Bei Narva/Priamos sieht es wieder finster aus

Nachfolgegesellschaft des Lampenherstellers Narva kämpft erneut ums Überleben: Massenentlassung nach Zahlungsproblemen / Betriebsrat sieht in Entlassungen einzige Zukunftschance und kritisiert die passive Belegschaft  ■ Von Helmut Höge

Das VEB Berliner Glühlampenwerk an der Warschauer Brücke, das seit seiner Privatisierung Priamos GmbH heißt und dessen Belegschaft sich auf einem Ausweichgelände in Johannisthal in dort anzusiedelnde Drittfirmen aufteilen sollte, hat aufgrund ernsthafter Finanzprobleme seine Mitarbeiterzahl soeben noch einmal – von 1.080 auf 530 – halbiert.

Zur Erinnerung: In zähem öffentlichen Ringen war es vor zwei Jahren dem Narva-Betriebsrat gelungen, den schon genehmigten Verkauf ihrer überaus lukrativen Immobilie durch die Treuhand an das sogenannte Klingbeil-Konsortium wieder rückgängig zu machen. Zum Zuge kam statt dessen der bayrische Investor Erhard Härtl. Das Klingbeil-Konsortium hatte für 300.000 Quadratmeter 30 Millionen DM geboten und wollte außerdem „etwa 220 Mitarbeiter“ übernehmen. Härtl zahlte dann für die auf 50.000 Quadratmetern reduzierte Immobilie 242 Millionen DM, außerdem übernahm er eine dreijährige Beschäftigungsgarantie für sämtliche damals noch verbliebenen 1.080 Narva-Mitarbeiter. Von Senat und Treuhand bekam er dafür ein Ausweichgelände in Johannisthal sowie einen Lohnkostenzuschuß in Höhe von 42 Millionen DM.

Das Ganze wurde als „Narva- Modell“ bezeichnet und vielfach gepriesen. Dem Betriebsrat gelang es darüber hinaus, einen der für diesen Deal verantwortlichen Frankfurter Bankmanager, Jesus Comesana, als Geschäftsführer der neuen Firma Priamos GmbH zu verpflichten.

Die Probleme begannen schnell und hatten nicht nur mit der erlahmenden Berlin-Konjunktur zu tun: Bis heute ist die Baugenehmigung für den Johannisthaler Gewerbepark noch immer nicht vom Treptower Bezirksamt erteilt worden. Härtls Konzept sah eine sofortige Umschulung der Narva-Belegschaft im Hinblick auf die in Johannisthal anzusiedelnden Drittfirmen vor. Als erstes verweigerte hierbei das Arbeitsamt seine finanzielle Mitwirkung, weil – paradoxe Argumentation – nämlich der „allzu hieb- und stichfeste Vertrag“ zwischen Betriebsrat und Gesellschafter eine Gefährdung der Arbeitsplätze auf drei Jahre quasi ausschloß – und also kein akuter Umschulungsbedarf bestand!

Auch eine schweren Herzens vom Betriebsrat unterschriebene „Öffnungsklausel“ konnte an der Arbeitsamt-Blockade nichts ändern, und also auch nichts Wesentliches an der Tatsache, daß seit der Privatisierung über die Hälfte der Narva-Belegschaft „zu Hause saß – bei vollem Lohnausgleich, und mit sinkender Arbeitsmotivation“, wie der Vorsitzende im „Priamos- Beirat“, Peter-Martin Bock, vormals Arbeitnehmervertreter im Narva-Aufsichtsrat, meint.

Bald kamen jedoch noch mehr Hindernisse bei der Umsetzung des Härtl-Konzepts hinzu: Erst waren es sechs Pappeln, die bei der Neubebauung des Johannisthal- Geländes im Weg standen und die plötzlich unter Naturschutz gestellt wurden, dann war es ein zimmergroßes Feuchtbiotop, das für erhaltenswert erklärt wurde, und schließlich ein Bunker aus dem Zweitem Weltkrieg, der – als Trockenbiotop – zur neuen Heimat für einige vom Aussterben bedrohte Fledermäuse werden sollte. Derweil ließen sich auch die Denkmalschützer beim Umbau der Narva- Gebäude in Friedrichshain etwas einfallen: Sie verlangten kategorisch eine Ersetzung der bereits bestellten Metallfenster durch ebensolche aus Holz. Und zuletzt geriet auch noch die Baugenehmigung für das gesamte Johannisthal-Vorhaben ins Wanken, und die dort mit der Ansiedlung liebäugelnden Firmen sprangen eine nach der anderen ab.

