Südafrikas Schwarze zelebrieren ihre Wahl

■ Den jüngsten Bombenanschlägen und Drohungen weißer Rechtsextremisten zum Trotz bildeten sich am zweiten Tag des Urnengangs in Südafrika landesweit lange Schlangen vor den Wahlbüros. In Ndwedwe...

Den jüngsten Bombenanschlägen und Drohungen weißer Rechtsextremisten zum Trotz bildeten sich am zweiten Tag des Urnengangs in Südafrika landesweit lange Schlangen vor den Wahlbüros. In Ndwedwe, im Schwarzenreservat KwaZulu, herrschte gestern auf beiden Seiten der Demarkationslinie, die die Einflußzonen von ANC und Inkatha trennt, die Hoffnung vor, daß die Wahlen jetzt Frieden bringen.

Südafrikas Schwarze zelebrieren ihre Wahl

Das Ende der langen Warteschlange verliert sich irgendwo zwischen dem hochstehenden Zuckerrohr. An der Spitze wird geschoben und gerempelt, was das Zeug hält. Der schmächtige Patrick Hlongwe hat sich mit der Schere auf den Betonfuß des Wassertanks neben dem Amtsgericht von Ndwedwe gerettet. Sein Job: Er muß die Paßfotos ausschneiden, die sein Kollege mit der Polaroidkamera schießt. Den etwa tausend Menschen, die hier in der Mittagssonne von Natal warten, geht langsam die Geduld aus. Patrick Hlongwe vom Unabhängigen Wahlrat hat erst einen Film verschossen.

„Wir werden nicht fertig werden“, sagt der junge Mann, „auch morgen nicht. Vielleicht schaffen wir es am Freitag oder erst am Samstag.“ Eigentlich sollen die Wahllokale von Südafrikas erster demokratischer Wahl erst Donnerstag abend schließen. Aber der Ansturm der Wähler ist groß, die Probleme sind ebenfalls riesig. „Der Hubschrauber, der Wahlmaterial bringen sollte, hat sich heute morgen verirrt“, erzählt eine Wahlbeobachterin der Europäischen Union in Ndwedwe. Und ein Lastwagen, der mit Ausrüstung unterwegs war, kam ebenfalls erst mit stundenlanger Verspätung an.

„Ich hoffe, daß jetzt die Gewalt endlich aufhört“

Nur ein Apparat steht jetzt zur Verfügung, mit dem die Hände auf unsichtbare Tinte hin überprüft werden können – ein Zeichen, daß bereits gewählt wurde. „Manche Leute hier wollen sogar, daß wir ihnen beim Ankreuzen helfen“, stöhnt ein Mitarbeiter des Wahlrats in Ndwedwe. Eine Folge des späten Sinneswandels der konservativen Schwarzenbewegung Inkatha. Ndwedwe liegt im Schwarzenreservat KwaZulu, in dem ihr Führer Mangosuthu Buthelezi als Chief Minister amtiert.

Bis er sich in der vergangenen Woche doch noch entschloß, am Urnengang teilzunehmen, riskierte in Ndwedwe jeder sein Leben, der auf die Wahlen hinwies. Erst vor zwei Wochen wurden sieben Angestellte einer Firma brutal ermordet, die Wahlflugblätter verteilten. Die Folgen müssen nun am Wahltag ausgebadet werden. Über 200 Wahllokale mit Problemen orteten Beobachter und der Unabhängige Wahlrat am Mittwoch. Gemessen an landesweit insgesamt über 9.000 Wahllokalen keine übermäßig große Zahl. Aber der Wahlrat beschloß dennoch, auch in der Dunkelheit weiterzumachen. Von Staatspräsident Frederik W. de Klerk bis zur Anti-Apartheid- Allianz African National Congress (ANC) werden Rufe laut, die dreitägige Wahl zu verlängern.

Viele Bewohner von KwaZulu besitzen nicht einmal Ausweispapiere. Landesweit waren am Wahltag rund 1,4 Millionen Südafrikaner immer noch ohne Wahlausweis, 500.000 alleine im Homeland KwaZulu. „Natürlich bin ich schon 19 Jahre alt“, beschimpft ein Mädchen ihre Freundin, die ihr das Wahlalter abspricht. Die beiden besitzen das obligate Paßfoto, jetzt kämpfen sie um einen Wahlausweis.

