Bitte keine Gruselanzeigen!

■ Betr.: Anzeige auf der Wiese: „Viviane Zoe“, taz vom 23.4.94

Eine Trauer, die so schamlos zur Schau getragen wird, klingt nicht gerade nach Trauer. Die Anzeige riecht penetrant nach selbstgerechtem, missionarischem Eifer. Eine als Schuldbekenntnis getarnte Anklageschrift.

Übrigens, das verdrehte Bibelzitat und der Name Viviane Zoe (= lebendiges Leben = Leben hoch 2) deuten darauf hin, daß dieser Name erst im nachhinein, wahrscheinlich als Folge einer Bekehrung, erfunden wurde – sozusagen als Bekenntnis. Bekehrte und Bekenner neigen bekanntlich zum Fanatismus.

Wer alles in der taz annoncieren darf... G. Aparicio, Stuttgart

Wenn Ihr sowas abdruckt und außerdem davon sprecht, daß die Freundin von Micha Sontheimer ihm einen „Stammhalter schenkte“ (!?!?), warum dann nicht gleich offiziell Eure frauenfeindliche Schreibe konsequent und direkt demonstrieren: Wie wär's mit einer Anzeige von den Lebensschützern o.ä.? Kerstin Kromminga,

Ronnenberg

Nachdem bereits die Anzeige des Ullstein-Verlages mehr als Befremden bei mir ausgelöst hatte – ich kann mich da nur den bereits veröffentlichten Leserbriefen anschließen – hat mir diese „Todesanzeige“, die Ihr in der Samstagsausgabe veröffentlicht habt, nun tatsächlich den Rest gegeben.

Beabsichtigt oder nicht – das sei dahingestellt – wird mit dieser Anzeige Propaganda für die selbsternannten „Lebensschützer“ betrieben. Sollte es Euch wirklich nur noch um Knete gehen, bekennt Euch doch bitte dazu. Andernfalls erwarte ich auch von einer Anzeigenredaktion der taz ein gewisses Maß an politischer Sensibilität. Susanne Bischoff, Hannover

Was soll das denn? Seid Ihr den Lebensschützern auf den Leim gegangen? [...] Bitte keine Gruselanzeigen – auch für Geld nicht! Sabine Holm

Hiernach bin ich nicht mehr bereit, den „politischen Preis“ zu zahlen! Falls Derartiges öfter in der taz abgedruckt werden sollte, bestelle ich sie ab. Dieter Merkel, Castrop-Rauxel

Seid Ihr nur von der Chefredaktion oder auch noch von allen guten Geistern verlassen? Ich empfehle Euch das Buch von Barbara Mitter: „Vorsicht ,Lebensschützer‘“, Hamburg 1991. Selbst ohne diese Lektüre gelingt es Menschen mit etwas Verstand, in dieser Anzeige eine gezielte Anti-Abtreibungskampagne zu entdecken. Völlig entnervt S. Lüpke, Hannover

Mit großem Befremden habe ich eine Anzeige entdeckt, die ganz in der Form einer normalen Todesanzeige die Abtreibung eines mit Namen bezeichneten „weiblichen“ Fötus bekanntgibt, nachdem dieses Ereignis bereits sieben Jahre zurückliegt. Als befremdend empfinde ich dabei sicher nicht den Ausdruck der Trauer, die ein solcher Eingriff bei den betroffenen Personen auch nach langer Zeit noch hervorrufen kann, vielmehr sind es die damit verbundenen ideologischen Konstruktionen, die die öffentliche Bekanntgabe eines individuellen „Schicksals“ zum politischen Manifest werden lassen, das bestimmte Forderungen impliziert, gegen die ich mich als eine von vielen Betroffenen entschieden wende.

Durch die Formulierung „ums Leben gekommen“ wird Abtreibung hier zum Unfall erklärt, dessen Ursache, wie im letzten Absatz verdeutlicht, eine individuelle Meinung war, hervorgegangen aus Denken und Empfinden, das sich nunmehr aber gegenüber damaligem grundlegend geändert habe. Mit keinem Wort erscheinen hier bewußt handelnde, Eigenverantwortung tragende TäterInnen. Abtreibung wird vielmehr einem Unglücksfall durch menschliches Versagen gleichgesetzt. Menschlichem Versagen aber begegnet unsere Gesellschaft immer schon mit überindividuell gesteuerten, im Falle der Abtreibung mit staatlichen oder kirchlichen Kontrollmechanismen. An diesem Punkt entpuppt sich die Anzeige als konform mit Organisationen, die den „Schutz des ungeborenen Lebens“ nicht der Verantwortung der betroffenen Frau überlassen wollen, sondern nur durch gesetzliche Regelung und Zwangsberatung gewährleistet sehen.

[...] Wieder einmal wird etwas, was hier anscheinend substantiell mit lebendiger Materie in Verbindung gebracht wird, mit dem Attribut „weiblich“ ausgestattet. Es scheint mir in diesem Kontext kein Zufall zu sein, daß der um seinen „toten“ Schwesterfötus trauernde Junge Leo, lat. Löwe, heißt, ein Name, der gemeinhin männliche Stärke und Potenz assoziiert. Die Bezeichnungen der Kinder rufen eine binäre Geschlechterkonstruktion auf, die tradierte Klischees und Zwangsvorstellungen der Geschlechterrollen mystifiziert und naturalisiert.

All diese Überlegungen lassen mich daran zweifeln, daß es sich hier um die Anzeige eines authentischen Ereignisses handelt. Vielmehr soll vermutlich stellvertretend für eine Organisation, die sich dem „Schutz des ungeborenen Lebens“ verschrieben hat, an die Angst vor Schuldgefühlen betroffener Frauen, an die „moralische“ Verpflichtung der Öffentlichkeit appelliert werden. [...] S. Baumgart, Hamburg

[...] Die Fragen, was uns diese Anzeige sagen will und was für ein Interesse dahinter steht, die Reue über eine Abtreibung in dieser Art und Weise öffentlich zu machen, drängen sich geradezu auf.

Das Argument, daß andere mit dieser Aktion vor dem gleichen „Schicksal“ bewahrt werden sollen, ist nicht stichhaltig, denn eine Abtreibung zieht nicht zwangsläufig psychische Belastungen nach sich. Frauen werden vielmehr durch den gesellschaftlichen Umgang mit Abtreibung, wie zum Beispiel die Regelung des Paragraphen 218, unter enormen Druck gesetzt, und Schuldgefühle werden ihnen häufig von vielen Seiten eingeredet.

Daß der abgetriebene Fötus in der Anzeige mit Name, Geschlecht und der ganzen Familie auftaucht, legt da schon eher nahe, daß hier die selbsternannten „Lebensschützer“ ihre Hand im Spiel hatten. Denn auch ohne es explizit zu formulieren, vermittelt diese Anzeige, daß Abtreibung etwas Schreckliches und Verwerfliches sei, das um jeden Preis verhindert werden soll.

Daß in der taz eine solche Anzeige, noch dazu ohne Kommentar, erscheint, spricht für sich und gegen die taz, die sich als „gesellschaftskritisch“ versteht. Irma Leisle, Feministisches Frauen Gesundheits Zentrum e.V., Berlin