In dieser Situation – anderthalb Jahre nach der Privatisierung – trennten sich Betriebsrat und Gesellschafter von ihrem entnervten Geschäftsführer Comesana. Der Betriebsrat hatte schon Mitte 93 angefangen, Härtl und die Treuhand zu warnen: Wenn nicht bald etwas geschieht, geht das gesamte „Modell“ den Bach runter. Auch intern häuften sich die Schwierigkeiten: Wegen Patentproblemen, die Osram/Philips der Narva- Lichtproduktion bereiteten, gerieten in diesem Bereich die Verluste erheblich höher als von Comesana veranschlagt, ferner erwiesen sich die in der Priamos GmbH vorbereiteten Gründungen neuer Betriebe als nicht sofort erfolgreich.

Härtl mußte deshalb monatlich Millionen-Summen zuschustern. Und dem Betriebsratskollektiv waren, auf der Grundlage des Betriebsverfassungsgesetzes agierend, zumeist die Hände gebunden. „Wenn man die Zahlen kennt, dann wäre es schon ein Riesenerfolg, es mit nunmehr 500 Beschäftigten zu schaffen“, erklärte gestern ein Betriebsrat, „die Aussetzung der Beschäftigungsgarantie war die einzige Chance, daß wir überhaupt noch weitermachen können.“ Ein anderer ergänzt, leicht verbittert: „Das Problem sind nicht die Gegner, sondern das Unverständnis derer, die ich vertrete. Ich will es mal so sagen: die Mitläufer von vor 89 sind das Problem in den neuen Bundesländern. Also jene, die das Wort Solidarität im Schlaf vorwärts und rückwärts buchstabieren konnten. Das ist eine ganz schlimme Erfahrung, dagegen war die Auseinandersetzung mit Klingbeil geradezu ein Kinderspiel.“ Zwei Jahre hätte die Mehrheit der Mitarbeiter „nicht den Arsch hochgekriegt“ und sich in keinster Weise am „Projekt Priamos“ beteiligt. Die jetzigen Entlassungen seien das Ergebnis ihrer Untätigkeit.

Nachdem es Mitte April, „in letzter Minute also“, gelungen war, die Treuhand zur Stornierung der Härtlschen Arbeitsplatzgarantie zu bewegen, wurde sofort 480 Mitarbeitern gekündigt. Der Betriebsrat legte einen Sozialplan für sie vor. Weitere 260 Mitarbeiter, die wie die entlassenen voll entlohnt zu Hauses gesessen hatten, gehen ab 1. Mai in „Kurzarbeit Null“. Das Arbeitsamt übernimmt damit einen Großteil der Lohnkosten, und auch die Übernahme von Umschulungskosten für sie ist dadurch möglich geworden. Von den in Vollbeschäftigung verbleibenden 260 Belegschaftsmitgliedern arbeitet nur ein kleiner Teil in der Verwaltung der Priamos GmbH auf dem Narva-Gelände weiter. Über zweihundert Mitarbeiter sind in der Lampenproduktion, im „Blitz- Service“ (Glas- und Gebäudereinigung, Kurierdienst, Wach- und Schließdienste, Büro-Versorgung und -Verpflegung) und im „Corpus-Projektbau“ (diverse Handwerker-Dienste und ein Büromöbel-Vertrieb). All diese Bereiche befinden sich in Ausgründung.

Durch die Aussetzung der Beschäftigungsgarantie bis zum 1. Juli 95 hat die Priamos GmbH zwar wieder etwas Luft bekommen, aber der Betriebsrat ist dadurch noch nicht wieder optimistisch gestimmt: Einem gründlichen „Sanierungskonzept“ hat die Treuhand nämlich noch nicht zugestimmt. Dieses Konzept käme einer Neuverhandlung des Vertrages zwischen Härtl und Treuhand gleich, was letztere jedoch bisher stets abgelehnt hatte. Schützenhilfe bekam die Treuhand jetzt vom SPD-Kreisvorsitzenden: „Es darf nicht sein, daß sich Investor Härtl aus der Beschäftigungsgarantie befreit, den Wertzuwachs des Narva-Geländes aber ungeschmälert einsteckt.“

Von Wertzuwachs kann einstweilen wohl nicht die Rede sein, ganz abgesehen davon vermutet der Betriebsratsvorsitzende Michael Müller aber, „daß der Widerstand gegen das Klingbeil-Konsortium dazu geführt hat, daß einige entscheidende Stellen in Berlin nun nachweisen wollen, daß Klingbeil doch der Bessere gewesen wäre.“ Demnach würde also der „Berliner Sumpf“ bis ins letzte zimmergroße Johannisthaler Feuchtbiotop reichen?