„Yuppie-Mentalität“ statt „Kulturkritik“

■ Andere für sich auch zu Hause arbeiten zu lassen, liegt ganz im Trend der Zeit / Osteuropäische Akademikerinnen als Putzhilfe für den Hedonismus der Neunziger

„Yuppie-Crime“ hieß die Affäre, über die US-Präsident Bill Clinton gleich zu Beginn seiner Amtszeit beinahe gestolpert wäre. Der Anlaß: Die designierte Justizministerin Clintons, Zoe Baird, hatte zwei illegale Immigrantinnen als Haushaltshilfen eingestellt und damit das Rechtsempfinden der amerikanischen Öffentlichkeit empfindlich gestört. Nicht allerdings, weil man Mitleid mit den Haushälterinnen hatte, sondern weil man selbstverständlich legal organisieren sollte, was ansonsten völlig legitim ist. Das ist im Weißen Haus nicht anders als im mecklenburgischen Börgerende.

Während es in den USA kaum mehr wohlhabende Familien ohne Gärtner, Haushaltshilfe und Chauffeur gibt, ist der „fremde Dienst im eigenen Haushalt“ hierzulande noch gewöhnungbedürftig. Nichtsdestotrotz liegt er im Trend. In Berlin etwa steigt nicht nur der Anteil der Single-Haushalte, sondern auch die Einkommensunterschiede und mit ihnen die Möglichkeit, „nicht-produktive“ Arbeit zu delegieren.

Zum Beispiel an osteuropäische Putzfrauen. Seit zwei Jahren werden am Moskauer „Kommerziellen Lehr-Zentrum“ Haushaltshilfen ausgebildet. In den Genuß kommen freilich nicht nur russische Doppelverdiener ohne Kinder, sondern auch deutsche Familien. „Noch nie“, spottete unlängst ein Ostberliner Drehbuchautor, „war die Wahrscheinlichkeit, sich mit seiner Putzfrau über die Spezifika der deutschen Syntax oder die französische Revolution unterhalten zu können, so groß wie heute“. Osteuropäische Germanistinnen oder Historikerinnen – wenn es um die gute Stube geht, werden moralische Bedenken oder verbliebene Anspruchskrümel gerne unter den Teppich gekehrt.

Daß der alternative Flickenteppich dafür überaus geeignet ist, erforschte unlängst die Universität Hohenheim. Der Stellenwert der unbezahlten Hausarbeit, heißt es, sei in konservativen Kreisen ungleich höher als beim „aufgeklärten Mittelstand“. Und eine Studie der „Sinus-Lebensweltforschung“ bestätigte, daß die „konsummaterialistische Linie“ einen deutlichen Vorsprung gegenüber der „epikuräischen“ gewonnen habe, also den ehemals linken Ansprüchen auf Kollektivität und Vergesellschaftung.

Daß die technologische Revolution zwangsläufig zur Zunahme von Leistung, Verfügbarkeit und Zeitverlust und mithin zur Verdrängung der Utopien durch Konsum führen muß, ist zumindest philosophisch noch nicht ausgemacht. André Gorz etwa nannte die Mikroelektronik ein „Versprechen“, das im Grunde vielmehr den „Tod der Arbeitsgesellschaft“ bedeute. Der Einsatz neuer Technologien in allen Arbeits- und Lebensbereichen könnte, wenn gewollt, ein mehr an Lebensqualität zur Folge haben, mehr Freizeit, mehr Flexibilität in der Organisierung der eigenen, auch materiellen, Existenz.

Mit Utopien tut man sich heute freilich schwer. Der Konsumverweigerung der siebziger Jahre steht, wie es die „Sinus“-Lebensweltforscher formulieren, seit den Achtzigern das „Anwachsen von Individualismus- und Konsumwerten“ gegenüber, eine Zuwendung zum „Hedonismus“, die sich in einer „sofortigen Verfügbarkeit des Konsums“ und einem „gesteigerten Anspruchsdenken“ manifestiere. Die „Yuppie-Mentalität“, so die Sinus-Forscher, hat der Gegenposition der „Kulturkritiker“ den Rang abgelaufen.

Damit, so scheint es, gilt auch der kapitalistische Leitspruch „Zeit ist Geld“ nur noch in begrenztem Maße. Selbstverwirklichung ist vielmehr so kostbar geworden, daß man sich die Zeit dafür etwas kosten läßt. Doch das, so will es der Circulus vitiosus, muß entsprechend wieder verdient werden. Uwe Rada