Komm, schalt jetzt aus

Bier, Glück und warum man plötzlich sanft wird im Alter: Herbert Achternbusch über seinen neuen Film „Ab nach Tibet“

Das Gespräch mit Herbert Achternbusch fand während der Berlinale zur Premiere von „Ab nach Tibet“ („ein Meisterwerk“ — „Die Zeit“) statt. Im neuen Film blickt Hick wie in „Mix-Wix“ vom Dach des Münchner Beck-Kaufhauses aufs Dach der Welt, meditiert und möchte gerne als Weißbier wiedergeboren werden. Herbert Achternbusch schaut sehr entspannt und supernett. Er trinkt alkoholfreie Cola, später schwarzen Tee, ißt eine Gulaschsuppe und schnupft zwischendurch.

taz: Ein wenig hat man bei „Ab nach Tibet“ das Gefühl, Sie seien altersweise, sanft geworden.

Herbert Achternbusch: Paß auf, daß ich Dir nicht gleich das Mikro aus der Hand schlag. Mein liebes Bürscherl, Du. Das hängt ja wohl auch von der Umwelt ab, wie man ist. Wenn man immer gezwickt wird, wird man irgendwann kratzbürstig, und wenn man gestreichelt wird, wird man irgendwann sanft. Das muß ja im Grundcharakter der Filme nichts ändern. Ich find auch nicht, daß das „Gespenst“ rebellisch war oder religiöse Gefühle beleidigt hätte. „Ab nach Tibet“ beleidigt doch viel mehr religiöse Gefühle. „Wer an Gott glaubt, den wird der Teufel holen“, ...mehr kann man doch eine gottgläubige Religion nicht beleidigen.

Und sonst. Bei den früheren Filmen waren die meisten Leute ja nicht gekränkt von dem gewesen, was der Film inhaltlich aussagt, sondern von der Montagetechnik; von der Umverteilung von Kurz und Lang. Aber inzwischen kommt eine andere Filmdramaturgie langsam zum Tragen. Mehr dieses Mäandern ohne Ende und ohne Anfang und nicht immer diese Geschichtchen, die in der Art und Weise des 19. Jahrhunderts erzählt werden. Wir haben ein anderes Lebensgefühl, und wir brauchen andere Erzählweisen. Oder gewisse Leute brauchen das, um ihr inneres Bedürfnis zu stillen. Inzwischen gibt es ja sogar amerikanische Filme, wo nicht alle drei Sekunden ein Schnitt ist. Das ist schon erstaunlich.

Ich hatte das Gefühl, es geht Ihnen jetzt mehr ums Glück.

Quatsch. Es geht immer nur ums fehlende Glück. Warum sind Menschen traurig? – Weil das Glück fehlt. Man kann es nicht in die Hand nehmen. Ein Bierglas kann ich in die Hand nehmen und trinken, bis es leer ist. Das Glück ist mit Menschen und Stimmungen verbunden – es ist unantastbar, und es ist sehr anstrengend. Da wollen sich alle bei der Arbeit anstrengen, damit sie ein bissel Geld haben, und davon wollen sie dann das Glück kaufen. Die sollen mehr faulenzen und sich mehr ums Glück kümmern. Das ist viel wichtiger.

Aber Sie arbeiten wie ein Irrsinniger?

Ich mach ja sonst nichts. Ich kann ja in der Nacht aufstehen und vier Stunden malen – das ist meine Sache. Und wenn ich den Vormittag verschlafe, ist das auch meine Sache. Ich versuch, der Herr meiner Zeit zu sein, und daß ich Interviews gebe – das mache ich ja normalerweise nicht. Das Ende der Sehnsucht ist jedenfalls, faul zu sein. Das find ich schon toll. Oder einfach nur so dahinzuschlendern. Nutzlos zu sein – das ist doch auch schön. Jeder versucht sich doch nützlich zu machen. Und die meisten machen nur Kacke.

Selbst in einigen Münchner Passagen hatte ich das Gefühl, nicht mehr in einem deutschen oder bayerischen Film zu sein.

Vielleicht ist Tibet ja ein Pseudonym für eine andere formale Bearbeitung. Ich sag gerne als Blödsinn: Es gibt viele Filme über Tibet, aber mein Film ist von einem Tibeter gemacht.

Irgendwann stehen Sie mit Judith Tobschall auf einer Brücke und singen ein tibetisches Lied?

