Alte Gefahr gebannt, neue noch nicht erkannt

■ In der Chemie nimmt die Zahl der Arbeitsunfälle ab / Neue Produktrisiken

Berlin (taz) – Bei den drei großen deutschen Chemiekonzernen hat die Zahl der Arbeitsunfälle in den vergangenen Jahren deutlich abgenommen. Erlitten beim Chemiegiganten Bayer von je 1.000 Beschäftigten 1985 noch 20,4 einen Arbeitsunfall, der sie mindestens drei Tage fehlen ließ, waren es 1993 nur noch 6,6. Der Leverkusener Konzern führt damit deutlich vor den Konkurrenten BASF (7,3 meldepflichtige Arbeitsunfälle) und Hoechst (8,9 Unfälle).

Doch auch wenn die Zahlen sinken, ist das kein Grund, sich auf den Loorbeeren auszuruhen. „Beim amerikanischen Konzern Du Pont liegen die Zahlen deutlich niedriger als zum Beispiel bei Hoechst“, berichtet Chemiekritiker Michael Braungart vom Hamburger Umweltinstitut. Während bei Hoechst im Produktionsbereich 15 von 1.000 Beschäftigten jedes Jahr einen Arbeitsunfall erlitten, seien es bei Du Pont zwei. „Die sind bei Du Pont so gut, die vermarkten ihr Sicherheitswissen heute sogar.“ Die deutsche Industrie hingegen kämpfe mit dem Problem, daß ihre Anlagen relativ alt und oft nicht für den Zweck gebaut seien, für den sie heute verwendet würden. Nicht nur die Arbeitssicherheit, auch ökologischer Strukturwandel scheitere an festgefahrenen Strukturen, beobachtet Braungart. So habe der BASF- Konzern sogenannte Polysulfone als PVC-Alternative entwickelt. „Die enthalten keine giftigen Flammschutzmittel, können bis zu 30 mal wiederverwertet werden und wären auch im Recycling erheblich billiger als PVC.“

Die meisten Todesfälle hat es in den vergangenen Jahrzehnten bei der Anwendung von Pestiziden deutscher Firmen in Ländern des Südens gegeben. Inzwischen versuchen die drei Großen durch Schulungen, Weiterbildung und Radiowerbung die Zahl der Unfälle mit ihren Giften zu senken. So hat etwa der Bayer-Konzern Logos für Warnhinweise auf Verpackungen in 40 Ländern testen lassen, um die größte Wirksamkeit des Warnzeichens zu erreichen. Außerdem habe der Konzern Videoprogramme eingesetzt und Mitarbeiter der Tochterfirmen über Land geschickt.

Ähnliches berichtet Gerhard Waitz von der Agrochem, einer Tochter von Hoechst und Schering. „Die Anwender brauchen in diesen Ländern keinen Sachkundenachweis wie in der Bundesrepublik.“ Deshalb habe man in Kolumbien sogar eine Puppentheatertruppe mit der warnenden Botschaft in die Dörfer gesandt. Auch wenn immer wieder deutsche Firmen an Unfällen beteiligt sind, „die meisten Unfälle passieren mit den Chemikalien aus den Dritte- Welt-Ländern“, räumt auch Braungart ein. ten