausstattung spätestens seit 1989 drastisch verändert hat. Husmann und Steinert erfragten unter anderem das Angebotsprofil der Zentren und stießen auf ein breit gefächertes Spektrum: soziale und psychosoziale Arbeit mit Kindern, Jugendlichen, Erwachsenen und Senioren; Ausländer- und Homosexuellenarbeit; Themenkreise zu Frieden, Volkszählung, Frauen und Innenpolitik; Weiterbildungsangebote zu den Themen Gesundheit, Psychologie, Handwerk, Ökologie und Philosophie. Den eigentlichen Bereich kultureller und kreativer Bildung decken 58 der 71 befragten Zentren mit Musik, Theater, Tanz, Konzerten, Fotografie, Spielen, Basteln, aber auch Sport und Gymnastik ab.

Begriffsverwässerung

Ihre Berechtigung haben all diese Angebote ebenso sicher, wie gesellschaftliche Prozesse und Unzulänglichkeiten den Bedarf für sie ständig neu schaffen. Es bleibt allerdings fraglich, ob tatsächlich alle Aufgabenfelder von den soziokulturellen Zentren bearbeitet werden können und müssen und ob damit nicht im Hinblick auf wesentliche gesellschaftliche Kernfragen die Verantwortlichen aus ihrer Verantwortung entlassen werden, indem sie die Folgen der von ihnen ausgelösten Fehlentwicklungen gar nicht mehr wahrnehmen müssen. Ein gesellschafts- und kulturpolitisches Verursacherprinzip, über das alle Beteiligten gemeinsam nachdenken müßten, könnte hier Abhilfe schaffen.

Das Credo „Alles ist Kultur“ führte zum Verlust eines bis dato klar abgegrenzten und abgrenzenden Kulturbegriffs – und zur Beliebigkeit. Plötzlich war alles Kultur, sollte alles, was möglich war, auch gemacht und vor allem finanziert werden. Auf das Dilemma dieser kontinuierlichen Verwässerung und damit verbundenen Entwertung des Kulturbegriffs wurde jedoch nicht mit einer adäquaten Professionalisierung des Managements in den soziokulturellen Zentren reagiert.

Im Gegenteil,und mittlerweile finden sich in kulturpolitischen Programmen der CDU dezidierte Vorschläge zu einer regelrechten „Entprofessionalisierung“. Bürgerfreundlich als „Stärkung der Ehrenamtlichkeit“ verpackt, steht nicht viel mehr als die Entlastung der öffentlichen Kassen und die Streichung durch den Einsatz un

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bezahlter Laien dahinter. Welche Auswirkungen dieser Ansatz ha- ben kann, hat sich erst vor wenigen Wochen im rheinischen Leichlingen gezeigt. Dort beschloß die Leitung eines von der Schließung bedrohten Jugendheimes, die Jugendlichen künftig selbst zur programmatischen Mitarbeit heranzuziehen. Dieses System habe nicht nur pädagogische Vorteile, kommentierte der verantwortliche Dezernent den Versuch, er spare der Kommune vor allem erhebliche Personalkosten ein, die sonst für ausgebildete Sozialarbeiter hätten ausgegeben werden müssen. So schnell können unter wirtschaftlichem Druck aus Betreuten im Handumdrehen Betreuer werden.

Ungewisse „Zukünfte“

Daß sich die hochgesteckten Ziele der Soziokultur-Avantgarde ohnehin ständig an der Realität einer von vermeintlichen Sachzwängen geprägten kommunalen Macht- und Parteipolitik messen lassen müssen und oft genug frontal mit ihnen kollidieren, belegt die gerade von der Bundesvereinigung soziokultureller Zentren herausgegebene Studie „Soziokulturelle Zentren – Stadterneuerung von unten“. Der Dortmunder Sozialpädagoge Joachim Schulze beschreibt darin die Geschichte des „Bürger- und Kulturzentrums Rohrmeisterei“ Schwerte in einem ehemaligen Pumpwerk, in dem sich 1984 auf rein ehrenamtlicher Basis ein selbstverwaltetes soziokulturelles Zentrum etablieren konnte. Von der SPD 1987 wegen Auseinandersetzungen mit dem Trägerverein geschlossen und an eine private Immobilienfirma weitergegeben, besteht jetzt die Aussicht, die Rohrmeisterei 1996/97 als kulturelles Zentrum wieder zu eröffnen – diesmal allerdings als kommunal getragene Alternative zur Stadthalle.

Detailliert beschreibt Schulze in seiner Analyse der zurückliegenden zehn Jahre den Durchsetzungsprozeß, die sozialen Veränderungen und die politischen Widerstände, mit denen sich das Schwerter und zehn weitere Zentren in Nordrhein-Westfalen auseinandersetzen mußten. Gegner der soziokulturellen Zentren sind dabei seltener die Kämmerer als vielmehr um ihre eigenen Pfründe und Einflußmöglichkeiten fürchtenden Provinzfürsten der Parteien und kommunale Kulturpolitiker, deren Horizont sich in aller Regel auf das jährliche Feuerwehrfest und das Weihnachtskonzert des örtlichen Männergesangvereines beschränkt. Der Schluß, zu dem Schulze in seiner bisweilen wie eine gelungene Realsatire zu lesenden Arbeit kommt, klingt dennoch reichlich zweckoptimistisch: Schulze bescheinigt den Einrichtungen eine „(mögliche) Zukunft als Agenturen einer nicht parteigestützten Partizipation an Stadtentwicklung/Stadterneuerung und kommunaler Politik“ und „Zentren für soziale und kulturelle Innovation mit ökologischer Ausrichtung“.

Noch inkonkreter bleiben die von Husmann und Steinert entwickelten Perspektiven: „Die soziokulturellen Zentren füllen die gesellschaftlich entstandenen Gesellschaftslücken, indem sie ein Diskursfeld über Sinn und Sinnressourcen und über Verteilungskonflikte von gesellschaftlichen Chancen anbieten, das nur zum Teil von den Interessenparteien selbst vordefiniert wird. Im Prinzip ist dies eine sehr mächtige Position, gerade dann, wenn potentielle Zukünfte von Gesellschaft erdacht und erprobt werden.“

Wie immer der Beitrag der soziokulturellen Zentren zur Suche nach – grammatisch ohnehin fragwürdigen – „Zukünften“ aussehen kann: Das Dilemma der Suche nach neuer alter kultureller Identität können die vorliegenden Zustandsbeschreibungen und die aus ihnen resultierenden selbstgewählten neuen Aufgabenbereiche nach wie vor nicht lösen. Angesichts der anhaltenden Finanzmisere werden auch in Zukunft jene Stimmen lauter werden, die nach einer qualitativen Neuorientierung und nach quantitativer Selbstbeschränkung rufen. Herauszufinden, wie das ohne eine neue kulturelle Elitenbildung funktionieren kann, wird deshalb die vorrangige Denkaufgabe für die soziokulturelle Bewegung bleiben.

Udo Husmann/Thomas Steinert: „Soziokulturelle Zentren – Rahmenbedingungen und Grundfunktionen, Berufsfeld und Qualifikationsvoraussetzungen“. Klartext Verlag, Essen 1993. 280 S., 32 DM.

Joachim Schulze: „Soziokulturelle Zentren – Stadterneuerung von unten“. Bundesvereinigung soziokultureller Zentren e.V., Wilhelm- Nieswandt-Allee 104, 45326 Essen. 380 S., 39,80 DM.