Das ist ein Volkslied. Das heißt ungefähr: „Wenn ich nichts zu fressen hab, paß auf, daß dich meine Knochen nicht treffen, denn die schmeiß ich dir nach, weil's du mir nichts gibst, wenn ich bettel.“ Das ist ziemlich rüde. (lacht) Nächtelang haben wir daran geübt.

Was bedeutet Ihnen der Buddhismus?

Das ist ist für mich die einzige Religion, die versucht, sich selbst abzuschaffen. „Wenn du einen Buddha siehst, dann hau ihm den Kopf ab.“ Das heißt, man soll sich keine Bilder machen, man soll auch nicht irgendeine Plastik anbeten. Wenn es einen Buddha gibt, dann gibt es den in dir und sonst nirgends. Und was jetzt so als Buddhismus aufgewärmt wird bei uns, das ist mir zu folkloristisch. Das ist die Ware Buddhismus. Da klauben sie sich halt ein bissel heraus aus der geistigen Dritten-Welt-Boutique. Ich finde das ziemlich lächerlich. Orangenes Kleid zu tragen und zu sagen, ja, man ist mildtätig, das will ja ein jeder. Das hat ja mit Buddhismus nichts zu tun. Das Wichtigste am Buddhismus ist, daß darüber, wo man nichts weiß, nichts gesagt wird. Der Gott hat weder einen Bart noch sonstwas. Der existiert nicht. Das find ich eben modern. Auch die „Gebote“. Noch zu Lebzeiten des Buddha hat es ja 281 Regeln gegeben. Weil die so eifrig waren. Und dann kam ein junger begabter Mann, der hat gesagt: „Chef, ich geh jetzt. Das ist mir alles zu blöd. Deine Verbots- und Gebotssammlung hat doch mit dem Geist nichts zu tun.“ Dann hat der Buddha gesagt: „Dann merk dir wenigstens drei Gebote. Du sollst merken, was du denkst, du sollst merken, was du sagst, und du sollst merken, was du tust. Nicht, du sollst das und das tun, sondern du machst was, und du sollst wenigstens merken, was du machst. Wenn du in die Scheiße trittst, sollst du wenigstens merken, daß du in die Scheiße trittst. Und wenn du ne gute Tat machst, dann machst du eben eine gute Tat, aber du brauchst dir darauf nichts einbilden.“ Das ist für mich Buddhismus. Es ist eigentlich nichts – das ist das Schöne daran.

Wie sind Sie zum Buddhismus gekommen?

Über die Malerei, glaube ich. Die Malerei der Japaner und Chinesen hab ich als so unnahbar empfunden. Da konntest du nichts rausziehen für die eigene Arbeit. Das hat mir gefallen.

In dem Tibetteil gibt es eine Szene, wo sie vor sich den Weg pinseln, um keine Ameisen zu zertreten?

Da gibt es eine Richtung, die sagen: „Wer bin ich, irgendetwas zu zerstören.“ Das ist das radikalste Bild für Umweltschutz. Ich glaub, das mögen die Leute. Wir können nicht mehr sagen, wir sind ganz oben, und ganz unten sind die Ameisen und die Milben. Das Leben ist nicht hierarchisch. Und so klug ist der Mensch nicht, daß er sagen kann „ich denke“ und zur Ameise sagen kann „du denkst nicht“ – das weiß er ja gar nicht, der Depp.

Sie sagen: „Nix ist besser als Garnix.“ Das würden Buddhisten und auch jeder Bayer verstehen?

Das versteht auch jeder. „Gar nix“ ist ja wirklich gar nix. Der Buddhist würde sagen, am Nichts kann man nicht rumschnitzeln. „Nix“, das ist ja schon wieder so spekulativ. Und im Bayerischen ist „gar nix“ nun wirklich nix. Wenn du nichts zum Fressen hast, ist es nix, aber wennst gar nichts zum Fressen hast, dann mußt du sterben.

Als Schauspieler nehmen Sie sich immer mehr zurück?

Ich hab mich immer schwer getan, vor die Kamera zu gehen. Ich bin immer unheimlich irritiert, daß mich dieses Todesauge anschaut, und dann soll ich irgendwas machen. Sich hinzusetzen und so – das find ich angenehm, aber jetzt ne Geste zu machen – da wirst du ja wahnsinnig. Wie soll ich die Geste machen? Vogel zeigen – das geht spontan gut – „du bist blöd“, aber dann spiel das mal. Du weißt ja gar nicht, wo du deinen Finger hintun sollst. (lacht)

Sie arbeiten gerne mit Laien?

