Nachschlag

■ Brasilianische Autoren lasen im Haus der Kulturen der Welt

Kleinlich war Kurt Scharf nicht. Den Beginn der brasilianischen Lesereihe im Haus der Kulturen der Welt kündigte er frohgemut als „Auftakt der diesjährigen Frankfurter Buchmesse“ an, deren Schwerpunkt zwar Brasilien ist, doch erst im Oktober. Die Nonchalance des Moderators im Umgang mit Raum und Zeit aber schien den zwei Autoren durchaus zu gefallen. So waren der eher gemächliche Luis Antonio de Assis Brasil und der agile Denonisia da Silva bester Laune, lesen und plaudern zu dürfen – in jenem weichen brasilianischen Portugiesisch, das das Land mit seinen 150 Millionen Einwohnern zu einem literarischen Subkontinent im spanischsprachigen Lateinamerika macht.

Mit Widmungen an nicht weniger als fünf Frauen leitete der 1948 geborene Literaturprofessor Denonisia da Silva seine Lesung ein. An den Lehrmeister Rubem Fonseca erinnerten der Witz und die grelle Effekte nicht scheuende Lakonie seines Romans, der vor dem Hintergrund des Krieges zwischen Paraguay und Brasilien im letzten Jahrhundert spielt. Seine Geschichten würden immer als erotische abgetan, sagte Silva und erwies sich in genüßlich weit ausholenden Sätzen sogleich als obsessiver Erotiker des Wortes, da habe er einen Liebesroman zwischen Feinden schreiben wollen.

Der drei Jahre ältere Luis Antonio de Assis Brasil, auch er aus finanziellen Gründen Literaturprofessor, erzählt in seinem historischen Roman „Das Schloß in der Pampa“ aus der Kinderperspektive vom Tod. Die Historie dränge sich auf, meinte Assis Brasil. Brasilien sei surreal, die Menschen nebenan lebten ohne Strom und Wasser im 18. Jahrhundert und diejenigen am Amazonas gar in der Steinzeit. Geschichte und Gegenwart seien in Brasilien nicht zu trennen.

Ähnlich scheint ein Großteil der 17 hierzulande fast ausschließlich unbekannten Autoren zu empfinden, die von der brasilianischen Buchkammer und dem Haus der Kulturen der Welt gemeinsam auserwählt wurden. Erstaunlich oft erzählen sie in der zur Lesereihe erschienenen Anthologie „Nachdenken über eine Reise ohne Ende“ (Babel Verlag, 24,80 DM) vom Verlust der Naivität: die erste Verführung, die erste Todesgefahr, die plötzliche Erkenntnis der Welt, des Todes, des Alters. Stationen einer Identitätssuche in einem Land, das erst 1820 die Unabhängigkeit errungen hat und mit der apertura 1979 den Terror der Diktatur abschüttelte. Ein Kontinent ist zu entdecken, in drei Etappen: heute und morgen im Haus der Kulturen der Welt, danach jeweils für eine Woche im Mai (mit Kinderbuchautoren) und im Juni. Dann mag Frankfurt kommen. Jörg Plath

Das ausführliche Programm zur Lesereihe ist erhältlich im Haus der Kulturen der Welt, Telefon: 397 87-0.