"Simpel gestrickt, reine Nachplapperer"

■ Lübecks Bürgermeister sieht die Ursachen rechter Gewalttaten vor allem in der hohen Arbeitslosigkeit. Wenn es um Erklärungen für den Brandanschlag auf die Synagoge geht, sind Begriffe wie Frust...

Lübecks Bürgermeister sieht die Ursachen rechter Gewalttaten vor allem in der hohen Arbeitslosigkeit. Wenn es um Erklärungen für den Brandanschlag auf die Synagoge geht, sind Begriffe wie Frust, Arbeitslosigkeit und Suff schnell zur Hand.

„Simpel gestrickt, reine Nachplapperer“

„Es ist schlimmer, als wir gedacht haben“, sagte Lübecks Bürgermeister Michael Bouteiller (SPD) gestern nachmittag. Er kommentierte die Festnahme des 19jährigen Niko T., des gleichaltrigen Boris H., des 21jährigen Dirk B. und des 24jährigen Stefan W. – jener vier Jugendlichen aus der Hansestadt, die im Verdacht stehen, den Brandanschlag auf die Lübecker Synagoge am Abend des 24. März begangen zu haben. „Jetzt gibt es keine Ausreden mehr. Es waren keine Verrückten oder Palästinenser, wie anfänglich vermutet, sondern normale Bürger aus unserer Mitte.“

Bouteiller forderte als Konsequenz auf den Anschlag, die „geistigen Urheber der rechten Gewalt mit den Waffen des Grundgesetzes zu bekämpfen“. Rechte Parteien sollen verboten werden. Die sozialen Ursachen der Gewalt gegen Ausländer und Juden sieht der Bürgermeister vor allem in der hohen Arbeitslosigkeit. Dort müsse angesetzt werden. „Der Bund sollte seine Zuständigkeit in dieser Frage auf die Städte übertragen, damit diese selbst handeln können.“ Allein Lübeck gäbe für die Unterstützung seiner 11.200 Arbeitslosen im Jahre 600 Millionen Mark aus. „Damit schaffen wir noch keinen einzigen Arbeitsplatz.“ Es gäbe aber nur noch einen Weg, die Gewalt in Zukunft zu verhindern. „Wir müssen den Menschen wieder Arbeit und somit Lebensperspektive geben.“

Erfreut zeigte sich Gabriela Fenys vom Vorstand der Jüdischen Gemeinde Hamburg und Schleswig-Holsteins über die große Anteilnahme der Lübecker Bevölkerung nach dem Brandanschlag. „Wir haben ungefähr 30.000 Mark an Spenden bekommen.“ Mit dem Geld werde die Jüdische Gemeinde soziale Initiativen unterstützen, allerdings nannte sie noch keine konkreten Vorhaben. „Wir wollen unseren Beitrag zum Weg des Bürgermeisters leisten.“

Die Polizei nennt die vier jungen Männer „simpel gestrickt, dumm rechts und reine Nachplapperer“. Nein, harte Rechte seien sie nicht. Einer von den vieren ist ein alter Bekannter der Lübecker Polizei: Dirk B. aus dem Stadtteil Buntekuh. Er hatte schon öfters Anzeigen wegen Körperverletzungen am Hals. Dem „Lübecker Bündnis gegen Rassismus“ ist er auch nicht unbekannt. Dirk B. habe schon mehrfach Ausländer angegriffen. „Sein Sündenregister ist ellenlang“, sagte Christoph Kleine, der Sprecher des Bündnisses. Dirk B. soll an einem Überfall auf ein Flüchtlingswohnheim beteiligt gewesen sein, darüber hinaus an einem Angriff auf einen ausländischen Studenten in Kiel. Einen Pizzabäcker habe er zusammengeschlagen und sei wegen Körperverletzung verurteilt worden. Die Strafe wurde ausgesetzt. Dirk B. geht noch in die Lehre.