Ich ziehe immer gern Leute vor die Kamera, die nicht so ins Übliche hineinpassen; die auch nicht so normal sprechen. Da schaltest du den Fernseher ein, und es ist immer die gleiche Stimmlage. Ob Nachrichten oder Werbung – immer dieser Fernsehtouch, der sich auch in Filmen immer mehr durchsetzt. Und ich mag eine Stimme gerne, die nicht so daherkommt; ein Gesicht, das nicht so ist. Wie die Judith Tobschall. Die geht auch ganz anders, und trotzdem ist da irgendwas Großes dabei, was Ungesehenes.

Wie sind die Szenen entstanden, wo die Kellnerinnen erzählen, als was sie gerne wiedergeboren werden wollen?

Die hab ich vorher privat gefragt, hab mir das aufgeschrieben und ihnen den Text gegeben. Das sind also ihre eigenen Aussagen. Aus dem Wirtshaus hab ich viele herausgezogen – das klingt ein bißchen ordinär, aber ich mag das gern.

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Wie haben Sie die Tibeter gefilmt?

Da waren zum Beispiel zwei Frauen, die uns beim Drehen zugeschaut haben. Ich hab das sehr schön gefunden und sie gefragt. Als wir die Kamera auf sie gerichtet hatten, da haben sie sich aber sofort so steif hingestellt. Da hab ich ihnen Anweisungen gegeben. Ich red meistens bayerisch dabei – „Lehn dich doch einfach so wieder her, wie du's vorher warst – so ist das doch langweilig, und dann lach ein bissel so.“ Die haben das sofort begriffen.

In einer Szene läuft jemand brennend durch die Gegend. War das die erste Stuntszene, die Sie gedreht haben?

Die zweite. Sowas möchte ich gerne öfter einsetzen. Daß einfach mal etwas Grausames aufblitzt. Wenn der da brennt – das glaubt man ja nicht. Das ist natürlich schon ein Echo, auf buddhistische Mönche, die sich tatsächlich verbrannt hatten aus Protest. Das ist eine Protestaktion, bei der man andere nicht mit hineinzieht. Man zündet sich an, gibt ein starkes Zeichen und schädigt niemanden.

Es gibt immer noch das Klischee des bayerischen Heimatfilmers, obgleich Sie seit mindestens zehn Jahren Filme machen, die meist zur Hälfte in der Mongolei, in Tibet, in China, in Amerika spielen.

Das ist ganz einfach – was mich interessiert, da fällt mir auch was ein dazu. Zur deutschen Einheit zum Beispiel, da fällt mir einfach nichts ein. Also kann ich da keinen Film zu machen. Vielleicht später. Und ich muß auch sagen, ich gehe gerne in die Dritte Welt, die noch einigermaßen ihre eigene Kultur hat und wo es keinen Hamburger gibt. Ich geh gern dorthin, wo die Leute – modern gesagt – noch nicht total ihrer eigenen Welt entfremdet sind.

Sind Sie schüchtern gegenüber dem Publikum?

Ja. (Pause) Ja doch. Ja. Aber ich glaub, eher höflich. Ich sag mir: Wie komm ich dazu, den Leuten was vorzusetzen. Oder wenn sie dann sagen, ich bin ein Fan von dir – das finde ich ganz schlimm.

Schauen Sie sich auch andere Filme an?

Sicher. Die interessanteren schau ich im Filmmuseum. Ich krieg schon mit, was die Kollegen alles treiben. Auch Hollywoodfilme. In jeden Mist gehe ich da.

Sind Sie jetzt wirklich auf dem Weg der Erleuchtung?

Ach Quatsch. Wer soll denn da erleuchtet werden. Die Buddhisten sagen, das Selbst und das Ich mußt du überwinden. Wo soll denn da die Erleuchtung stattfinden, wenn nichts mehr da ist? Das hat sich schon vor zweihundert Jahren erledigt, als ein Zenmeister gesagt hat: „Wer nicht erleuchtet ist, der ist erleuchtet.“ Damit war's aus.

Komm, schalt jetzt aus deine Maschine. Merken kannst du dir wohl gar nichts. Der Valentin hat mal gesagt: „Merken tu ich mir gar nichts, aber wenn ich's vergeß, dann weiß ich's nicht mehr.“ Interview: Detlef Kuhlbrodt

„Ab nach Tibet“. Regie: Herbert Achternbusch. Mit Judith Tobschall u.a. BRD 1993, 128 Minuten.