„Jetzt sind alle Südafrikaner frei“

Nachdem Mandela und de Klerk den Wahlsieg des ANC verkünden, wird in Südafrika gefeiert / Siegestaumel mit ausgewählten Gästen / Mandelas Regierungsrahmen  ■ Aus Johannesburg Willi Germund

„Halleluja“ sang der Imilonji KaNtu Choral-Chor, Nelson Mandela tanzte auf der Bühne und strahlte über das ganze Gesicht: „Ihr könnt es laut von den Dächern verkünden: Frei, endlich!“ Das immer noch nicht endgültige Stimmenbarometer zeigte 62 Prozent für den ANC an, als er mit diesen Worten den Wahlsieg des Afrikanischen Nationalkongresses (ANC) verkündete. Mit grippegeschwächter Stimme rief Südafrikas angehender erster schwarzer Präsident seinen jubelnden Anhängern zu: „Die Zeit zum Feiern ist gekommen.“ Und ließ sich von der Witwe des vor einem Jahr ermordeten Kommunistenführers Chris Hani zu einem Glas Champagner verführen.

Tausende von SüdafrikanerInnen strömten zum Carlton Hotel im Zentrum der Wirtschaftsmetropole Johannesburg in der Hoffnung, Mandela höchstpersönlich in Siegespose zu erleben. Doch sie wurden nicht in den mit Diplomaten, Journalisten und ausgewählten Gästen vollgestopften Ballsaal vorgelassen. Südafrikas neuer Präsident hatte sich nach seiner Triumphrede ohnehin bereits zur Nachtruhe zurückgezogen – auf Anordnung des Arztes, der ihm wegen einer Grippe sogar die Siegesrede untersagt hatte. „Hoffentlich“, so scherzte Mandela in dunklem Anzug und schwarz-grüner Krawatte, „findet der Doktor nicht heraus, daß ich seinen Anordnungen wieder nicht gehorcht habe.“

Wenige Stunden zuvor war in der Hauptstadt Pretoria Südafrikas letzter weißer Präsident Frederik W. de Klerk vor seine Anhänger getreten und hatte erklärt: „Am kommenden Dienstag, dem 10. Mai, werde ich meine Verantwortung als Staatspräsident niederlegen. Ich werde das Amt Herrn Mandela übergeben, aber ich werde in der Regierung bleiben. Ich werde die Macht abgeben, nicht an die Mehrheit des Augenblicks, sondern an das südafrikanische Volk.“

De Klerk ließ nicht nur selten sichtbare Gefühle durchblitzen, er zog auch einen würdigen Schlußstrich unter 350 Jahre Minderheitsdiktatur der Weißen. „Nach so vielen Jahrhunderten haben wir endlich eine Regierung, die alle Südafrikaner repräsentiert. Nach so vielen Jahrhunderten sind jetzt alle Südafrikaner frei.“

„Wir haben heftig miteinander gestritten, aber am Ende waren wir immer in der Lage, zusammen eine Tasse Kaffee zu trinken“, beschrieb Mandela das Verhältnis zum scheidenden Präsidenten, das auch das Klima in der zukünftigen Regierung der nationalen Einheit bestimmen wird. Aber der ANC- Führer machte unmißverständlich die neuen Verhältnisse deutlich: „Wir haben das Vertrauen der Wähler mit unserem Wiederaufbau- und Entwicklungsprogramm gewonnen. Jeder, der in der Regierung der nationalen Einheit mitmacht, muß wissen, daß dieses Programm die Grundlage unserer Politik sein wird.“

Ganz der konsenssuchende Präsident im traditionellen afrikanischen Stil, hat Mandela auch die unter fünf Prozent liegenden Parteien in die Regierung eingeladen. Nach diesem Satz aber werden diese Parteien ein entsprechendes Angebot wohl sorgfältig überlegen.

Es war die Nacht, vor der sich viele weiße Südafrikaner gefürchtet hatten. Schon vor Wochen bunkerten sie Konservendosen, hartnäckig hielten sich Gerüchte, daß es zu massiven Plünderungen kommen würde. Die Straßen der Weißenviertel Johannesburgs blieben in der Festnacht ausgestorben. Einige Anhänger der neofaschistischen „Afrikaner Weerstandsbeweging“ (AWB) hatten sich sogar in Lagern verbarrikadiert. Doch die Krankenhäuser meldeten nur Leute, die dem Übermut des Freudenfestes zum Opfer gefallen waren.

Und gestern war das Fest schon vorbei. Mandela höchstpersönlich hatte kaum Zeit zur Muße gelassen: „Heute nacht wird gefeiert, ab Dienstag krempeln wir die Arme hoch und arbeiten.“ Die zukünftigen Aufgaben freilich schienen noch weit entfernt, als Thabo Mbeki, der Chairman des ANC, schwärmte: „Es ist herrlich, diesen Augenblick zu erleben.“