Respect für die Ur-School!

■ Alles redet über HipHop, einer behauptet, ihn erfunden zu haben: DJ Kool Herc, der Mann mit dem ersten, besten und lautesten Soundsystem der Vereinigten Staaten Nordamerikas

taz: Sagen Sie, Kool Herc, sind Sie wirklich der Erfinder des HipHop?

Kool Herc: Alles das, was man heute als HipHop kennt, begann mit meiner Arbeit als Discjockey in New York. Es fing in der Bronx an. Da gab es eine Disco namens „The Puzzle“ auf der 167. Straße, Ecke Jerome Avenue, die schließen mußte, weil sie von den Spades, einer schwarzen Gang, ziemlich terrorisiert worden war. Der Laden stand eine Zeit lang leer, ich habe ihn dann wieder in Gang gebracht.

Wann war das?

Das war 1970. Ich habe all mein Geld darin investiert, mir ein eigenes Soundsystem [eine Art mobile PA; d.Red] zusammenzustellen. Ich bin in Jamaika geboren und habe dort gelebt, bis ich zwölf war. In Jamaika gibt es Hunderte von Soundsystems, in den USA war diese Idee jedoch überhaupt nicht bekannt. Ich war der erste Discjockey in Amerika, der ein Soundsystem hatte. Das hat mich natürlich viel unabhängiger von Clubs gemacht, ich konnte Parties im Alleingang veranstalten. Ich habe die Flyer entworfen und verteilt, den Raum gemietet, meine Anlage selbst aufgebaut usw. Damals war es so, daß Clubs und andere Veranstaltungsräume keine Klimaanlage hatten. Im Sommer war es höllisch heiß da drin, ich habe deshalb die ganze Sache draußen gemacht, in Parks und auf öffentlichen Plätzen.

Wie häufig sind Sie damals aufgetreten?

Oh, sehr häufig, mehrmals in der Woche. Ich habe dauernd gespielt und hatte mit Abstand das beste und lauteste Soundsystem.

Das hat nun aber alles noch nichts mit HipHop zu tun. Wie kam es dazu, daß Sie irgendwann den entscheidenden Schritt vollzogen haben, die Stücke nicht mehr einfach eines nach dem anderen abzuspielen, sondern bestimmte Parts ineinanderzumixen?

Als Discjockey gucke ich nicht nur auf die Plattenteller und spiele meine Musik. Ich muß natürlich das Publikum beobachten und zu motivieren versuchen. Nun war es so, daß einige Stücke, die ich häufig spielte, wie zum Beispiel „It's Just Begun“ vom Jimmy Castor Bunch oder „Apache“ von den Incredible Bongo Rockers, Breaks hatten, in denen der Rhythmus besonders packend war. Mir fiel auf, daß die Leute genau auf diese Breaks warteten, um zu tanzen. Eines Nachts bin ich dann also zur Sache gegangen und habe einfach die Breaks hintereinander gespielt und auf den Rest der Stücke, auf die Gesangsparts, verzichtet. Die Leute waren davon so begeistert, daß ich mir die entsprechenden Platten doppelt und dreifach gekauft habe, um dieses Segment verlängern zu können.

Neben Breakbeats sind Rapper die zweite musikalische Bedingung von HipHop. Wurde auf Ihren Parties damals schon gerappt?

Na klar. Mein Freund Cold La Rock hat damals den MC für mich gemacht, und ich habe auch häufig selber Sachen übers Mikro gesagt. Wir haben über Neuigkeiten in der Nachbarschaft gerappt, Witze gemacht, Leute begrüßt, die wir kannten, und andere Discjockeys runtergemacht. Grandmaster Flash and the Furious Five kamen damals immer auf meine Parties, und auch andere Leute, die später als Rapper berühmt wurden, kamen zu mir und haben gesehen, wie da etwas Neues entstand. Die sind dann in ihre eigenen Labors zurückgegangen und haben die Sache selbst probiert. So hat sich langsam die Technik verfeinert und Rap sich zu einer eigenen Musikform entwickelt. Dummerweise wurde ich 1978 auf einer meiner Parties niedergestochen und schwer verletzt. Ich konnte lange nicht auftreten. Das hat anderen DJs wie Grandmaster Flash die Möglichkeit gegeben, meinen Platz einzunehmen – genau in dem Moment, als Rap kommerziell erfolgreich wurde.

Ist es sehr frustrierend für Sie gewesen, den Aufstieg der Rap Music zu verfolgen und zu sehen, wie viele Leute damit reich und berühmt wurden, während Sie lange vergessen waren?

Das war schon hart. Ich habe mich total zurückgezogen und viele Drogen genommen, was mich noch weiter aus der Bahn geworfen hat. Einige Jahre war ich ziemlich am Boden. Ich habe auf einer Werft gearbeitet, außerdem bei der Lastwagenfahrer-Gewerkschaft.

Ihre Abwesenheit hat dazu geführt, daß Sie zu einer legendären Figur wurden: Seit einigen Jahren kennt man wieder Ihren Namen und weiß auch so ungefähr, was Sie geleistet haben, aber niemand wußte, wo Sie waren und wie Sie aussahen. Erst letzten Herbst sind Sie wieder an die Öffentlichkeit getreten, als Sie auf dem Cover von „The Source“ erschienen. Wie kam es dazu?

Nun, seit einiger Zeit wächst wieder das Interesse an der Old School des HipHop – sogar hier in Deutschland können wir mit unserem alten Stil die Hallen füllen. Einige Leute haben also nachgeforscht, wer die Sache damals gestartet hat. Die haben die Spur zurückverfolgt und sind natürlich bei mir angekommen, haben mich auch persönlich gefunden, da ich die ganze Zeit in New York gelebt habe. Sie konnten feststellen, daß all die Gerüchte, daß ich tot oder durchgedreht sei, nicht stimmten. Ich bin inzwischen seit fünf Jahren drogenfrei und bereit, wieder in die Musikszene einzusteigen. Ich plane, in New York einen Club zu eröffnen, in dem ich es genauso machen werde wie damals, und diesen Sommer werde ich mit meinem Soundsystem auch wieder in die Parks zurückkehren, in denen ich damals gespielt habe.

Sind Sie heute darüber verbittert, so lange keinen Anteil an der Entwicklung der Musik gehabt zu haben, die erst durch Sie entstanden ist?

Oh nein, good things come to those who wait. Jetzt werden die Schulden bezahlt. Seitdem ich zusammen mit Grandmaster Flash und Afrika Bambaata auf dem „Source“-Cover war – ursprünglich sollte ich der einzige auf dem Cover sein, aber das haben sie sich dann doch nicht getraut –, verbinden die Leute wieder ein Gesicht mit meinem Namen und würdigen meine Arbeit. Ich werde wahrscheinlich meine erste Platte veröffentlichen, Atlantic hat mir einen Vertrag angeboten. Dann hat mich der Bürgermeister in die People's Hall Of Fame von New York aufgenommen, um mich als Erfinder der Rap Music anzuerkennen. Außerdem kommen dauernd HipHop-Musiker zu mir und bezeigen mir ihren Respekt. Kürzlich traf ich zum Beispiel Ice-T, der mir sagte: „Wenn's dich nicht gäbe, Herc, hätte ich jetzt keinen Job.“ Interview: Johannes Waechter