Schwarze Serie
: Literatur für Nichtschwimmer

■ Lilienthal präsentiert Lesungen vom Band: „Lang nicht so teuer wie Sextelefon“

Auch Kinder telefonieren ja heutzutage. Und immer mehr Menschen haben das Bedürfnis, mal für zwei, drei Minuten „abzuschalten, und einfach nur zuzuhören“. Werfen Sie sich also in Ihren Sessel, greifen Sie zum Hörer, und schon umgibt Sie wohltuende Stille: „Tüt, tüt – Diese Woche liest Florian Christensen Gedichte aus seinem Buch Nichtschwimmer.“

Wir befinden uns auf der Kommunikationsebene Literatur live. Seit Mitte März offeriert das bremennahe Örtchen Lilienthal Literaturgenuß vom Band, unter der Notrufnummer 0 42 98/55 79. Die Gemeindeverwaltung dort hat es sich zur Aufgabe gemacht, Bremer Autorinnen und Autoren zu präsentieren, und stellt sie abrufbereit zur Verfügung. Scheibchenweise jeweils von Freitag bis Mittwoch (Donnerstag ist Buchtiptag), 24 Stunden nonstop.

Entsprungen ist diese Idee der 17.200-Seelen-Gemeinde vor zwei Jahren, als der Gemeindedirektor und die Kulturbeauftragte Lilienthals entdeckten, daß es in Oldenburg, Hannover, München... bereits die „Institution“ Literaturtelefon gibt: „Nur Bremen hatte keins. Und Lilienthal hatte auch keins.“ Wo dies doch „Literaturförderung“ der ökonomischsten Art ist: Ein etwas besserer Anrufbeantworter (plus Kassette), eine neue Telefonleitung, eine Koordinatorin – und viele werbedurstige und sowieso honorarübersättigte AutorInnen, die nichts dafür kriegen.

Das sei doch für die HörerInnen ein Literaturerlebnis par excellence, heißt es aus dem Lilienthaler Rathaus. Geradezu die Chance für diejenigen, die sich nicht zu Lesungen trauen, AutorInnen mal im Original zu hören. Vor allem die Älteren unter uns würden doch automatisch beglückt. Sie könnten in den eigenen vier Wänden verharren, hätten den Vorteil, anonym bleiben zu dürfen. Und überhaupt erreiche man die Literaturstandleitung von überallher zum Ortstarif für 23 Pfennige, „das ist lang nicht so teuer wie beim Sextelefon“.

Hören Sie also das Gedicht Kletterrose aus Nichtschwimmer live aus des Autors Munde. Zur Not 24 mal hintereinander, sollte sich Ihr Kommunikationsbedarf auf eine Stunde erstrecken und Ihr Telefonapparat über eine Wahlwiederholungstaste verfügen. Zweieinhalb Minuten nämlich hat so ein Beitrag Zeit, sich „im Alltag zu verankern“. Zweieinhalb Minuten AZB, abschalten, zuhören, besinnen. Wer weiß, länger als zweieinhalb Minuten kann sich so ein Nichtschwimmer wohl eh nicht über Wasser halten. sip