■ Es geht um allgemeine Staatsbürgerrechte – nicht um die Wahl: Schwarze oder Weiße, Bosniaken oder Serben
: Apartheid in Südafrika – Apartheid in Bosnien

I.

Bevor die Mladić-Truppen sich aus Goražde zurückzogen, zerstörten sie die Wasserversorgung. Als der Bürgermeister der Stadt die Eroberung vor Augen gehabt hatte – forderte er die tödliche Bombardierung. Er wußte, wer den Angriff überlebt, wird die Herrschaft der Karadžić-Serben nicht überleben. Sie sprechen die gleiche Sprache, sie haben die gleiche Geschichte, sie sind einander zum Verwechseln ähnlich. Aber die bosnischen Serben haben keinen Plan, mit den anderen zusammen zu leben. Nur einen, die anderen zu vertreiben oder zu vernichten. Nein, sagte der Präsident Südafrikas, er sei kein Vertreter der Weißen, er sei ein demokratischer Politiker für alle, sein Dialogpartner Nelson Mandela sagte es ähnlich. Nach 30 Jahren Wahlrecht, das nach Rasse verliehen oder verwehrt worden war, der Durchbruch zum übervölkischen und überrassischen Staatsbürgerrecht. Im Sommer 1961 hatte ich Südafrika besucht. Keiner, den ich damals hatte sprechen oder – heimlich in dem Township Harare – hatte treffen können, wollte mich „für die Schwarzen“ einnehmen. Sondern er wollte mich überzeugen, wie gefährlich das Apartheidsystem für den Frieden in Südafrika sein würde. Seit damals habe ich nicht „für die Schwarzen“ und „gegen die Weißen“ gesprochen und geschrieben, sondern gegen Apartheid und für die rechtstaatliche Demokratie. Der Kampf um Gerechtigkeit war der Kampf der europäisch-amerikanischen Verfassungstradition, zu der sich Nelson Mandela bekannte.

Nein, mit der schwierigen Parlamentswahl in Südafrika haben nicht die Schwarzen gesiegt und die Weißen verloren, sondern das Prinzip von der humanen und rechtlichen Gleichheit aller Menschen soll – trotz des Bombenterrors – siegen über Apartheid. Sie war der Versuch, die Ungleichheit der Herkunft zur Rechtsgrundlage des Staates zu machen. Begleitet von Bombenanschlägen, wird in Südafrika gewählt nach westlichen Rechtsgrundsätzen.

II.

Beim angeblichen Religionskrieg in Bosnien haben viele Beobachter die absurdesten Theorien über die Unfähigkeit der Menschen, miteinander zu leben, zu einer Art Volkshochschulsport gemacht. Soviel Apartheid-Geraune war nie bis in die Kommentarseiten unserer bürgerlichen Blätter gedrungen. Aber auch in Bosnien ging es nicht darum, auf der „Seite der Muslime“ oder auf der „Seite der Serben“ zu stehen. Es ging um ja oder nein zur Apartheid. Um nein oder ja zum westlichen Prinzip der allgemeinen Staatsbürgerrechte.

Die Wahl in Südafrika und das formale Ende der Apartheid – ein guter Moment, sich zu besinnen auf Prinzipien, für die Europa nach dem Genozid durch die Nazis steht. Im Blick auf Bosnien haben viele den Ausmerzungsterror der Nazis vergessen. Der südafrikanische Präsident de Klerk hat eine klarere Vorstellung von der Zivilgesellschaft als der „linke“ Hans Modrow und alle, die wie er um „Fairness gegenüber den Serben“ bitten. Denn sie glauben bis heute, den Serben geschehe bitter Unrecht. So wie deutsche Konservative jahrelang glaubten, den Buren werde Unrecht getan.

III.

Als die Apartheid in den 50er Jahren ihren ideologischen Unterbau erhielt, gab es viele „Experten“, die das für den richtigen Weg hielten: eine nach rassischer Zugehörigkeit gegliederte staatliche Ordnung müsse der Ausweg sein aus dem Wirrwarr der vielen Sprachen und Stämme Südafrikas. Apartheid hatte in Deutschland eine positive Presse. Die stöckeschwingenden Zulus und die Terroranschläge der letzten Wochen scheinen die alte These zu bestätigen: Jetzt bombt auseinander, was getrennt gehört. Ernsthafte Theoretiker der Apartheid haben sich seinerzeit viel Kopf zerbrochen, wie man denn die ethnische Segregation und die moderne wirtschaftliche Integration organisieren könne. Das grausame Geflecht der Paß- und Rassengesetze, die das Elend Südafrikas in den vergangenen dreißig Jahren bestimmt hatten, war das Resultat. Aber es gab zumindest ein Konzept für das getrennte Zusammenleben.

IV.

