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Niederlande: Unis suchen Studierende

Universiteit van Amsterdam wirbt um deutsche Studierende – aus Finanzgründen / Sprachkurs, Studentenbude und ein Mentor in Bio, Chemie und Statistik  ■ Von Harald Ronge

Während sich an deutschen Universitäten die Studenten drängeln, gehen sie den niederländischen Hochschulen aus! Für das kommende Studienjahr haben sich 17 Prozent weniger Studenten angemeldet als im Vorjahr. Damit setzt sich der Trend der letzten Jahre verstärkt fort. Jetzt herrscht Krisenstimmung an den Unis. Wieviel Zuschüsse eine Universität erhält, hängt in den Niederlanden unter anderem von der Anzahl der Studenten ab. Die Mitarbeiter fürchten um ihre Arbeitsplätze. Fakultäten, die nicht genügend Studenten anziehen, sind von Schließung bedroht und müssen sparen, indem sie Spezialrichtungen streichen. An der Uni Amsterdam war dieses Jahr Wirtschaftsgeschichte das erste Opfer.

Bei geringem Angebot und großer Nachfrage sagt die ökonomische Verhaltenslehre Konkurrenz voraus. Tatsächlich: In Werbespots und mit Anzeigenkampagnen buhlen die Universitäten um das knappe Gut Studenten.

Vor diesem Hintergrund hat die Universität von Amsterdam, wie schon im letzten Jahr, eine Werbekampagne unter deutschen Schulabgängern gestartet. Deutschen Studenten, die sich für das nächste Studienjahr in den Fächern Biologie, Chemie oder Statistik einschreiben – in Amsterdam trotz guter Reputation offensichtlich Ladenhüter – winken aufsehenerregende Vergünstigungen. Wer die Zugangsvoraussetzungen erfüllt, sprich: auf der Schule den richtigen Fächermix hatte, bekommt im Juni und Juli einen verbilligten Intensivkurs Holländisch. Hinzu kommt, daß die deutschen Kommilitonen Anrecht auf ein halbes Jahr Wohnung in einem Gästezimmer der Universität erwerben. Außerdem bekommen sie einen Studenten höheren Semesters als Mentor. Das Studium beginnt am 1. September.

Viele der in Deutschland diskutierten Reformvorhaben sind in den Niederlanden seit Jahren Wirklichkeit. Die wissenschaftliche Ausbildung gliedert sich in zwei Phasen. Die erste Phase setzt sich aus einem einjährigen Grundstudium (Propädeuse) und einem dreijährigen Hauptstudium (Doctoraal) zusammen. Insgesamt sollte die erste Phase nicht länger als sechs Jahre dauern, danach erhöht sich die nach deutschen Begriffen ohnehin hohe Immatrikulationsgebühr erheblich. Während der Regelstudienzeit bekommen deutsche Studenten zwischen 18 und 27 Jahren diese Gebühr übrigens zurückerstattet. Nach der ersten Phase verfügt ein Student über einen vollwertigen Studienabschluß. Die zweite Phase ist fakultativ und nur für den wissenschaftlichen Nachwuchs bestimmt, der innerhalb von vier weiteren Jahren bezahlt promovieren kann.

Das Studium ist nach dem Steckkastenprinzip aus Blöcken aufgebaut, an deren Ende sich in der Regel direkt eine Prüfung anschließt. Es gibt keine Monsterprüfungen über undefinierten Stoff.

Widerspruchskommissionen ermöglichen die Anfechtung unfairer Prüfungen. Schon wegen der geringen Studentenzahl, aber auch wegen der geringeren Berührungsangst zwischen den Klassen ist der Kontakt zwischen Dozenten und Studenten enger als in Deutschland. Dozenten werden auf ihre Leistungen in Forschung und Lehre hin beurteilt und müssen bei schlechten Noten um Geld und Arbeit bangen.

Innerhalb der Niederlande ist die Aktion der Universität von Amsterdam allerdings nicht unumstritten. Obwohl im letzten Jahr einige hundert Anfragen zu dem Projekt „Studienplätze“ eingingen, blieben am Ende ganze sechs deutsche Studenten übrig, die tatsächlich teilnahmen. Ein mageres Resultat für eine teure Werbekampagne. Außerdem, so Gegner der Aktion, benutze die Universität niederländische Steuergelder, um mit deutschen Studenten „künstlich“ die Anzahl der Immatrikulierten zu erhöhen und dadurch bedrohte Fakultäten zu retten. Befürworter argumentieren dagegen, daß das Projekt die europäische Integration fördere und die Niederlande langfristig von jenen profitieren könne, die durch ein Studium eine starke Bindung an das Land gewonnen hätten. Ihr Streben ist es, den Anteil ausländischer Studierender an der Universität von Amsterdam bis zum Jahr 2000 auf ein Viertel zu steigern. Im nächsten Jahr soll die Aktion auf weitere Länder ausgedehnt werden.

Wer sich sputet, kann jetzt noch die Immatrikulation vornehmen.

Universiteit van Amsterdam, „Office for Foreign Relation“, Tel.: 525 31 47.

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