Theater muß eine Maschine sein

■ Die Wooster Group mit "Frank Dell's The Temptation of St. Antony" im Theater am Halleschen Ufer

Was hat Performancekunst mit dem heiligen Antonius gemein? Wenig, würde man auf Anhieb und auch nach diesem Besuch im Theater am Halleschen Ufer sagen, außer daß im Deutschen der Versuch in der Versuchung steckt. Mit dem „Selbstversuch“ wären wir dann beim Thema: In sieben Episoden wird die Versuchung des heiligen Antonius, sehr frei nach Flaubert, und sehr assoziationsreich zu der des Theaters durch sich selber gemacht. So daß die eigentliche Frage lautet: Wie geißelt sich das Theater hin zu seiner maximalen Modernität? Welche sadomasochistischen Spielchen muß es vorführen, um Reflex der zeitgenössischen postreflexiven Welt zu sein? Welche Selbstverstümmelungsprozesse muß sich die Darstellung zufügen, um auf der Höhe der globalisierten Subjektmassakrierung zu sein?

Antwort: Es muß eine Maschine sein. Und um so mehr eine Maschine, als es über Pannen funktioniert und so mancher Versuch im Leeren verläuft. Die Versuchungs- Maschine der New Yorker Wooster Group – die als Koproduktion mit dem Hebbel-Theater jetzt im Theater am Halleschen Ufer zu sehen ist – besteht aus mehreren Etagen, Metallgerüsten und aufklappbaren Wänden, aus einem knappen Dutzend Videoaugen und einem reich gesampelten Sound- Pult, und nicht zuletzt aus circa zehn Monteuren, die wiederum aus zahlreichen Arm-, Bein- und Mittelbauelementen bestehen. Mit diesen Mittelbauelementen wird denn auch weidlich Produktion gemacht. Gleich zu Beginn sind sie in Reinform, d. h. nackt und als schöne Partialobjekte in den Videokästen beim Bossa-Nova-Tanzen zu sehen. So ein als Single vor sich hintanzendes Glied hat man noch nicht oft dargeboten bekommen; es erweist sich als komisch und wird noch komischer, wenn Hauptmonteur Frank, der heilige Eremit, diese (seine inneren?) Bilder nach Belieben im Zeitraffer vor- und zurücklaufen läßt. Er paart sie mit den entsprechenden weiblichen Gegenstücken, denen er weibliche Fisteltöne verleiht, wechselt beim Anblick des männlichen Pendels mit Accessoires auch mal ins Cockney-Englisch, redet viel, wenn der Bilder viele sind, „be happy“ und solch metaphysisches Zeug. Das Programmheft sagt dazu: „Geschwächt durch sein anhaltendes Fasten ist der Einsiedler nicht in der Lage, sich auf heilige Dinge zu konzentrieren... Seine Phantasie führt ihn auf gefährliche Abwege.“ Womit die erste Episode zu Ende geht. Hat man verstanden? Wenn nicht, bloß keine Panik, ich versichere, es funktioniert!

Weitere Personen erscheinen als Bastler in dieser multifunktionalen Maschine, geben sich als Königin von Saba oder als Teufel aus, singen auf deutsch und agieren amerikanisch, rezitieren Textfagmente eines gewissen James Strah, stellen Zaubertricks und Fernsehshows nach, sind das Alter ego eines gewissen Lenny Bruce, der auch ein Showstar war. Mit den verschiedensten Seiten verbunden, produziert solchermaßen die Maschine, wie es ihr aufgegeben ist, Simulakra über Simulakra: Einer, Willem Dafoe, ist eigentlich der Teufel, der sich als der Jünger Hilarion maskiert und eine willenlose Puppe spielt. Und der Hauptdarsteller, Ron Vawter, der kürzlich an den Folgen von Aids starb, wird jetzt auch von Willem Dafoe gespielt, und blickt selbst nur noch durch das Videoauge herein...

Was also geschieht? Na! Die Produktion des Kunstwerkes selbst! Eine Produktion von Satz-, Tanz- und Bildelementen, multipel, sinnvoll-sinnlos, eine postmoderne Bastelei, wie sie im Handbuch für Theaterschaffende steht.

Man nehme: Unterbrechungen, nicht-lineare Zeitkompositionen, Nonsens-Sätze, Musikzitate; mische sie mit Ghemen wie Gewalt, Drogen, Sex und Tod, baue ein bißchen Metasprache hinein: I like this piece, it's contemporary... appearance is the only reality... Und wir sind versucht, uns an den Beginn der 80er Jahre zurückversetzt zu finden, wo all das auch unsere Versuchung war, wo wir ebenfalls mit unserem Videomonitor interagieren – nur daß wir unserem Versuch nicht den Untertitel „The road to immortality“ gaben und Arnold Schwarzenegger nicht (wie für die Woosters) unser Schutzengel war.

Michaela Ott

Weitere Aufführungen noch bis 8.5., 20 Uhr im Theater am Halleschen Ufer, Hallesches Ufer 32, Kreuzberg.