Freiheit für Rössner nach 18 Jahren

■ Der Bundespräsident begnadigt den schwerkranken ehemaligen RAF-Anhänger

Berlin (taz) – Nach fast 19 Jahren zog Richard von Weizsäcker den Schlußstrich: Ende vergangener Woche begnadigte der Bundespräsident das frühere RAF-Mitglied Bernd Rössner – ohne jede Auflage. Er beendete damit nicht nur die Tortur des von der Haft gezeichneten Gefangenen, sondern auch eine Entlassungsprozedur, die längst zum Justizskandal geworden war.

Seit Mitte der achtziger Jahre hatten die wenigen Besucher des im bayerischen Straubing inhaftierten Gefangenen übereinstimmend berichtet, Rössner sei nach zehn Jahren isolierender Haft und einem halben Dutzend Hungerstreiks körperlich und seelisch schwer gezeichnet und in jedem Falle haftunfähig. Nicht nur seine politischen Freunde, auch Bürgerrechtsgruppen und Persönlichkeiten aus dem liberalen Spektrum starteten immer wieder Initiativen für seine Entlassung.

Während des letzten großen Hungerstreiks der RAF-Gefangenen 1988 – an dem Rössner wegen seines labilen Gesundheitszustands nicht mehr teilnahm – scheiterte seine Freilassung vor allem an der harten Haltung der Münchner Staatsregierung. Dahinter standen nicht vorrangig rechtsstaatliche Bedenken, sondern ein schlichtes politisches Kalkül: Unter dem Druck ihrer rechtskonservativen Wählerklientel schien der CSU die Entlassung des linken Stockholm-Attentäters von 1975 nicht opportun.

Rössners Chancen stiegen erst, als der damalige Justizminister Klaus Kinkel (FDP) Anfang 1992 zur „Versöhnung“ mit der RAF aufrief. Auf einer Liste von Gefangenen, die vorzeitig aus der Haft entlassen werden sollten, stand der kranke Gefangene weit oben. Im August 1992 stimmte Bayern schließlich der Verlegung Rössners nach Hessen zu – eine nicht juristische, sondern politische Voraussetzung für die mögliche Begnadigung durch den Bundespräsidenten. Diese Chance machte im November 1992 das Oberlandesgericht Düsseldorf vorerst zunichte, das über eine „vorzeitige Entlassung“ nach dem Strafgesetzbuch zu entscheiden gehabt hätte. Es terminierte die vorgeschriebene Anhörung Rössners so, daß eine fast gleichzeitige Begnadigung wie ein Affront des Bundespräsidenten gegen die Dritte Gewalt ausgesehen hätte. Statt mit der Freiheit mußte sich Rössner daraufhin mit einer von Justizministerin Sabine Leutheusser- Schnarrenberger verfügten 18monatigen „Strafaussetzung“ zufriedengeben. Diese sollte er für eine Therapie nutzen, die nun auch nach der Begnadigung fortgesetzt werden soll.

Offenbar erst in den letzten Wochen wurde entschieden, daß die Begnadigung „ohne jede Auflage“ erfolgen könne. Am Ende war die Entscheidung nicht mehr umstritten: Sie erfolgte im „vollen Einverständnis“ der Bundesanwaltschaft (die sich lange gesperrt hatte), des Justizministeriums und des Bundeskanzleramts.

Rössner, der gestern die Entscheidung mit „großer Erleichterung“ kommentierte und seinen aktuellen Gesundheitszustand als gut bezeichnete, forderte die Begnadigung weiterer Langzeitgefangener der RAF. Er hoffe, daß mit seinem Fall in dieser Frage „eine neue Wegrichtung eingeschlagen“ werde. Gerd Rosenkranz

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