Spanischer Polizeichef auf der Flucht

Luis Roldan wegen Korruption angeklagt / Aus dem Versteck droht er der Regierung mit „kompromittierenden Informationen“ / Zweiter Korruptionsskandal binnen Wochen  ■ Von Antje Bauer

Berlin (taz) – Er habe nicht die geringste Absicht, in den Knast zu gehen, versicherte der ehemalige Chef der Guardia Civil Luis Roldan von unbekanntem Ort aus telefonisch seinen Bekannten. Und er sei durchaus in der Lage, kompromittierende Informationen über die spanische Regierung zu verbreiten. Felipe González, der Premierminister, glaubte das sofort und bat seinen Innenminister Antoni Asunción, bis zur Ergreifung des Flüchtigen im Amt zu bleiben. Asunción hatte am vergangenen Samstag seinen Rücktritt angeboten, nachdem sich herausgestellt hatte, daß Luis Roldan verschwunden war.

Der Verschwundene hat sieben Jahre lang die spanische Guardia Civil geleitet und als solcher mit innerer Sicherheit, Drogenbekämpfung, Antiterrorismus und allem anderen zu tun gehabt, womit man sich in der Politik die Hände schmutzig machen kann. Wenn Roldan in der Öffentlichkeit auspackte, wären „die Konsequenzen unvorhersehbar“, zitiert El Pais eine Regierungsquelle.

Die Flucht von Luis Roldan kam nach einem tiefen Sturz. Im vergangenen November war er noch als Nachfolgekandidat für den zurückgetretenen Innenminister José Luis Corcuera im Gespräch. Da berichtete die Tageszeitung Diario 16 über den wundersamen Reichtum des Chefs der militärischen Sicherheitskräfte, Roldan. Statt dessen wurde Antoni Asunción zum Innenminister bestellt und gegen Roldan Ermittlungen aufgenommen. Roldan soll, so das vorläufige Ergebnis, während seiner Zeit an der Spitze der Guardia Civil die Zuschläge für Bauten von Kasernen eigenmächtig vergeben haben.

Statt wie vorgeschrieben die Aufträge öffentlich auszuschreiben, ließ Roldan unter Sicherheitsvorwänden die immer gleichen drei Firmen Kostenvoranschläge ausarbeiten. Von 1986 bis Ende 1993 wurden Bauarbeiten im Wert von 75 Milliarden Peseten – knapp eine Milliarde DM – in Auftrag gegeben. Den Zuschlag bekam immer dieselbe Firma. Das Finanzministerium wies das Innenministerium bereits im Jahre 1991 auf die gesetzwidrigen Praktiken bei der Vergabe von Aufträgen hin, ohne daß das irgendwelche Folgen gezeitigt hätte. Im April wurde eine parlamentarische Untersuchungskommission zu dem Fall eingesetzt, vor der Roldan aussagte, ohne die Vorwürfe entkräften zu können.

Die Affäre Roldan hat die Regierung von González in einen Strudel gestürzt. Die Affäre um den ehemaligen Gouverneur der „Bank von Spanien“, Mariano Rubio, der am 15. April vor dem Parlament ein äußerst unseriöses Bild abgab, ist noch nicht vergessen. Mariano Rubio, von 1984 bis 1992 Chef der spanischen Notenbank und Vertrauter des damaligen Wirtschaftsministers Carlos Solchaga, hatte zu lange und zu sichtbar über seine Verhältnisse gelebt. 1992 mußte er von seinem Posten zurücktreten, nachdem bei der Pleite der Bank „Ibercorp“ seltsame Machenschaften der Bank von Spanien unter seiner Ägide bekannt geworden waren. Bald stellte sich heraus, daß Mariano Rubio seine Insiderinformationen genutzt hatte, um gemeinsam mit seinem Kumpel und Mitinhaber von „Ibercorp“, dem jungen Geschäftsmann Manuel de la Concha, ertragreiche Geschäfte zu machen und die Gewinne auf Bankkonten in Luxemburg zu schaufeln.

Daß zwei hochrangige Persönlichkeiten des Staates in Korruptionsaffären verstrickt sind und einer der beiden davon sogar vor dem kurzen Arm des Gesetzes flüchten konnte – was, wie die Opposition vermutet, abgesprochen war –, fügt sich nahtlos ein in die Reihe von Skandalen, in die die Regierung in den vergangenen Monaten verwickelt ist: Im März wurde bekannt, daß Agenten des Geheimdienstes Cesid aus Sonderfonds der Regierung dicke Zusatzgehälter bezogen und daß diese Sonderfonds, deren Kontrolle von der Regierung immer vehement abgelehnt worden ist, zwischen 1987 und 1992 um 20 Prozent dicker wurden. Im Baskenland sollen sich Polizisten aus Mitteln der Sonderfonds, die zur Bezahlung von Spitzeln bereitgestellt worden waren, selbst bedient haben. Und die baskische nationalistische Partei PNV forderte kürzlich, auch der oberste Antiterrorismuschef der Region, Oberst Galindo, solle nachweisen, woher der plötzliche Zuwachs seines Wohlhabens stamme.

Bis zur Ministerratssitzung am Freitag will Innenminister Antoni Asunción mit seinem Rücktritt warten. Die Opposition fordert inzwischen den Rücktritt eines anderen, der bislang als unantastbar galt: Felipe González, Premierminister seit 1982.