Fremdenfeindliche Taten nehmen zu in Schleswig-Holstein. Im vergangenen Jahr registrierte der Verfassungsschutz 369 Straftaten, 72 mehr als im Jahr davor. Die Zahl der Ermittlungsverfahren stieg auf 466 an, wegen Brandstiftung ermittelte die Polizei in 32 Fällen, in 14 Fällen wegen versuchter Tötung. Die rechte Szene hat laut Michael Wolf, Chef des schleswig-holsteinischen Verfassungsschutzes, 3.000 Anhänger. Ihm sind 50 gewalttätige Neonazis bekannt.

Alle vier jungen Männer kommen aus jenen Stadtteilen, die als soziale Brennpunkte qualifiziert werden. Moisling, Kücknitz und Sankt Lorenz-Nord wurden in den sechziger Jahren, zur Wirtschaftswunderzeit, hochgezogen. Auf grünen Wiesen recken sich große graue Betonflanken 15stöckig in den Himmel. Sie wechseln sich ab mit rot verklinkerten vierstöckigen Flachbauten. In den Vorgärten blühen die Stiefmütterchen, nicht ein einziger Straßenzug, der ohne Bäume und Sträucher wäre. Einkaufszentrum, Kneipe, Schule, Videothek – ein bißchen Luxus soll sich ja jeder gönnen können. Traditionelle Hochburgen der SPD sind diese Wohngebiete gewesen. Doch nun protestiert der ehemals frohgemute rote Arbeiter mit dem braunen Stift. Die Reps und die DVU bekommen Oberwasser im Arbeiterviertel. Bei den letzten Bürgerschaftswahlen am Anfang des Jahres verfehlten sie nur knapp den Einzug ins Lübecker Stadtparlament. Nicht nur im enttäuschten Arbeitermilieu finden sie ihre Anhänger. Gerüchte gehen um, wonach der gesamte renommierte Lübecker Segelverein Schönhuber und Co. gewählt haben soll. Doch die Segelbrüder wohnen eher nicht in Moisling, wo jeder fünfte ohne Arbeit ist.

Frust, Arbeitslosigkeit, Suff. Auch heute werden in Lübeck die drei Begriffe in die Diskussion gebracht, wenn es um Erklärungen für den Brandanschlag auf die Synagoge geht. Auch die Mitarbeiter im Statistischen Amt der Hansestadt haben die Worte schnell parat. „Das waren doch nur irregeleitete Jugendliche“, analysiert eine Mitarbeiterin des Amtes, die aber „um Himmels willen nicht“ genannt werden will.

Christoph Kleine vom „Bündnis gegen Rassimus“ ist da ganz anderer Ansicht. „Die Einzeltäterthese ist in ihrer Wirkung fatal“, sagt er. Jeder kann sich mit dieser Erklärung bequem zurücklehnen. Ihm geht es darum, das politische Klima zu verändern, in dem diese Taten geschehen können. Seit der Brandnacht sammelt er mit seiner Gruppe Unterschriften für ein Verbot der rechten Gruppierungen. Allerdings haben bislang erst 3.000 Lübecker BürgerInnen den Aufruf unterzeichnet, 217.000 EinwohnerInnen hat die Stadt. Diesen „Lübecker Appell“ will Kleine demnächst der Ministerpräsidentin Schleswig-Holsteins überreichen. Heide Simonis soll den Antrag auf Verbot von DVU und Reps stellen. In Lübeck soll ein Klima entstehen, „wo faschistische Propaganda im vorhinein geächtet wird“, wünscht sich Christoph Kleine. Nein, er hat auch nichts dagegen, würde sich ein Heer von Sozialarbeitern demnächst um die dumpfen Bierpatrioten mit den kurzen Haaren kümmern. Gleichwohl, die Grenzen sozialarbeiterischen Bemühens sieht Kleine auch. „Die politischen Drahtzieher, die müssen gleichzeitig schwer unter Druck geraten.“

Der Treffpunkt der vier rechten Kumpels war die Zwölf-Quadratmeter-Wohnung von Niko T. Dort tranken sie kräftig einen über den Durst, sie hörten Musik und sind vielleicht auch auf die Idee gekommen, die Brandflaschen in die Synagoge zu werfen. Annette Rogalla/

Torsten Schubert, Lübeck