Sachsens Polizei und die Stasi

Sind in Sachsen zu viele ehemalige Stasi-Mitarbeiter bei der Polizei? / Die Opposition meinte ja und forderte Eggerts Rücktritt / Doch Biedenkopf stellte sich vor seinen Innenminister  ■ Aus Dresden Detlef Krell

Der kleine Biedenkopf konnte mal wieder ganz groß König Kurt sein. Erst trat er dem Fraktionsvorsitzenden der PDS vors Schienbein: Was dieser sich erlaube, hier zwei Tage lang Reden über „Freiheitsrechte“ zu halten, als ehemaliger Abteilungsleiter der SED-Bezirksleitung. Das zeige einen „Mangel an Schamgefühl, der schon inhuman“ sei. Dann stellte sich Sachsens Ministerpräsident breit vor seinen Innenminister. „Heinz Eggert ist für Sachsen unverzichtbar“, und er werde nicht, wie von SPD und Bündnisgrünen gefordert, den Hut nehmen. Rücktrittsforderungen seien „ohne jede Plausibilität und ohne jede innere Rechtfertigung“. Bei der Überprüfung des Personals habe es eine „ungewöhnlich kleine und im wesentlichen korrigierbare Fehlerquote“ gegeben.

Die Sozialdemokraten hatten sich mit ihrer Großen Anfrage zur Personalpolitik im Innenministerium nicht nur peinlich verhoben. Sie hatten, unschlüssig wie so oft, zum falschen Koffer gegriffen. Und den Bündnisgrünen fiel leider nichts Besseres ein, als ihnen beim Tragen zu helfen. Biedenkopf- Herausforderer Karl-Heinz Kunckel (SPD) fiel im Duell mit dem Ministerpräsidenten der Part des eifrigen Schülers zu, der doch so gern seinen Lehrer hereinlegen möchte. „Der Versuch ist wirklich gescheitert“, benotete Biedenkopf den Vorstoß seines politischen Gegners. Mit der Personalpolitik im Innen- und Kultusministerium befaßt sich ein Untersuchungsausschuß des sächsischen Landtages. Als dem Ausschuß durch Eggert aus angeblich datenschutzrechtlichen Gründen die Herausgabe einiger Akten verwehrt wurde, stellte die Fraktion eine große Anfrage. Auf Eggerts Antwort folgte postwendend die Rücktrittsforderung. Am 1. Januar 1993 waren noch 161 einst hauptamtliche Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit bei der sächsischen Polizei beschäftigt. 362 Polizisten waren als Inoffizielle Mitarbeiter bei der Stasi im Dienst, 370 als Hauptamtliche bei der Polit- Abteilung der Kriminalpolizei. 1.662 sogenannte Nomenklaturakader waren im Innenministerium untergekommen. Zahlen, die Doppel- und Dreifachzählungen einschließen.

74 der 161 ehemals Hauptamtlichen waren bei der Stasi als „Personenschützer“ geführt. Von 19.800 Anfragen zu Polizisten und sonstigen Bediensteten des Innenministeriums sind 10.600 von der Gauck-Behörde beantwortet worden. Seit 1990 sind 1.100 Eggert- Mitarbeiter wegen erwiesener Stasi-Kontakte oder anderer Belastungen entlassen worden. Unter den Hauptamtlichen finden sich, so Eggerts Auskunft, auch diejenigen wieder, die neben der Einzelfallprüfung durch den Runden Tisch auch durch das Gemeinsame Landeskriminalamt und das Bundesinnenministerium überprüft und für zumutbar erklärt worden waren.

Biedenkopf erinnerte Kunckel daran, daß dieser selbst früher die Weiterbeschäftigung von Personenschützern für „zumutbar“ gehalten habe, „und zwar aus gutem Grund: eben weil die Personenschützer nicht in die Kategorie derer fallen, die im Rahmen der Staatssicherheit als ,Schild und Schwert der Partei‘ das Unterdrückungssystem mit quasi militärischen Mitteln unterstützt haben“. Biedenkopf selbst habe jedenfalls mit seinen mutigen Beschützern nur gute Erfahrungen gemacht. Eggert gestand ein, daß 1990/91 „einige Beschäftigte“ bestätigt wurden, „von denen man sich hätte trennen sollen“. Damals habe das Parlament jedoch unisono gefordert, der „Unsicherheit der Polizei entgegenzutreten“. Er verwahrte sich gegen den Vorwurf, unter der Personalnot „Belastetheit gegen Brauchbarkeit abgewogen“ zu haben. Schematismus bei den Entlassungen sei ebensowenig möglich. Auch ein ehemaliger inoffizieller Mitarbeiter des MfS habe das Recht, bei einer Einzelfallüberprüfung Tatsachen zu seiner Entlastung vorzubringen. Fehlentscheidungen bei der Übernahme in den Beamtenstatus würden jetzt korrigiert. Wer falsche Angaben gemacht habe, könne auch als Beamter geschaßt werden.

Kunckel billigte Eggert den Willen zur Erneuerung zu, doch habe sich dieser „von leitenden Beamten auf eine andere Linie bringen lassen“. Worum es den Sozialdemokraten eigentlich ging, war zwar zu erahnen, kam aber erst im Laufe der vierstündigen hitzigen Debatte zur Sprache. Die Staatsregierung habe bei der Überprüfung der Bediensteten nicht überall die gleichen Maßstäbe angelegt. DDR-Funktionen, die bei LehrerInnen und ÄrztInnen als untragbar galten, seien im Innenressort toleriert worden. Das war aber nicht Gegenstand der Anfrage und blieb so der fraktionseigenen Auslegung überlassen.

Herbert Goliasch (CDU) hatte auch gleich seinen Reim parat. Wenn ein Lehrer oder Wissenschaftler für die Stasi gespitzelt habe, sei das freiwillig und deshalb verwerflich gewesen. Ein Polizist aber sei „in der Regel gezwungen“ gewesen, „seine Erkenntnisse auch der Staatssicherheit mitzuteilen“.

Fraktionschef Klaus Gaber (Bündnis 90/Die Grünen) hielt Biedenkopf vor, „mit staatsmännischer Geste gravierende Fehler des Innenministers kleinzureden“. Fraktionskollege Martin Böttger ist erneut die Belege für einen schweren Vorwurf schuldig geblieben. Beamte aus Eggerts Ministerium sollen an der Stasi-Bespitzelung des Bürgerrechtlers Wolfgang Templin beteiligt gewesen sein. „Ich bin an geltendes Recht gebunden“, hielt Eggert dagegen. Gerichtsverwertbare Hinweise aus Opferakten, die zu Beschäftigten seines Hauses führten, würden jedenfalls zu „personalrechtlichen Konsequenzen“ führen.

Es war hoffentlich nicht, wie Karl-Heinz Kunckel befürchtet, „die letzte Debatte über Vergangenheit“. Es sollte aber doch die letzte derart niveaulose gewesen sein.