Einsamer Walfisch, malträtiert

■ Wider die Blasmusikphobie: Das Tubistenduo Tuba Wa Duo mit „Aus Verstreutem ein Ganzes“ in der Kulturbrauerei

Der Abschreckungsgrad des Begriffes Blasmusik entspricht den leidvollen akustischen Erfahrungen, die viele damit gemacht haben. Ob in Festzelten, an Dorfsonntagen, zu Begräbnissen oder militärischen Anlässen, das Getröte, Getute und Geschepper ist Sinnbild für treudeutsches Feiertagsgebaren. Für manche Stimmungskanone, fährt sie anderen so in die Knochen, daß sie schlagartig den Ort des Geschehens verlassen müssen. Das auffälligste der beteiligten Instrumente, meist weit hinten plaziert und unter der Familie des „schweren Blechs“ absortiert, ist die Tuba. Das Mitte des 19. Jahrhunderts entwickelte Bügelhorn fällt, auch wenn es nur wenige Brummtöne von sich geben muß, allein wegen seiner Überdimensionalität auf. Meterweise glänzendes, in Schleifen gelegtes Rohr endet in einem ausladenden Trichter, der ohne zu würgen ein Kleinkind verschlingen könnte.

„Hier paßt nichts zueinander, und Sie werden begreifen, liebe Hörer, daß, wie einst Gulliver bei den Zwergen, das Liebesleben aus Proportionsgründen mit seiner klitzekleinen Freundin nicht vollziehen konnte, daß diese Welt zu klein ist für die Tuba“, schreibt Michael Vogt, Tubist im Berliner Symphonieorchester und eine Hälfte der Tuba-Zweierformation Tuba Wa Duo. Der massige, selbst etwas aus dem Mittelmaß seiner Mitmenschen herausragende Musiker ist einer der wenigen, die vor der ersten Begegnung mit der Tuba keinerlei anderes Instrument in Händen hatten. Mit zwölf Jahren nahm ein Freund ihn zur Neugründung eines Blasorchesters mit, der Lehrer freute sich über den großen Jungen und teilte ihm die Tuba zu – an den Folgen trägt Vogt noch heute schwer.

Inzwischen, nach seiner frühen Entdeckung als Tuba-Talent, einer großzügigen Förderung in der DDR mit anschließendem Studium, ist Vogt einer der interessantesten Tubisten, jederzeit bereit, seinen Orchesteralltag zu verlassen, um Unkonventionelles mit seinem Instrument anzustellen. Schon vor Jahren hat er sich mit seinem Kollegen Georg Schwark, Tubist im Rundfunkorchester, zu Tuba Wa Duo zusammengetan und Kompositionen aufgeführt, die die Tuba aus ihrem Begleitinstrumentstatus erlösen. Natürlich bleibt die typische erdige Klangfarbe erhalten und auch das Tempo kann nur unwesentlich gesteigert werden, doch aus der lautstarken, brummeligen Berta wird durch Vogt und Schwark ein sensibles, vielseitiges Instrument.

„Tuba intim“ heißt die selbstproduzierte CD, die die Spannbreite ihrer Kunst in acht Kompositionen hörbar macht und nun, anläßlich ihres Erscheinens zusammen mit der Pianistin Christine Reumschüssel, dem Geiger Michael Erxleben, dem Sprecher Hans- Eckhardt Wenzel und dem Komponisten Lutz Glandien, auch live aufgeführt wird. „Was Sie hier hören, ist kein Trompetengeschmetter, geht nicht der rasenden Zeit auf den Leim, ist nicht schneller, als es will, keine Kapriolen, Kantilenen, Eskapaden – nein, selbst die zu hörende Violine flüstert im Fahrwasser der Tuba.“ Vogt beschreibt seine Ausflüge in das Persönlichkeitsbild seines klanglichen Pendants so anschaulich, wie er die Kompositionen darstellerisch und mit viel Humor begleitet.

„Elégie“ von Igor Strawinsky, ursprünglich eine Bratschen-Komposition und von Herrmann Anders für Tuba umgeschrieben, ist ein schwerwiegender Parcours für die beiden Musiker, Vogt aber ist überzeugt, daß Strawinsky das so gemocht hätte. Neben Werken, die speziell für sie geschrieben oder umgeschrieben wurden, ist Vogt auf jeder Orchestertournee auf der Suche nach jungen, unbekannten KomponistInnen, die Tubakompositionen in der Schublade haben – das bekannte Repertoire ist ihm zu unsinnlich, zu eng, zu betont kunstvoll. Die Komponistin Anette Schlünz aus Dresden hat ein Solo für ihn geschrieben, das viel Raum läßt, spannungsvolle Pausen setzt und der Stille huldigt.

Bei „Toute l'étendue ne vaut pas un cri“ von Alfred Zimmerlin, einem Stück für Tuba und Tonband, scheint ein einsamer Walfisch malträtiert zu werden, und Morton Feldmans „Durations 3“ verlangt ein Höchstmaß an Zurückhaltung und gedämpften Tönen, was für einen Tubisten der Hochseilakt schlechthin ist. Das Spektrum der Aufführungen beinhaltet von einer Vertonung der Alice im Wunderland zur mutwilligen Zerlegung einer Tuba alles – Vogt hat auch dafür die richtigen Worte gefunden: „Am Ende schließlich werden Sie wissen, wie trist diese Welt wäre ohne Tuba. Ganz tief unten im Baßschlüssel.“ Anna-Bianca Krause

Heute, 21 Uhr, in der Kantine der Kulturbrauerei, Schönhauser Allee 36–39, Prenzlauer Berg.