Auch in Lindalani, auf einem Hügel nahe der Hafenstadt Durban, in dem der Warlord Thomas Shabalala das Sagen hat, drängen sich die Wähler, denen er vor Wochen noch die Wahlausweise wegnahm. Der 64jährige Johnson Myeni freilich gehört zu den Glücklichen, die einen gültigen Ausweis besitzen. „Ich hoffe, daß jetzt die Gewalt endlich aufhört.“ Shabalala kandidiert jetzt auf der Inkatha-Liste für Südafrikas Nationalversammlung. Seine Anhänger, die bis Mitte April Woche für Woche die Häuser in der Umgebung der Pfarrei von Duncan MacKenzie angegriffen haben, lassen die Pfarrei seit acht Tagen in Ruhe. „Es ist wirklich ein Wunder“, sagt ein Polizist, der mit einigen Kollegen im Panzerwagen zum Schutz der Pfarrei am Eingangstor Stellung bezogen hat. „Seit Inkatha mitmacht, ist von Gewalt keine Rede mehr.“

In der Pfarrei von Duncan MacKenzie schlafen trotzdem immer noch 200 Menschen, die sich nicht in ihre Hütten und Häuser zurücktrauen. „Vielleicht in zwei bis drei Monaten gehen wir zurück. Wenn wir eine neue Regierung haben und die Leute miteinander gesprochen haben“, sagt der 43jährige Lehrer David Mutuni. „Dann geht das vielleicht.“ Der Lehrer zeigt von einem Hügel auf das leerstehende Haus in der von Inkatha kontrollierten Zone. Und dann sagt er fast wörtlich, was auch Johnson Myeni auf der anderen Seite hofft: „Die Wahlen bringen vielleicht Frieden.“

David Mutuni hat bereits gewählt, um vier Uhr morgens war er schon am Wahllokal. Drei Stunden nach Öffnung der Wahllokale um sieben Uhr war die Schlange bereits drei Kilometer lang. Ein Beobachter der Vereinten Nationen, der am Morgen in der Ohlanga Schule des benachbarten Inanda dabei war, als der 75jährige Nelson Mandela zum ersten Mal in seinem Leben wählte, sagt: „Jetzt will da jeder wählen, während 500 Meter weiter die Urnen leerbleiben.“

„Ich habe lange nachgedacht, für wen ich stimmen soll“, scherzte Mandela am Morgen, als er seine Stimme abgab. Aber wahrscheinlich fühlte auch er wie David Mutuni: „I feel so big now – Ich fühle mich jetzt so groß.“

Auch die 54jährige Vrola Mtetwe kann nicht fassen, daß sie endlich wählen darf. „Es ist wie ein Traum“, sagt die Großmutter, rückt ihr Enkelkind, den viermonatigen Vusomi, auf dem Schoß zurecht, klopft ihm zärtlich auf den Bauch und sagt versonnen: „Wir sind ja schon alt. Aber wir wählen, damit sich das Leben für Leute wie den hier verbessert.“

Damit sich das Leben für die Jüngeren verbessert

Der 25jährige Arnold Thulana, der erst im letzten Jahr aus dem Exil in Tansania und Uganda zurückkehrte, glaubt ebenfalls, daß die Wahlen Südafrikas Probleme lösen werden. „Die Gewalt ist von Menschen gemacht. Wenn es Arbeit gibt und die Leute in Häusern wohnen, dann gibt es keinen Grund mehr, noch zu kämpfen.“ Am Wahltag arbeitet er als Übersetzer. Denn viele Wähler in Natal sprechen nur Zulu und kein Englisch. Als die Fahrt von Ndwedwe wieder zurück nach Durban geht, liegt plötzlich der Indische Ozean vor ihm – samt dem kilometerlangen Strand und den Villen, die das Meer bis zur Metropole säumen. „Was meinst Du“, fragt er, „wenn wir jetzt noch zehn Jahre arbeiten, können wir Schwarze denn nicht vielleicht auch da unten am Meer wohnen...“

Willi Germund, Durban