Black & White – Geschichten aus dem neuen Südafrika Von Bartl Grill

Am schönsten ist das Leben doch beim Radio. Oder bei der taz – auch wenn derartige Anstalten hin und wieder von innerhäuslichen Blizzards oder Buschfeuern heimgesucht werden. Wir, die wir normalerweise nur einmal die Woche unsere bescheidenen Depeschen ins ferne Europa kabeln dürfen, merken das besonders in Wendezeiten, in denen nichts mehr so ist, wie es war, und keiner weiß, wie es wird. Es geht um Listen, in diesem Fall um Krieglers Listen. Richter Johann Kriegler ist der Chef der hiesigen Wahlkommission. Sein Team hat die undankbare Aufgabe, die Stimmen bei der „Mutter aller Wahlen“ zu zählen. Die Sache ist deshalb so knifflig, weil hier zum ersten Mal jeder wählen darf und keiner Erfahrung mit solchen Rechnereien hat. Mancher weiße Beamte will nicht richtig rechnen, weil das nur die Kommunisten an die Macht bringt. Mancher schwarze Duodezfürst rechnet absichtlich falsch – er möchte schließlich seine Partei vorne sehen. In den Kaufhäusern, gleich hinter der Wurstabteilung, liegen Millionen von Stimmzetteln herum. Der ganze Zählprozeß ist ein einziges Tohuwabohu!

In dieses Chaos soll unsereiner alle acht Tage Ordnung bringen. Aber wie? Erwartungsfroh gehen wir am Freitag zur Wahlparty der hiesigen Wochenzeitung Weekly Mail. Ein riesiger Monitor steht da, und alle warten auf das Endergebnis. Nichts kommt, nur ein paar dürre Zahlen. Samstags laufen wir zur Siegesfeier vom ANC, Nelson ist auch da. Fehlanzeige zwo. „Mir is so fad“, murrt ein Kollege aus dem Österreich. Cool bleiben, wir Wochenschreiber haben ja noch drei Tage Zeit. Sonntags wieder beim ANC, wieder nichts. Montags noch mal hin. Endlich! Sektkorken knallen, Nelson tanzt, alle jubeln. Gewonnen hat der ANC, soviel steht fest. Aber das Endergebnis fehlt immer noch. Morgen kommt's, sagt Kriegler, dickes Ehrenwort. Morgen ist Dienstag. Dienstag ist deadline. Husch, husch! Sagt die Heimatredaktion. Resultate! Zack, zack! Streikdrohung. Wir müssen den Redaktionsschluß vorziehen. Hl. Johann, Herr der Zahlen, hilf! Schnell die jüngsten Agenturmeldungen durchchecken. Pardauz, was ist das? „Auszählung unterbrochen. Stop. Weitere Ergebnisse in 24 Stunden. Stop. Zählprozeß wird neu überdacht. Stop.“ Ein GAU. Wir sind platt wie Blech. Was tun? Wie sollen wir jetzt einen vernünftigen Artikel zusammenschustern, wie eine Prognose erstellen, welche die Ewigkeit einer Woche überdauert?

Tief drunten aus dem Jammertal schauen wir sehnsüchtig zum Radio und zu den Tageszeitungen empor. Heute schreiben, morgen lesen, übermorgen vergessen. Und jeden Tag darf man seine Falschmeldungen von gestern korrigieren. Die Fehler versenden sich, sagt eine Radiofrau. War was? I wo, längst im Äther verpufft. Und unser Wochenmurks? Der bricht sonntags unter dem scharfen Auge des Herrn Studienrates in sich zusammen, denn Krieglers Listen und die Weltgeschichte haben unsere vergänglichen Zeilen längst widerlegt. Einziger Trost: Am Montag werden mit unseren Artikeln frische Fische eingewickelt. Im Oberbayerischen soll es einen Bauersmann geben, der sie in die Stiefel steckt, das wärmt und ist gut gegen Fußpilz. So mag unser Werk dem lieben Gott doch noch gefallen und dem Menschen frommen.