„Die Pressefreiheit gibt es nicht geschenkt“

■ Heute, am Tag der Pressefreiheit, ziehen die „Reporter ohne Grenzen“ Bilanz

Georgien, Oktober 1993. Der 70 Jahre alte oppositionelle Journalist Irakli Gotsiridze wird im Gefängnis zusammengeschlagen. Kommentar von Militärchef Djaba Ioseliani: „Wenn er was abbekommen hat, dann ist er die Treppe heruntergefallen.“

Bosnien, Januar 1994. Drei italienische Fernsehreporter werden von einem Mörser tödlich getroffen, als sie gerade das Hospital des muslimischen Teils von Mostar verlassen. Sie waren dabei, einen Bericht über Flüchtlingskinder ohne Eltern zu drehen.

Elfenbeinküste, Februar 1994. „Wir haben hier unsere Kultur, bei uns ist es Pflicht, den Staatschef zu ehren“, sagt der Präsident des Gerichtshofes, der gerade Hamed Bakayoko, Direktor der Oppositionszeitung Le Patriot, zu einem Jahr Gefängnis verurteilt hat – wegen „Angriff auf Ehre und Würde des Präsidenten“.

Drei Länder, drei Beispiele, zufällig herausgegriffen. In 28 Ländern waren am 1. April mindestens 145 JournalistInnen inhaftiert. 63 wurden im letzten Jahr getötet – ein trauriger Rekord –, mindestens sechs weitere seit Jahresbeginn.

„Reporters sans frontières“ (Reporter ohne Grenzen) heißt die Menschenrechtsorganisation, die Statistiken von Mord, Zensur und Einschüchterung recherchiert und an die Öffentlichkeit bringt. Gegründet wurde sie 1985 in Montpellier, von JournalistInnen, die wissen, daß es „die Pressefreiheit nicht geschenkt gibt“.

Und dieser Satz gilt nicht nur für Bürgerkriegsgebiete und Diktaturen. Auch in den westlichen Demokratien gibt es immer wieder Versuche, die Rechte der Presse zu beschneiden. In Deutschland gehen sie von den Staatsanwaltschaften aus, die Redaktionsräume durchsuchen und Dokumente, Fotos oder Filme beschlagnahmen. Denn wenn die Presse ihre Informanten nicht mehr schützen darf, werden auch viele Skandale nicht mehr in die Medien lanciert.

„Reporters sans frontìeres“ setzt sich für die Pressefreiheit mit ähnlichen Mitteln ein, wie es „amnesty international“ für die allgemeinen Menschenrechte tut: Patenschaften für JournalistInnen im Gefängnis werden vermittelt, ihre Familien materiell unterstützt, Protestbriefe an Regierungen und Militärs geschrieben, die Öffentlichkeit wird sofort informiert. In Frankreich hat die Organisation heute rund 500 Mitglieder, bislang ist sie außerdem in der frankophonen Schweiz und Belgien sowie in Spanien aktiv.

Makaber, aber wahr: Erst der Krieg, der sich nur eine Flugstunde von München entfernt abspielt, hat auch die JournalistInnen in Deutschland aufgerüttelt. Nachdem Egon Scotland, Reporter der Süddeutschen Zeitung, 1991 in Bosnien ermordet worden war, gründete sich in Deutschland der Verein „Journalisten helfen Journalisten“, der sich vor allem um verletzte und emigrierte Kollegen aus Ex-Jugoslawien kümmert. 1993 unternahmen dann die „Reporter ohne Grenzen“ ihre ersten europäischen Gehversuche: Sie brachten 43 europäische Zeitungen, unter ihnen auch die taz, dazu, eine übersetzte Faksimileausgabe der bedrohten Zeitung Oslobodenje aus Sarajevo abzudrucken, Geld wurde gesammelt für Papier und für die Unterstützung unabhängiger Rundfunkstationen in Bosnien. Den vergangenen Winter über lief dann ein gemeinsames Projekt mit dem Fernsehsender arte: Jede Woche berichtete der Reporter (oder die Reporterin) einer anderen europäischen Zeitung für alle gemeinsam aus Sarajevo.

Den heutigen 3. Mai hat RSF in Frankreich vor drei Jahren als „Tag der Pressefreiheit“ eingeführt, jetzt hat ihn die UNO international anerkannt. Aus diesem Anlaß wird heute der Jahresbericht „Pressefreiheit in der Welt“ vorgestellt (englisch und französisch). Auf deutsch erscheint gleichzeitig, als gemeinsame Publikation mit der taz, ein Fotojahrbuch über die Menschenrechte im vergangenen Jahr (siehe rechte Seite). Der Reinerlös aus dem Verkauf wird dem Aufbau einer deutschen Sektion der Organisation dienen. Noch vor den Sommerferien soll sie mit einem Treffen aller Interessierten gegründet werden. Michael Rediske

Wer an dem Start der deutschen Sektion Interesse hat, kann sich an die Kontaktstelle wenden, die die taz für Reporter ohne Grenzen eingerichtet hat: Kochstr. 18, 10969 Berlin. Tel. (030) 25 902 248, Fax 251 50 28.