Die Vernichtungspolitik der bosnischen Serben hat nicht einmal das. Im Namen Europas hatte der Vermittler David Owen für Bosnien- Herzegowina einen Trennungsplan vorgelegt, für den ihn in Südafrika die Apartheidkritiker in der Luft zerrissen und die Apartheidideologen gefeiert hätten. Dieser Plan beruhte auf keinerlei ökonomischen, sozialen und kulturellen, schon gar keinen geographischen Überlegungen. Die auf Landkarten mit spitzem Stift gestrichelte Trennung von angeblichen Religionszugehörigkeiten sollte den Frieden bringen. Das seinerzeit wohlüberlegte Konzept der Apartheid hatte Südafrika vor 30 Jahren den Bürgerkrieg und die weltweite Ächtung eingebracht. Es war nicht leicht, Anfang der 60er Jahre in der deutschen Öffentlichkeit die Absurditäten der Apartheiddoktrin deutlich zu machen. 1965 hatte ich ein Taschenbuch „Kap ohne Hoffnung“ veröffentlicht; damals schienen, bis in die Reihen des Parlaments, viele einverstanden mit der These von der rassischen Trennung. Natürlich ließen sich spannende Diskussionen führen über den Unterschied zwischen einem schwarzen Bürger Südafrikas, dessen Eltern aus dem Dorf kommen, und einem Weißen, dessen Eltern aus Deutschland oder England eingewandert waren. Trotz aller erkennbaren (und nennbaren) Unterschiede war Apartheid ein gefährliches und verlogenes Konzept zur dauerhaften Sicherung der weißen wirtschaftlichen und politischen Vormacht. Wenn aber je rechtsradikale Burenköpfe auch nur verbal gefordert hätten, was die serbische selbstmitleidige Soldateska seit zwei Jahren in jedem Dorf, in jeder Stadt, in jedem Flüchtlingslager betreibt: den tagtäglichen tödlichen Trennungsterror – der Aufschrei wäre weltweit gewesen.

Soviel Apartheid, wie Mladić und Karadžić herbeischießen und herbeiquälen, hat es in den 30 Jahren der südafrikanischen Variante nicht gegeben. Die bosnischen Serben haben seit zwei Jahren mit jedem Wort und jedem Schuß erkennen lassen, daß Menschen anderer Religion in ihrem Herrschaftsbereich keine Überlebenschance haben. Nicht einmal als Arbeitssklaven. Mir ist unbegreiflich, daß es immer wieder westliche Politiker – bis in die Reihen der Sozialdemokraten – gibt, die um Fairness für die Serben bitten. Wo im Namen Serbiens und der orthodoxen Kirche in den eroberten Dörfern um Banja Luka die Menschen vertrieben, mißhandelt und umgebracht wurden. Wo Masssaker in den seit zwei Jahren besetzten Gebieten bis in die letzten Monate stattfanden. Das Terrorziel ist eindeutig: das völlige Verschwinden der Menschen muslimischer Herkunft. Mehr als eintausend Moscheen sind zerstört und gesprengt worden. Friedhöfe werden vernichtet, die Erinnerung getilgt.

Im Blick auf Bosnien können die Buren – auch die extremen – sagen: wir hatten zumindest ein Trennungskonzept, kein Vernichtungsziel.

V.

Dem wird entgegengehalten: Alle Seiten haben Greuel begangen. Richtig. Auch im Namen des ANC sind schreckliche Verbrechen verübt worden, sie waren aber nie ein Argument für die Apartheid. Nirgends in den serbisch besetzten Gebieten Bosniens ist zu erkennen, daß der religiöse Nationalismus der Serben andere Religionen künftig bei sich würde leben lassen.

Der „muslimische“ Bürgermeister von Tuzla hat Ende März das Dach der serbisch-orthodoxen Kirche seiner Stadt reparieren lassen. Zwei Tage nachdem die Kirche den Volltreffer einer serbischen Granate erhalten hatte. Mitten im Krieg kämpft der Bürgermeister für das Zusammenleben, für die serbisch-orthodoxe Gemeinde, wie er für die katholisch- kroatische eintritt. Er und seine Freunde haben ein Anti-Apartheid-Konzept. Nach Tuzla war vor einigen Wochen wieder einer der vor zwei Jahren in den Tschetnik- Untergrund gegangenen Popen zurückgekehrt. Er war verblüfft, Kirche und Gemeindehaus unberührt und geschützt vorzufinden. Er holte die fast zwei Jahre unterlassenen Taufen und Trauungen nach. Am Tag, als die Kirche repariert worden war, meldete der serbische Rundfunk, daß der orthodoxe Oberpriester in Belgrad die Tuzlaer Taufen und Trauungen für ungültig erklärt habe: beim „muslimischen Feind“ darf kein orthodoxer Pope Gemeindearbeit leisten. Bis heute kämpfen „Orthodoxe“, also Serben auf der Seite der „Muslime“. Und auch während des kroatisch-bosnischen Krieges im vergangenen Jahr waren viele Katholiken auf der bosnischen Seite geblieben. Es geht nicht um Parteinahme. Es geht um die Grundfrage der demokratischen Tradition Europas: Apartheid oder Demokratie, es geht um Terror oder Zivilität. Freimut Duve