Töpfers Durchmarsch

■ Bundestagsausschuß berät Atomgesetz

Berlin (taz) – Der Umweltausschuß des Bundestages muß sich heute in Realismus üben. Er hat über Änderungen des Atomgesetzes zu beraten, die vor allem legalisieren, was seit Jahren Praxis ist. In zwei Punkten stand die Atomwirtschaft stets mit der geltenden Rechtsprechung im Konflikt. Sie konnte weder nachweisen, daß radioaktive Abfälle „schadlos“ (Paragraph 9a Atomgesetz) für die Bevölkerung beseitigt werden, noch beweisen, daß der Betrieb von Atomkraftwerken Unfälle ausschließt, die zu schwersten Beeinträchtigungen des „Wohls der Allgemeinheit“ (Pragraph 9b) führen. Eine Gesetzesnovelle soll nun die deutschen Atomkraftwerke auf eine breitere Rechtsbasis stellen und ihren Betrieb langfristig absichern. Eine Expertenanhörung fand Anfang dieser Woche unter Ausschluß der Öffentlichkeit statt. Kein Wunder: Sicherheitsstandards, die werbewirksam hochgehalten wurden, werden schlicht aufgegeben. Atomkraftwerke, so schlägt Töpfer vor, sollen schon dann genehmigt werden, wenn beim (bisher ausgeschlossenen) Unfall der Kernschmelze, „einschneidende Maßnahmen zum Schutz vor der schädlichen Wirkung inonisierender Strahlen außerhalb der Anlage nicht erforderlich werden.“

Der Alarm entfällt, die Katastrophe darf sich ereignen. Auch das Problem der radioaktiven Abfälle soll auf dem Papier gelöst werden. Vordergründig könnte die Novelle als Sicherheitsfortschritt verstanden werden, denn sie läßt neben der bisher vorgeschriebenen Wiederverarbeitung abgebrannter Brennelemente auch die sogenannte „direkte Endlagerung“ zu. Tatsächlich aber verschafft sie der Atomindustrie die Zeit, das Problem zu verschieben. Vierzig Jahre dauert es, bis die Radioaktivität verbrauchter Brennelemente soweit abgeklungen ist, daß der Abfall in einem Endlager eingeschlossen werden darf. Ebenso lange wird nun die bloße Suche nach einem dafür geeigneten Ort ausreichen, den formell immer noch verlangten „Entsorgungsnachweis“ zu führen. So lange darf der strahlende Abfall auf Kraftwerksgelände und in den dafür betreits gebauten oder geplanten Lagerhallen von Gorleben und Ahaus völlig legal herumliegen. Dieser Schonfrist entsprechend, formuliert die Novelle zudem ausdrücklich einen Bestandsschutz für alte AKW. Nicht vorgesehen ist dagegen, wie unter anderem von Sozialdemokraten gefordert, Genehmigungen für Atomanlagen grundsätzlich zu befristen. Niklaus Hablützel