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Sehr intime Bedürfnisse

■ Transparente Individualitäten: "Opposition & Schwesternfelder" im Museum Fridericianum Kassel

Bei Gruppenausstellungen stellt sich nur selten die Frage, warum es zu der jeweiligen Gemeinschaft gekommen ist. Meist werden Gruppen über ein Thema, eine bestimmte Vorgehensweise oder Künstlerfreundschaften begründet. Ansonsten gilt die Regel, Konzepte des Kurators möglichst lückenlos auf den Ausstellungsraum zu übertragen – schließlich kann sein Know-how Künstlern wie Machern eine Karriere versprechen. Es sei aber nur an die Entwicklung von Christos Joachimedes erinnert: Während er sich beim Projekt „Kunst im politischen Kampf“ (Kunstverein Hannover, 1973) noch zeitgemäß kollektivbewußt mit den Künstlern fotografieren ließ, scheint er sich nun eher darauf zu verstehen, Politikern und Sponsoren repräsentative Hochkultur zu inszenieren.

Dementgegen beabsichtigte die Kuratorin von „Opposition & Schwesternfelder“, Sabine B. Vogel, die Ausstellung mit den Künstlern vor Ort aus den Differenzen innerhalb der individuellen Biographien und Backgrounds heraus zu erarbeiten. Mit Folgen: Nach der gleichnamigen Ausstellung in der Wiener Secession kam es aufgrund von persönlichen Unverträglichkeiten zu einer Umbesetzung der „Künstler-Gemeinschaft“. Insofern zieht die zweite Gruppe in Kassel auch ein Resümee der früheren Zusammenarbeit.

Ort dieses Treffens sind die drei Etagen der Rotunde im Fridericianum, dem ältesten Museum Deutschlands. Das Haus allerdings ist mit Erinnerungen besetzt: Dort „versorgte“ die legendäre „Honigpumpe“ von Joseph Beuys die documenta 6 (1977) mit „Energie“. Edwin Janssen verstrebt diesen Raum nun mit Fahnenmasten. Seine Banner tragen dabei die Konterfeis von Rotterdamer Affen und Narren, deren althergebrachte Rolle im sozialen Gefüge der Stadt er an die Kasseler Situation als allfünfjährliche Kunstmetropole der 100 Tage bindet. Die Modelle und Zeichnungen von Kirsten Mosher und der Gruppe „paint the town red“ dagegen verweisen auf ihre außerhalb des Museums positionierten Arbeiten: Mosher hat ein Einmannzelt auf den nahegelegenen Parkplatz gestellt; ein dudelndes Radio und eine Lampe heucheln die Anwesenheit irgendeines Bewohners. Mit dem Zelt jedoch verknüpft Mosher paradoxal die herrschende Wohnungsnot mit den zunehmenden Pkw-Zulassungszahlen und entsprechend mangelndem Parkraum.

Mit einer Fotoinstallation wird Hitlers Raketenproduktionsstätte Peenemünde als Thema aufgegriffen, die gerade eine Autostunde von Kassel entfernt liegt. Auch hier die symbolische Markierung eines Ortes außerhalb der Ausstellung – Matthias Ring, Cathy Skeene und Christoph Schäfer verflechten Ausstellung und historisches Material: Auf der Grundlage eines Zusammenwirkens des Raketenwerkes Peenemünde und dem Konzentrationslager Dora (Nordhausen) wurde die moderne Raumfahrt und Kriegsführung entwickelt. Doch die Fotografien haben es schwer, dem Betrachter die historischen Bezüge zu verdeutlichen, zumal sie mit der Rauminstallation von Dan Peterman konkurrieren müssen. Petermans ökologisch orientierte Versuche, Konsummaterialien mit einfachsten Recyclingverfahren umzumünzen, ziehen in diesem Raum (unter anderem auch wegen der Verwendung des Mediums Video) jede Aufmerksamkeit auf sich: Gelbe Müllsäcke werden zu Gebrauchsgegenständen.

Irritierend dagegen die Papiertüte mit Jeansreißverschluß und eine Jeansjacke an der Wand. Joe Scanlan erprobt die Vorstellungskraft der Betrachter: Seine persönlichen Gebrauchsgegenstände, mit sehr intimen Bedürfnissen behaftet, setzt er dem öffentlichen Blick aus. Harter Zusatzkontrast: Auf der selben Etage wird gleichzeitig eine Ausstellung von Brice Marden mit konventionell gerahmten Papierarbeiten an den Wänden präsentiert. Bei Ralph Weißleder zuletzt fällt alles in einem von unangreifbaren Pop-Idolen bevölkerten Markt im obersten Stockwerk zusammen, der durch erotische Suggestionen funktioniert – kiloweise angehäufte Fanmagazine mit Postern und Covergirls.

Gerade im Dissenz der künstlerischen Positionen spürt man eine gewisse Signatur, die vom Augenblick lebt. Die KünstlerInnen setzen theoretisch wie territorial Konzepte gegeneinander, die sich auf ihr soziales Umfeld beziehen. Achim Wollscheid entzog sich der Präsenz in der Ausstellung und erweiterte den Kunstraum in den Äther mit einer über HR 2 ausgestrahlten Radiosendung. Aber die Ausstellungsgemeinschaft soll auch keine Identität zurechtschnüren. Die Positionen verspannen vielmehr ein Kommunikationsnetz, das gerade aus den singulären Differenzen resultiert. Gleichzeitig widersetzen sich die Einzelarbeiten der liberalistischen Vereinnahmung in das hohle Geschwätz von national verordneter Identität.

„Opposition & Schwesternfelder“ – ursprünglich Titel von Duchamps Schachbuch 1932, und von Martin Krützfeldt in der Kasseler Schau mit einem Buch über Dartsport persifliert – setzt anders an als frühere Projekte, die von politischen Utopien geleitet wurden. Im Buch „Gemeinschaften – Positionen zu einer Philosophie des Politischen“ umreißt Joseph Vogl eine der aktuellen politischen Perspektiven: „Die Kommunikation in der Gemeinschaft betreibt die Entwerkung des sozialen, ökonomisachen, technischen und institutionellen Werkes.“ Wobei die Gemeinschaft als Selbstzweck aufgefaßt wird. Und auch der Anspruch, nicht von einem sinnstiftenden Identitätsmodell bestimmt zu werden, verspricht der institutionellen Politik zu entkommen. Stefan Römer

„Opposition & Schwesternfelder“. Bis zum 23.5. im Fridericianum Kassel.

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