A Taste of Cold Curry

Selbst in den postkolonialen 90ern spielt das New British Cinema mit der grazilen Warmherzigkeit der Inderin. Gurinder Chadhas „Bhaji on the Beach“ vermittelt ein teilweise fröhliches, aber straff durchhierarchisiertes Weltbild  ■ Von Mariam Niroumand

Während der Rest des New British Cinema dramatisch angereicherte Milieustudien betreibt, wenden sich die jüngeren Adepten der eigenen neighborhood und ihren Wurzeln zu. Gurinder Chadha, eine 34jährige in Nairobi geborene Anglo-Inderin, gibt als Leitplanke noch immer Tony Richardsons Sozialdrama „A Taste of Honey“ an, einen Film von 1961, den auch der Fassbinder von „Angst essen Seele auf“ sehr liebte: Ein vereinsamtes junges Ding in trister Industrielandschaft verliebt sich in einen schwarzen Mann. Zwar ist ein bißchen Komödie hinzugekommen, ein paar wunderschöne Waschsalons und Sammie und Rosie, aber der Basic Instinct ist noch immer, daß die Ärmeren und die Fremderen einfach besser lieben.

„Bhaji on the Beach“ ist ein Film über die neighborhood, eine Gruppe von Anglo-Inderinnen und ihre männlichen Satelliten, die ein rechtes shop-keeper-Leben in Birmingham führen. Sagte ich eigene neighborhood? Nicht ganz: Chadha selbst lebt in West-London nahe der Universität, an der sie Entwicklungspolitik und Volkswirtschaft studiert hat, bevor sie BBC-Reporterin wurde. Streng genommen also beschreibt sie mit den kleinen Ladenmädchen in Birmingham eine Situation, die für ihresgleichen etwa zehn bis zwanzig Jahre zurückliegt. Den sicheren Abstand merkt man dem Ganzen auch an: Das Gravitationszentrum dieses mitunter etwas auseinanderstrebenden Films ist eine Sozialarbeiterin, deren Integration sowas von abgeschlossen ist, daß man über ihren Hintergrund vorsichtshalber gar nichts erfährt.

Sie heißt Simi, arbeitet fürs „Saheli Asian Womens Center“ und hat einen Bus gechartert, um eine Gruppe großer und kleinerer Inderinnen nach Blackpool an den Strand zu karren. Da ist die alte Weise, die keine Neger mag und wenn man es unverheiratet treibt; da ist die Tante, die sich indische Götter herbeihalluziniert, die ihr neonhaft heimleuchten, wenn sie vom rechten Weg abkommt. Da ist eine junge Dame, die Medizin studieren soll, nun aber von einem Karibik-Mann schwanger geworden ist. Die interessanteste Figur kommt aus Indien, sieht aus wie ein Transvestit in sexy Pumps und ist als Nachweis dafür gedacht, daß das, was sich die alten Anglo-Inderinnen in ihren Saris als Tradition vorstellen, im Mutterland längst cold curry ist. Na denn.

Was als sentimental journey von der Sozialarbeiterin in durchaus oppressiver Fröhlichkeit eingeläutet wird (Wir Frauen nehmen uns jetzt mal einen Tag frei von Rassismus und Sexismus und haben eine female fun time!), entpuppt sich bei jedem Schritt als ein straff durchhierarchisiertes Weltbild. Nun wäre das nicht weiter der Rede wert, würden Chadha und Co. nicht unter dem Label „europäische“ Erfahrung einer warmherzigen Minderheit recht mopsig auf einen avancierten Platz im kontinentalen Kino bestehen.

Das weiße England erscheint gleich in der ersten Szene als das Land, in dem die Hakenkreuze blühen. Indische shop-keeperInnen müssen sie wegwaschen. England, das sind sommersprossige Lümmel, die der Sozialarbeiterin auf die Jacke spucken, auf den Bus wichsen oder hilflos dem Charme der kleinen Inderinnen erlegen sind. Dann gibt es da noch den sogenannten komischen Kauz, den Gentleman alter Schule, der der Tante den Hof macht, bis der die zornigen Shivas nur so vor Augen flirren. England ist ein Anhängsel an den Troß der schönen bunten Inderinnen, hier steht es nun, es kann nicht anders, während die Inderinnen sich wundern und wandeln. Englands Pommes Frites sind ohne Curry absolut unerträglich.

Die Inderinnen selbst wiederum sind mitunter etwas zu waghalsige Konstrukte aus – wie mir scheint – durchaus englischen Vorstellungen orientalischer Lieblichkeit und dem unbändigen Wunsch, sich danebenzubenehmen geraten. Interessant ist es in diesem Zusammenhang, einen Blick in einschlägige indische Frauenzeitschriften zu werfen, wie sie in London zu haben sind. Sie heißen gern Womans Era oder Bridal Pride und sind genau genommen eine einzige Ansammlung von Konfliktvermeidungsstrategien, die sich hinter gestrengen Benimmregeln verbergen. Die jung verheiratete Frau wird ermahnt, die Eltern nach der Eheschließung nicht mit „egoistischen Bemerkungen“ zu brüskieren. Wenn die Ehe schon ein wenig angegangen ist, soll man im Streitfall auf keinen Fall über sein Gewicht oder die zurückweichende Haarlänge Beschwerde führen, sondern sachlich feststellen, daß man ihm durchaus zu helfen wisse. Von Etikette am Telefon über die Zubereitung von „Multicolored Yoghurt Balls“ läßt sich alles regeln. Mitunter lugt ein bißchen Horror durch die Beruhigungsarien: Was man machen soll, wenn einen Insekten in solche Panik versetzen, daß man vor den Gästen das gute Teeservice fallenläßt; welche Implantate bei zu kleinen Brüstchen zu empfehlen sind; wie man mit dem Post-Baby-Blues fertig wird, etc.

Sind so kleine Brüstchen: In „Bhaji on the Beach“ sollen sie sich nun, für einen Tag immerhin, schadlos halten. Also wird geschlemmt, gerülpst, gekotzt und zum Schluß gar ein Männerstriptease mit Anfassen besucht. Auch die Regisseurin selbst verblüffte im zugegebenermaßen recht kurz angebundenen Interview (siehe unten) durch frohes und permanentes Popel-in-die-Luft-Schnippsen. Dennoch hat der Film an jeder Ecke Angst vor der eigenen Courage: Schließlich bleibt, selbst in den postkolonialen 90ern, die grazile Warmherzigkeit der Inderin das Pfund, mit dem auch im New British Cinema gewuchert wird.

„Bhaji on the Beach“ („Picknick am Strand“). Regie: Gurinder Chadha. Kamera: John Kenway. Mit Kim Vithana, Jimmi Harkishin, Sarita Khajuria, u.a. GB 1993, 100 Min.