In Deutschland am teuersten

■ Niedrige Arbeitskosten sind aber nicht allein entscheidend

„Singapur und Malaysia liegen jetzt direkt nebenan“, freute sich kürzlich Anton Schneider, Vorstandsmitglied der Bremer Vulkan Werft. Statt durchschnittlich 6.578 Mark im Monat wie in Westdeutschland muß ein Unternehmer einem Industriearbeiter etwa in Tschechien nur 401 Mark zahlen, sämtliche Lohnnebenkosten inklusive.

Westdeutschland steht international an der Spitze, was Lohn- und Lohnnebenkosten anbelangt. Schon fordern Wirtschaftsverbände längere Arbeitszeiten ohne Lohnausgleich, andernfalls sei der Industriestandort Deutschland nicht zu halten. Doch seltsam – obwohl man in Rußland einen Arbeiter schon für 95 Mark monatlich anheuern kann, haben deutsche Unternehmen in der gesamten Ex- Sowjetunion 1992 nur 14 Millionen Mark investiert. In Ungarn dagegen, wo die Arbeitskosten gut siebenmal so hoch sind, waren es 826 Millionen Mark. Aber selbst das ist fast nichts, verglichen mit den weit über 100 Milliarden Mark, die westdeutsche Unternehmen im selben Jahr in den neuen Bundesländern investierten.

Ein Siemens-Sprecher erklärt, daß in solchen Ländern, wo Wertschöpfung und Absatz gering seien, eben auch kaum investiert werde, schon gar nicht, wenn die politische und wirtschaftliche Stabilität nicht garantiert sei. Die tatsächlichen Produktionskosten hängen zudem ebenso sehr von der Produktivität, der Besteuerung und den Wechselkursen in einem Land ab. Zum Beispiel Portugal, mit 8,96 DM Arbeitskosten pro Stunde ein echtes Billiglohnland: Aufgrund der niedrigen Produktivität sind dort die Lohnstückkosten (also der Lohnanteil an einer bestimmten produzierten Menge) genauso hoch wie in Frankreich mit Arbeitskosten von 27,25 DM pro Stunde. Die Produktivität in Deutschland ist immer noch eine der höchsten weltweit. Und die Lohnstückkosten sind im internationalen Vergleich sogar zurückgegangen, wenn man die Wechselkurse berücksichtigt.

Nun läßt sich diese Rechnung allerdings nicht ohne weiteres auf Osteuropa übertragen. Sobald nämlich ein westdeutscher Unternehmer, sagen wir ein Hemdenfabrikant aus Bayreuth, seine Maschinen ein paar Kilometer über die Grenze schafft und dort seine Hemden von tschechischen Näherinnen zusammennähen läßt, ist die Produktivität dieselbe wie zuvor in Deutschland, die Lohnkosten betragen jedoch nur ein Zehntel.

Siemens läßt nach demselben Schema Autokomponenten, wie etwa Kabelbäume, in Tschechien produzieren. Doch bei Siemens entfällt nur rund ein Achtzigstel des weltweiten Umsatzes auf Osteuropa, und die Investitionen bewegen sich etwa in derselben Größenordnung. Und seine neue Chips-Fabrik baut Siemens nicht etwa in Böhmen oder in der Pußta, sondern in Dresden, Arbeitskosten hin oder her. Für solche High- Tech-Industrien sei man in Osteuropa eben doch nicht weit genug. Nicola Liebert